Wirtschaft

Fehlgeleitete Corona-Hilfen Wenn die Zuschüsse bei den Falschen landen

Eigentlich waren die Zuschüsse nur für die gedacht, die Mieten für Geschäftsräume zahlen müssen und jetzt keine Umsätze haben, weil die Läden geschlossen sind.

Eigentlich waren die Zuschüsse nur für die gedacht, die Mieten für Geschäftsräume zahlen müssen und jetzt keine Umsätze haben, weil die Läden geschlossen sind.

(Foto: picture alliance/dpa)

Bund und Länder haben Milliardenprogramme aufgelegt, damit Selbstständige und Kleinstunternehmer ihre Mieten weiter zahlen können und nicht in Existenznot geraten. Doch ein Teil der Zuschüsse landet bei denen, die gar keine Betriebskosten haben. Der Staat steckt in einem Dilemma.

Da ist der Immobilienmakler, der selbstständig auf Provisionsbasis arbeitet - mit seiner Privatwohnung als Büro. Da ist der Angestellte, der im Nebenjob auf eigene Rechnung als Handwerker arbeitet, aber in den vergangenen Jahren nicht einmal eine Handvoll Aufträge hatte. Oder der Tanzlehrer, der auf Honorarbasis arbeitet und kein eigenes Tanzstudio hat. Sie alle haben eines gemeinsam: Auf ihren Konten ist in den vergangenen Tagen eine Geldspritze eingegangen - 14.000 Euro "Zuschuss", die der Staat ihnen überwiesen hat, um die Folgen der Corona-Krise abzufedern. In Berlin, woher alle diese realen Beispiele stammen, zahlt das Land Solo-Selbstständigen und Miniunternehmen eine Soforthilfe von 5000 Euro - zusätzlich zu den 9000 Euro, die der Bund bereitstellt.

Die Bundesländer, die für den Bund dessen 50 Milliarden schweres Hilfsprogramm abwickeln und teilweise noch eigene Programme als Ergänzung anbieten, können sich in diesen Tagen vor Hilfsanträgen von Selbstständigen und Kleinstunternehmen kaum retten. In Berlin ist der Fördertopf des Landes inzwischen sogar schon leer, wie am Wochenende bekannt wurde. Wer sich auf die Zusage des Senates verlassen hat, dass genug Geld für alle da sei und es nicht darauf ankomme, wann der Antrag eingereicht werde, dem bleibt jetzt nur noch das Bundesprogramm. Ein Grund dafür: Ein Teil der Berliner Soforthilfen ist auch an Empfänger geflossen, für die das Hilfspaket gar nicht gedacht ist.

Wenn Politiker über Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmer sprechen, deren Corona-bedingte Einnahmeausfälle die Staatszuschüsse ausgleichen sollen, nennen sie gerne eingängige Beispiele: der Fotograf mit einem kleinen Studio etwa, der Physiotherapeut mit eigener Praxis oder der kleine Blumenhändler, der einen eigenen Laden betreibt. Die Zuschüsse, so heißt es, sollten ihnen ermöglichen, trotz der Umsatzverluste ihre Mieten weiterzubezahlen - gemeint sind: die Mieten für ihre Geschäftsräume. Gleiches gilt etwa für die Betreiber von Restaurants und Cafés oder Einzelhändler.

Doch Recherchen des Wirtschaftsmagazins "Capital" legen nahe, dass in dem Ansturm auf die Zuschüsse in der vergangenen Woche auch ganz andere Antragsteller einen Zuschlag bekommen haben. Dazu zählen selbstständige Musiker, Dozenten, Fitnesstrainer, IT-Berater oder Ausfahrer für Amazon und Essenslieferdienste, die auf selbstständiger Basis arbeiten. Auch diese Berufsgruppen verzeichnen zwar durch die Corona-Krise teils erhebliche Umsatzausfälle. Sie alle müssen aber keine geschäftlichen Mieten finanzieren und haben keine nennenswerten Betriebsausgaben, wenn sie nicht arbeiten.

Und um zu verhindern, dass solche Solo-Selbstständigen bei Verdienstausfällen durch das soziale Netz fallen, hält der Staat ein anderes Hilfsinstrument vor: die sogenannte Grundsicherung, die die persönlichen Lebenshaltungskosten und die private Warmmiete abdeckt. Als Reaktion auf die Corona-Krise hat die Bundesregierung auch hier bereits Verbesserungen beschlossen, indem sie den Zugang vereinfacht und die Leistungen ausgeweitet hat.

