Ikone stabiler Geldpolitik Tietmeyer - der streitbare Bundesbanker
18.08.2016, 07:53 Uhr
Hans Tietmeyer war mit Helmut Kohl nicht immer einer Meinung.
(Foto: dpa)
Er war der letzte Bundesbank-Chef der D-Mark-Ära - und der erste deutsche Vertreter in der EZB. Auch nach seiner Zeit als Notenbanker setzte sich Hans Tietmeyer vehement für stabile Preise und einen harten Euro ein. Nun wird er 85.
Hans Tietmeyer hat die Staatsschuldenkrise im Euroraum kommen sehen. Jahre bevor hoch verschuldete Staaten und klamme Banken die Einheitswährung an den Rand des Scheiterns katapultierten, hatte der frühere Bundesbank-Präsident (1. Oktober 1993 bis 31. August 1999) solide Staatsfinanzen, grundlegende Reformen und eine engere politische Union angemahnt. Der Diplom-Volkswirt "mit preußischer Disziplin" war der letzte Bundesbank-Chef mit der ganzen Machtfülle der D-Mark - und der erste, der im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) sein Gewicht für Deutschland in die Waagschale warf. Am Donnerstag wird Tietmeyer 85 Jahre alt.
Er folgte auf Helmut Schlesinger an der Spitze der Bundesbank. Der Ökonom scheute keinen Konflikt mit der Regierung und kritisierte mehrfach wirtschaftspolitische Entscheidungen. So bezeichnete der gebürtige Westfale die Währungsumstellung in der DDR 1990 im Verhältnis 1:1 als großen Fehler.
Als CDU-Mitglied verfasste er 1982 für den damaligen FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff das "Lambsdorff-Papier", das den Bruch der sozialliberalen Regierung und den Sturz von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) einleitete. Seine Standfestigkeit hat Tietmeyer in einem Interview einmal selbst so beschrieben: "Westfälische Eichen können schon einiges aushalten."
"Greenspan Europas"
Auch nach seiner Zeit in Frankfurt ließ die Sorge um den Euro Tietmeyer nicht zur Ruhe kommen. Insider nannten ihn die "Ikone der Geldpolitik", oder in Anlehnung an den legendären amerikanischen Notenbank-Präsidenten Alan Greenspan den "Greenspan Europas". Sein Wort hatte Gewicht. Das nutzte der Marktliberale, um unermüdlich für eine politische Union Europas zu werben, die den Euro institutionell absichern sollte: "Der Euro braucht mehr politische Gemeinsamkeit." Nur dann könne die Währung stabil bleiben.
Die hohen Defizite vieler Eurostaaten und die Aufweichung des Euro-Stabilitätspaktes waren Tietmeyer ein Dorn im Auge. 2005 betonte er, Europa habe in der Fiskaldisziplin erhebliche Probleme: "Das heißt, es geht darum, dass die Länder, die heute große Defizite und hohe Schuldenstände haben, nachhaltige Korrekturen vornehmen, die das Defizit - vor allem von der Ausgabenseite her - begrenzen. Denn das ist das Entscheidende." Nur so könne Vertrauen bei den Menschen und bei den Investoren geschaffen werden.
Im Fadenkreuz der RAF
Gern schilderte der Westfale seine Gedanken sachlich und trocken. So gab Tietmeyer die Anekdote zum Besten, er habe 1998 im Jahr der Euro-Einführung das Orakel von Delphi gefragt, welche Währung auf Dauer stabiler sein werde: die Mark oder der Euro. Zur Antwort habe er erhalten: "Die Mark nicht der Euro." Offen ließ Tietmeyer, welche Währung es denn nun sei - an welcher Stelle das Orakel das Komma setzte, ob vor oder nach dem "nicht", klärte er bewusst nicht auf.
Tietmeyer begann seine Karriere 1962 als Beamter im Bonner Wirtschaftsministerium. Zwanzig Jahre später wechselte er als Staatssekretär ins Bundesfinanzministerium. Als persönlicher Beauftragter bereitete er für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die internationalen Wirtschaftsgipfel vor. Die terroristische RAF scheiterte 1988 mit einem Anschlag auf ihn.
Nach seiner Zeit in Frankfurt saß Tietmeyer in zahlreichen Gremien und Aufsichtsräten. Als Vorsitzender des Kuratoriums der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" trieb der zweifache Vater zwölf Jahre lang die Erneuerung der Marktwirtschaft voran. Sein Nachfolger Wolfgang Clement lobte ihn beim Amtsantritt: "Ich fühle mich geehrt und bin stolz, die Nachfolge von Prof. Dr. Tietmeyer antreten zu dürfen - eines Mannes, der sich große Verdienste um Deutschland erworben hat."
Quelle: ntv.de, Jörn Bender, dpa