Die Rettung der Lufthansa vor einer Pleite hängt vom Willen ihres neuen Großaktionärs ab. Der Milliardär Heinz Hermann Thiele will sich nicht festlegen, ob er das Hilfspaket verhindern wird. Über seine Motive wird gerätselt.
Wenn am Donnerstag über die Rettung der Lufthansa entschieden wird, spielt ein Mann die entscheidende Rolle: Heinz Hermann Thiele. Der Milliardär ist Großaktionär der Airline und lässt offen, ob er dem Hilfspaket der Bundesregierung zustimmt. Sollte er sich tatsächlich querstellen, dürfte die Lufthansa in die Insolvenz schlittern.
Der 79-Jährige hatte sich günstig mit rund 15 Prozent bei der Lufthansa eingekauft, als der Aktienkurs wegen der Corona-Pandemie in den Keller gestürzt war - und hat ein Problem mit dem ausgehandelten Rettungspaket. Vor allem stört ihn, dass der Staat mit 20 Prozent der Stimmrechte bei der Airline einsteigt. "Ich bin der festen Überzeugung, dass der Staat nicht der beste Unternehmer ist", so Thiele in einem Interview mit der "FAZ".
Ihn dürfte auch ärgern, dass der Bund über eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zum größten Lufthansa-Anteilseigner werden soll. Damit wird der Wert der Aktien in Händen der übrigen Anteilseigner verwässert.
Sein Stimmverhalten auf der Hauptversammlung ließ Thiele offen. "Ich werde aber sicherlich hier nicht blockieren oder ausbremsen", so der Unternehmer. Er hofft vielmehr, dass er noch etwas ändern kann. Dann werde er sich eine "abschließende Meinung" bilden.
Zerschlagung denkbar
Gelegenheit dazu könnte es bei neuen Gesprächen mit dem Bund geben. Thiele werde im Laufe des Tages mit Finanzminister Olaf Scholz und Lufthansa-Chef Spohr zusammenkommen, berichtete die "Bild am Sonntag". Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge ist auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier dabei.
Es gilt allerdings als äußerst unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung das mühsam ausgehandelte Rettungspaket aufschnüren wird. Vor diesem Hintergrund ist offen, was Thiele bezweckt - zumal er die Rettung einer Insolvenz im Schutzschirmverfahren vorziehen dürfte.
Spekuliert wird, dass Thiele möglicherweise davon ausgeht, auch bei einer Insolvenz zu profitieren - nämlich dann, wenn die Lufthansa filetiert wird. Dahinter steht die Annahme, dass eine Zerschlagung der Lufthansa mit dem Verkauf der Töchter Austrian und Swiss sowie der Lufthansa-Technik ein gutes Geschäft wäre. Hinzu kommt noch die Lufthansa-Flotte, die Milliarden wert ist. Die "Zeit" berichtet unter Berufung auf einen Insider, dass bei einer Insolvenz mit Zerschlagung unter Berücksichtigung der Schulden mindestens eine Milliarde Euro mehr übrig wäre als der gegenwärtige Börsenwert. Ob der Selfmade-Milliardär das tatsächlich in Erwägung zieht, ist allerdings offen. Zumal es fraglich ist, ob Thiele als Totengräber der Lufthansa mit 138.000 Arbeitsplätzen gelten will.
Dass Thiele mit seinem 15-Prozent-Anteil die Rettung blockieren kann, liegt daran, dass nur wenige Aktionäre an der Hauptversammlung teilnehmen werden. "Seit heute Nacht wissen wir, dass unsere Aktionäre weniger als 38 Prozent des Kapitals für diese Hauptversammlung angemeldet haben", schrieb Lufthansa-Chef Spohr am Morgen an die Mitarbeiter. Da weniger als die Hälfte des stimmberechtigten Kapitals anwesend sein wird, ist nun für die Zustimmung zum Hilfspaket eine Zweidrittelmehrheit nötig - sonst hätte eine einfache Mehrheit gereicht.
Fest steht: Thiele geht Widerständen nicht aus dem Weg. Bei Knorr-Bremse arbeitete er sich vom Sachbearbeiter zum Hauptaktionär empor und formte den Münchner Konzern zum weltgrößten Bremsenlieferanten für Züge und Lastwagen. Das Magazin "Forbes" schätzt sein Vermögen auf 15 Milliarden Dollar.
"Viel zu hart und viel zu brutal"
Mit einer Bieterschlacht um den schwedischen Knorr-Rivalen Haldex verhinderte der Unternehmer in den vergangenen Jahren dessen Übernahme durch den Autozulieferer ZF Friedrichshafen. Den Bahntechnikhersteller Vossloh übernahm Thiele 2019 gegen alle Widerstände. Dass es bei der Durchsetzung seiner Pläne gelegentlich zum Streit kommt, nimmt er zur Kenntnis. "Er hat seinen eigenen Kopf", sagt ein früherer Weggefährte.
Der geborene Mainzer studierte in München Rechtswissenschaften und begann seine Karriere 1969 als Sachbearbeiter in der Patentabteilung des Traditionsunternehmens Knorr-Bremse. Bald stieg er ins mittlere Management und später zum Vorstandschef auf. Als sich die damaligen Gesellschafter zerstritten, übernahm Thiele ab Ende 1985 Stück für Stück das kriselnde Unternehmen und brachte es mit einem globalen Expansionskurs wieder in die Spur. Im Jahr 2018 folgte der Börsengang, bei dem der Patriarch mit gut 70 Prozent der Anteile seine Macht behielt. 2019 erwirtschaftet der Konzern mit 29.000 Mitarbeitern, bei einem Umsatz von 6,9 Milliarden Euro, 632 Millionen Euro Gewinn.
Thieles Vorstellungen und seine enge Begleitung des Unternehmens führten wiederholt dazu, dass Spitzenmanager den Konzern verließen. Nach dem erfolgreichen Börsengang verabschiedete sich Vorstandschef Klaus Deller Knall auf Fall. Als Grund nannte das Unternehmen "unterschiedliche Auffassungen von Führung und Zusammenarbeit", lobte aber zugleich Dellers Strategie. Bald darauf kündigte auch Finanzvorstand Ralph Heuwing seinen Rückzug an, nachdem der frühere Linde-Vorstand Bernd Eulitz zum neuen Chef gekürt worden war.
Auch mit Gewerkschaften liegt Thiele über Kreuz. Knorr-Bremse verließ vor Jahren den Arbeitgeberverband. Der Haustarifvertrag sieht gegenüber dem Flächentarif sieben Stunden Mehrarbeit in der Woche vor. Die Bedingungen in seinen Unternehmen seien hart für die Arbeitnehmer, so ein Kenner. Dank seines Erfolgs als Unternehmer sei es aber selten zu Entlassungen gekommen.
Als Thiele vor einigen Jahren gefragt wurde, ob er sich vorstellen könne, dass seine Tochter die Nachfolge antritt, antwortete er unverblümt: "Nein". Das gehe biologisch nicht, da Frauen Kinder wollten - und das ließe sich nicht mit der Arbeit in Konzernspitzen vereinbaren, schließlich gehe es dort "viel zu hart und viel zu brutal" zu.
Quelle: ntv.de, mit dpa/rts