So viel Geld auf dem Konto wie nie

Für manche Kleinstunternehmer mit geringen Einkünften ist das Sofortprogramm von Bund und Ländern allerdings jetzt sogar zu einer unverhofften Finanzspritze geworden. Nicht wenige Solo-Selbstständige in Berlin, die auf einen Schlag 9000 Euro vom Bund und 5000 Euro vom Land überwiesen bekommen haben, haben plötzlich so viel Geld auf dem Konto wie noch nie. Darunter seien auch Empfänger, die ohne laufendes Geschäft gar keine Betriebsausgaben wie eine Miete haben, berichten Personen, die mit den Anträgen vertraut sind. Oder auch Miniunternehmer, die vor dem Ausbruch der Corona-Krise aufgrund niedriger Einkünfte noch nie Umsatz- oder Einkommensteuer bezahlen mussten. Manch einer würde sich deshalb schon fragen, was er mit dem Geld anfangen solle.

Schilderungen wie diese weisen auf ein erhebliches Dilemma hin, in dem der Staat in diesen Tagen steckt: Zum einen müssen seine Hilfen schnell ankommen, damit beispielsweise Restaurants oder andere Einzelhändler, die wegen der verfügten Schließungen seit Wochen keinen Euro Umsatz machen, nicht pleitegehen. Umfangreiche Einzelfallprüfungen der Hilfsanträge werden dadurch unmöglich. Auf der anderen Seite muss der Staat aber auch sicherstellen, dass seine Hilfsangebote nicht missbraucht werden.

Neben dem erforderlichen Rekordtempo ist es die schiere Masse an Anträgen, die diesen Zielkonflikt verschärft. Bundesweit haben Kleinstunternehmer die Förderbanken der Länder, über die die Programme abgewickelt werden, mit Hunderttausenden Anträgen überschwemmt. Allein in Berlin wurden seit Ende März über die Investitionsbank Berlin (IBB) 150.000 Anträge mithilfe einer IT-gestützten Prüfung bewilligt - bei einer Gesamtzahl von rund 200.000 Selbstständigen in der Hauptstadt. Nicht wenige Antragsteller waren schwer beeindruckt, wie schnell das Geld auf ihrem Konto war. Doch das Tempo hat einen Preis: Mit dem automatisierten Verfahren lassen sich nur Basisdaten verifizieren. Zwar gelang es auf diese Weise etwa, Mehrfachanträge herauszusieben. Doch schon manche Antragsteller, die im Hauptjob Angestellte sind und nur nebenbei einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen, rutschten offensichtlich durch das Raster.

Kontrolle durch das Finanzamt

Die IBB ist trotz dieser besonderen Umstände dennoch überzeugt, dass die Soforthilfe auch bei den richtigen Empfängern ankommt. Ein Sprecher sagte "Capital" auf Anfrage, man wolle zwar nicht ausschließen, dass es in einzelnen Fällen Auszahlungen an Personen gegeben habe, die keinen Anspruch auf die Hilfen haben. Gemessen an der großen Gesamtzahl der Anträge seien solche Fälle allerdings "verschwindend gering".

Ohne Weiteres auf die Angaben der Antragsteller verlassen will sich die Berliner Förderbank allerdings nicht. In diesen Tagen erhalten die 150.000 Empfänger des Zuschusses eine E-Mail von der IBB. Ihr Inhalt: eine Steuerbescheinigung sowie Hinweise zu den Rechten und Pflichten der Zuschussempfänger, die ihre Angaben im Antrag per eidesstattlicher Versicherung bestätigt haben - inklusive Informationen zum Thema Subventionsbetrug. Man gehe davon aus, dass die Finanzbehörden bei der Überprüfung der jeweiligen Steuererklärung im kommenden Jahr genau hinschauen werden, ob der Empfänger ein Anrecht auf die Corona-Hilfen hatte, heißt es bei der IBB.

Nicht überrascht wäre man bei der Berliner Förderbank deshalb, wenn sich nach dem Erhalt der E-Mail manch ein Empfänger mit der Frage melden würde, wie man das Geld zurückzahlen könne. Auch Personen, die mit den Anträgen vertraut sind, gehen davon aus, dass die wenigsten Antragsteller, die eigentlich keinen Anspruch auf die Soforthilfe haben, tatsächlich mit Betrugsabsicht gehandelt haben. Durch den plötzlichen Corona-Schock seien viele in Panik geraten, wie sie die nächsten Wochen überstehen. Und auch die Kommunikation der Politik könnte zu einem Missverständnis beigetragen haben: Bei dem Begriff "Zuschuss" dachten manche womöglich an ein Geschenk des Staates - und zwar für jeden, der wegen der Corona-Krise weniger Einnahmen hat.

Der Artikel erschien am 7. April 2020 bei Capital.de

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen