Wirtschaft

Spekulieren mit Nahrungsmitteln Satte Gewinne mit dem Hunger

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(Foto: dpa)

Die Preise für Nahrungsmittel wie Weizen, Mais oder Soja erklimmen an den Rohstoffbörsen immer neue Höchststände. An den Märkten fallen zur Begründung Schlagworte wie Bevölkerungsexplosion, Dürre, Ernteausfälle oder Biosprit. Doch viele sehen vor allem Spekulanten am Werk, die sich auf Kosten der Ärmsten bereichern.

"US-Farmer kämpfen mit Rekord-Dürre" - "Flut bedroht Ernte in Indien" - "Angst vor Engpass bei Mais" - die Schlagzeilen von den Rohstoffmärkten sprechen eine eindeutige Sprache: Die Preise ziehen kräftig an, Entspannung ist nicht in Sicht. Für all jene, deren Einkommen zum Leben kaum reichte, sind das wahre Hiobsbotschaften. Sie müssen zusehen, wie sich die Preise ihrer Nahrung verdoppeln und immer weiter steigen - und zahlen, oder hungern.

An den Rohstoffbörsen werden Fakten geschaffen, doch welche Gründe führen zu den starken Preisanstiegen? Experten an den Rohstoffmärkten sehen die Hauptursache in einer ständig steigenden Nachfrage bei zugleich sinkendem Angebot. Auf der Angebotsseite sorgen Wetterextreme wie Dürren oder Fluten für schlechte Ernten. Zugleich wächst der Bedarf an Nahrungsmitteln deutlich, sei es durch eine rasant wachsende Bevölkerung, wandelnde Ernährungsgewohnheiten oder auch die Verarbeitung von Nahrungsmitteln zu Biosprit.

Steigende Nachfrage, sinkendes Angebot - ist die Preisexplosion nur die logische Folge einer Welt im Wandel? Ganz so einfach ist die Rechnung auch an den Rohstoffmärkten nicht. Denn hier tummeln sich nicht nur all jene, die echte Güter anbieten oder kaufen wollen. Auch Spekulanten, die ihre ganz eigenen Erwartungen über künftige Preisentwicklungen zu Geld machen wollen, spielen mit. Doch wie funktioniert das Geschäft mit den Agrarrohstoffen?

Essen auf Knopfdruck

1x1 der Warentermingeschäfte

Die ursprüngliche Idee hinter Termingeschäften ist die Absicherung gegen Preisschwankungen.

Beispiel: Ein Bauer will sich bereits bei der Aussaat dagegen absichern, dass er für seinen Weizen bei der Ernte deutlich weniger Geld erhält als er für die Saat zahlen muss. Ein Getreideverarbeiter will dagegen beim Einkauf nicht plötzlich mit horrenden Preissteigerungen beim Weizen konfrontiert werden. Deshalb vereinbaren sie schon im Herbst, dass der Bauer nach der Ernte im darauffolgenden Sommer eine bestimmte Menge eines genau beschriebenen Weizens zu einem festen Preis liefert. Beide können nun sicherer kalkulieren - fertig ist das Warentermingeschäft. An besondere Regeln müssen sich Lieferant und Käufer bei direkten Geschäften miteinander nicht halten, denn sie können untereinander vereinbaren was sie wollen.

Soll das Geschäft jedoch an einer Warenterminbörse abgewickelt werden, gelten dafür feste Regeln und Standards. Gehandelt werden nur bestimmte Güter einer genau festgelegten Qualität, die zu festen Terminen in immer gleicher Größenordnung gehandelt werden. Diese Termingeschäfte heißen Futures.

Wer einen solchen Kontrakt abschließt, muss nicht gleich mit dem gesamten Kaufpreis in Vorleistung gehen, sondern zahlt nur einen kleinen Teil voraus als Sicherheitsleistung, die sogenannte Margin. Diese erlaubt Investoren, mit geringem Einsatz in großem Stil auf Preisentwicklungen an den Rohstoffmärkten zu wetten.

Wer an Rohstoffpreisen mitverdienen will, braucht keine großen Lagerhallen, in denen er Getreide, Saaten oder andere Agrarrohstoffe hortet. Echte Lebensmittel, die an den sogenannten Spotmärkten vereinfacht gesagt wie auf einem Wochenmarkt als Ware gegen Geld gehandelt werden, sind für Spekulationsgeschäfte im großen Stil zu sperrig. Das große Geschäft läuft stattdessen an den Terminmärkten. An ihnen können Investoren ebenso wie Farmer oder Rohstoffhändler mit einem Knopfdruck auf steigende als auch auf fallende Rohstoffpreise wetten - Futures sind das Zauberwort.

Was nach Kasino klingt, ist jedoch keine Erfindung der modernen Finanzindustrie, sondern dient eigentlich der Absicherung gegen allzu starke Kursschwankungen (siehe Infobox). Schon im antiken Griechenland sicherten sich Bauern im Winter Nutzungsrechte an Olivenpressen, die sie bei einer üppigen Ernte gewinnbringend weitervermieten konnten. In Asien wurde bereits im 17. und 18. Jahrhundert Reis "auf Termin" verkauft. Richtig ins Rollen kam das Geschäft schließlich 1848, als der Startschuss für die weltgrößte Warenterminbörse CBOT in Chicago fiel. An ihr werden heute die wichtigsten Agrar-Futures gehandelt, etwa für Mais, Weizen oder Soja.

