Wirtschaft

Ex-Wirecard-Manager meldet sich Was bedeutet Jan Marsaleks rätselhafter Brief?

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Marsalek, der bei Wirecard fürs Asien-Geschäft zuständig war, tauchte vor drei Jahren ab. Vermutlich lebt er in Russland.

Marsalek, der bei Wirecard fürs Asien-Geschäft zuständig war, tauchte vor drei Jahren ab. Vermutlich lebt er in Russland.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Der seit Jahren international gesuchte Ex-Wirecard-Manager Marsalek meldet sich überraschend zu Wort. Seine Erklärung stützt die Version von Ex-Unternehmenschef Braun. Das Gericht ignoriert das Schreiben zwar, es nährt aber Mutmaßungen, dass Wirecard eine riesige Geldwaschanlage war.

Als der Wirecard-Skandal mit all seinem Versagen der Aufsichts- und Ermittlungsbehörden seinen Lauf nahm, starb am 27. Juli 2020 - fast auf den Tag genau einen Monat nach der Pleite des Unternehmens – urplötzlich der Asien-Chef des damaligen DAX-Konzerns in der philippinischen Hauptstadt Manila. Christopher B. wurde 45 Jahre alt. Er war ein enger Vertrauter des ehemaligen Wirecard-Vorstands Jan Marsalek.

Zwei Jahre später bezweifelte Wolfgang Wieland, der Sonderermittler des Bundestagsausschusses, der das Wirecard-Debakel monatelang untersuchte, die offizielle Version vom Ableben des Top-Managers. Stutzig machte ihn, dass der medizinische Bericht des Krankenhauses, in dem B. verstorben sei, ebenso wenig nach Deutschland übermittelt worden war wie ein Foto der Leiche.

Falls an Wielands Mutmaßungen etwas dran war: B. hätte guten Grund gehabt abzutauchen. Er leitete ganz nebenbei Unternehmen, die als Drittpartner von Wirecard Umsätze im mehrstelligen Millionenbereich machten, so es die Geschäfte wirklich in dem Ausmaß gegeben hat. In jedem Fall dienten die Geldsummen dazu, Anlegern und Wirtschaftsprüfern ein Treuhandvermögen von 1,9 Milliarden Euro vorzugaukeln.

Im März 2020 verlangten die Bilanzprüfer von EY, die jahrelang nichts monierten, eine kurzfristige Abbuchung von 110 Millionen Euro - ein Test. Nachdem Wirecard eingewilligt hatte, machte B. in einer Botschaft an Marsalek seinem Ärger Luft: "Sag mal, seid ihr jetzt von allen guten Geistern verlassen worden?" Das Geld floss nicht ab – konnte auch gar nicht. Dadurch flog der Schwindel auf, EY zog die Reißleine: Die 1,9 Milliarden Euro existierten nicht - oder sind veruntreut worden. Philippinische Strafverfolger prüften den Verdacht auf Geldwäsche gegen B.

Keine konkreten Angaben zu den Vorwürfen

Marsalek, der für das Asien-Geschäft zuständig war, flüchtete. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt, vermutlich lebt er in Russland. Nun meldete sich der mit internationalem Haftbefehl Gesuchte überraschend zu Wort. In einem Schreiben an das Landgericht I in München, wo der Wirecard-Prozess gegen Ex-Vorstandschef Markus Braun und zwei weitere Beschuldigte läuft, ging Marsalek nach allem, was dazu bislang bekannt ist, nicht konkret auf gegen ihn erhobene Vorwürfe ein. Allerdings machte er Angaben zum Drittpartnergeschäft, das entscheidend für das Verfahren ist. Der Anklage zufolge hatte es das nie gegeben, die Riesenbeträge waren demnach Luftnummern.

Der flüchtige Österreicher soll in seinem Brief nun mehr oder weniger deutlich widersprochen und einem Bericht der "Wirtschaftswoche" zufolge erklärt haben, dass das Geld aus Deals mit Drittfirmen "sehr wohl existierte". Das stützt die Aussagen Brauns, der sich als Opfer übler Machenschaften sieht, hinter denen Marsalek stecke, der den Konzern zusammen mit Komplizen geplündert habe. Braun will davon nichts gewusst haben. Der Darstellung widerspricht der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, Oliver Bellenhaus, den Marsalek in seinem Schreiben in die Pfanne haut.