100-Milliarden-Dollar-Markt

Die Aussicht auf hohe Renditen hat in den vergangenen Jahren viel Kapital in die Rohstoffmärkte gezogen. Dies wurde auch möglich, weil frühere Handelsbeschränkungen seit den 1990er Jahren Schritt für Schritt gelockert wurden. Sorgten früher beispielsweise Positionslimits dafür, dass ein einzelner Marktakteur nicht zu groß und dominant werden konnte, wurde diese Beschränkung aufgeweicht. Später wurden auch Indexfonds für Agrarrohstoffe zugelassen. Mit diesen Produkten können Anleger wie bei Aktienindizes auf die Preisentwicklung von ganzen Rohstoffkörben spekulieren. Das investierte Geld dieser Fonds fließt dabei oft direkt in die Warenterminmärkte. Rohstoffe wurden dadurch mehr und mehr zu einer eigenen Anlageklasse.

Flossen im Jahr 2003 noch rund 25 Mrd. US-Dollar Anlegergeld in rohstoffbezogene Finanzprodukte, waren es acht Jahre später bereits mehr als 400 Mrd. US-Dollar. Rund jeder vierte Dollar steckt dabei in Produkten des Agrarsektors. In Deutschland haben hiesige Finanzakteure nach Berechnungen der Organisation Oxfam Ende 2011 insgesamt rund 11,4 Mrd. Euro in Agrarrohstoffen angelegt, den Löwenanteil von mehr als 10 Mrd. Euro dabei die Allianz samt der Tochter PIMCO und die Deutsche Bank. So weit, so unstrittig. Doch was bedeutet die Kapitalflut das für die Rohstoffpreise? Hier scheiden sich die Geister.

Henne und Ei

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Wildes Treiben an den Terminmärkten: Das Handelsvolumen mit Agrarfutures hat sich in den vergangenen Jahren vervielfacht.

(Foto: REUTERS)

Eigentlich müsste die Sache klar sein: Steigt durch das Anlegergeld die Nachfrage, zieht das die Preise nach oben. Die Crux: Vom Anlegergeld werden nicht physische Rohstoffe gekauft, die dann im Auftrag des Kunden verwahrt werden, sondern Termingeschäfte eingegangen. Die wiederum funktionieren nach ganz eigenen Spielregeln.

Die allermeisten Termingeschäfte werden rechtzeitig glattgestellt, so dass die gehandelten Güter nicht fällig werden. Gerade einmal bei zwei Prozent der Futures-Kontrakte wird zur Fälligkeit tatsächlich das vereinbarte Gut geliefert. Darüber hinaus bedeutet Nachfrage an den Terminmärkten nicht automatisch die Wette auf steigende Kurse. Anleger können auch auf fallende Preise wetten und so ein Preissignal in die entgegengesetzte Richtung senden.

Schließlich gibt es ein grundlegendes Problem von Ursache und Wirkung: Die Preise von Termingeschäften hängen zwar mit den "echten" Rohstoffpreisen an den Spotmärkten zusammen, doch nicht zwangsläufig als Einbahnstraße. Wenn die Kurse von Mais-Futures plötzlich stark steigen, könnte es sein, dass dies Käufer an den Märkten für die sofort gelieferten Waren beeinflusst und dadurch der Maispreis ebenfalls anzieht. So argumentieren einige Studien, etwa der Organisationen Oxfam oder Misereor. Nach der gleichen Logik könnte jedoch auch beispielsweise ein Nachfrageschub am Spotmarkt für Mais den Preis nach oben ziehen und damit Investoren den Terminmärkten das Signal zum Einstieg geben. Dann wären es aber nicht Indexfonds, die den Preis treiben, sondern tatsächlich fundamentale Marktveränderungen. So ist beispielsweise der Reispreis in den vergangenen Jahren ebenfalls massiv gestiegen, ohne dass Indexprodukte ein Investment ermöglicht hätten.

Wenn der starke Kapitalzustrom in die Rohstoffmärkte schon nicht eindeutig für die steigenden Preise verantwortlich gemacht werden kann, so sehen kritische Stimmen wie etwa die UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD jedoch Gefahren durch das oft an den Finanzmärkten zu beobachtende Herdenverhalten. Folgen viele Investoren im Gleichschritt aktuellen Anlagetrends, dann kann dies zu Übertreibungen und starken Schwankungen bei den Preisen führen. Doch auch hierzu fehlen bislang handfeste Erkenntnisse, ob diese Schwankungen tatsächlich zu ungünstigen Auswirkungen auf die echten Lebensmittelpreise führen. So gibt es beispielsweise auch Studien, die den Terminmärkten das genaue Gegenteil attestieren, nämlich stabilere Preise.

Unbestritten führen starke Preissprünge zu dramatischen Folgen, insbesondere in Entwicklungsländern. Die Schuld dafür jedoch ausschließlich an den Finanzmärkten zu suchen, wäre zu kurz gesprungen. Sowohl die Nachfrage als auch das Angebot von Agrarrohstoffen ändert sich dramatisch und führt absehbar zu einer immer größerer Knappheit von Nahrung. Wenn Spekulanten dieser Entwicklung vorweggreifen, um davon zu profitieren, sind nicht die Spekulanten die Ursache für die Preissprünge, sondern noch immer die steigende Knappheit. Aus einem moralischen Dilemma entlässt dies die Nahrungsmittelspekulanten jedoch nicht: Wer auf steigende Agrarpreise wettet, profitiert mit barer Münze vom wachsenden Hunger in der Welt.

Quelle: ntv.de

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