Das Motiv von Marsaleks Einlassung bietet jede Menge Raum für Spekulationen. Es könnte recht banal sein, dass der Österreicher die Nase voll hat von der Flucht, seine Rückkehr vorbereitet und deshalb die Version Brauns stützt in der Hoffnung, selbst strafrechtlich möglichst ungeschoren davonzukommen. Denn auch Marsalek müsste individuell nachgewiesen werden, dass er die Milliarden abgezweigt hat. Vielleicht ist das der Grund, warum er Bellenhaus anschwärzt, um einen Sündenbock aufzubauen. Schon vor mehr als einem Jahr soll ein Mittelsmann Marsaleks dem Bundesnachrichtendienst ein Treffen mit dem Gesuchten angeboten haben, was der BND dem "Spiegel" zufolge aus Sorge abgelehnt hatte, "die deutschen Agenten könnten in eine verfängliche Situation gelockt werden, um sie vorzuführen".

Da Marsalek mit seinem Brief die Version des Hauptangeklagten untermauert, ist nicht verwunderlich, dass sich Brauns Anwalt Alfred Dierlamm dafür stark macht, die Erklärung im Prozess zu verlesen - und der Verteidiger von Bellenhaus, Florian Eder, dagegen aufbegehrt: "Man kann viel schreiben und viel sagen, man muss aber nicht alles glauben."

Der Vorsitzende Richter Markus Födisch lehnte eine Veröffentlichung des Inhalts ab. Dazu müssten dem Schreiben Dokumente wie Firmenunterlagen oder Kontoauszüge als Belege beigelegt worden sein, was aber nicht der Fall ist. Kurzum: Die Beweiskraft ist fragwürdig. Das Gericht würde Marsalek sicher gerne als Zeugen einbestellen. Aber der Österreicher wird eine Einladung ausschlagen, solange er Verhaftung und eine langjährige Gefängnisstrafe befürchten muss.

Neue Nahrung durch die Erklärung Marsaleks erhalten Mutmaßungen, wonach Wirecard eine riesige Waschanlage für schmutziges Geld war und dafür insbesondere Asien genutzt worden war. Bekannt sind die Daten Hunderttausender Überweisungen des Jahres 2018 über Konten der Wirecard-Bank, die sich Marsalek unzulässig im Juni 2019 besorgt hatte, und die in dessen Mail-Postfach entdeckt worden waren.

Offene Fragen

Nach ARD-Recherchen zeigen die Angaben, dass Drittpartner von Wirecard "mit Sitz auf den Philippinen hohe Millionenbeträge von zahlreichen Firmen überwiesen bekommen haben". Bleibt die Frage, ob das Geld, das Wirecard dafür erhielt, der vertraglich vereinbarte – also legale – Anteil an den Geschäften war, oder ob hinter den Beträgen kriminelle Deals steckten, die mit dem Konzern nichts zu tun hatten. Hohe Millionenbeträge gingen an Briefkastenfirmen in der Karibik oder Asien.

Die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) – auch Geldwäsche-Spezialeinheit genannt – hatte im Fall Wirecard Hinweise auf mehr als 700 Transaktionen von insgesamt 180 Millionen Euro aus vermutlich schmutzigen Geschäften. Die Behörde hatte die Informationen erst weitergegeben, als Wirecard schon pleite war. Der Linken-Politiker Fabio De Masi, der Wirecard als großes Betrugssystem zur Geldwäsche betrachtet, meinte denn auch schon vor Monaten: "Mein Eindruck ist, dass viele Leute - auch in den Sicherheitsbehörden - doch recht zufrieden sind, wenn Herr Marsalek wegbleibt. Auch für Herrn Braun ist das übrigens ganz sinnvoll, weil dann kann er vor Gericht so tun, als sei er einfach nur der dümmste CEO Deutschlands gewesen und auch Opfer von Jan Marsalek."

Quelle: ntv.de

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