
Bei dem Anschlag am 11. April vor dem Champions-League-Heimspiel gegen Monaco waren der Spieler Marc Bartra und ein Polizist verletzt worden.
(Foto: REUTERS)
Die Ermittler sprechen von einer "perfiden Form von Manipulation". Der mutmaßliche BVB-Attentäter wettete auf einen Absturz der Aktie - und wollte mit einem Anschlag auf die Profis nachhelfen. Das hätte durchaus funktionieren können.
Als im April Sprengsätze in der Nähe des Mannschaftsbusses von Borussia Dortmund explodieren, wird zunächst ein Terroranschlag vermutet. Doch das Motiv ist ein anderes: Der mutmaßliche Attentäter Sergej W. wollte offensichtlich einen Kurssturz der Aktien des Fußballvereins verursachen - und dadurch viel Geld verdienen. Ab heute muss er sich vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm 28-fachen Mordversuch vor.
Es mag widersinnig klingen, sich fallende und nicht steigende Kurse zu wünschen. Doch an den Finanzmärkten gibt es Möglichkeiten, von sinkenden Kursen zu profitieren. W. hat der Staatsanwaltschaft zufolge verschiedene solcher Finanzprodukte gekauft - und dafür einen Kredit aufgenommen.
Unter anderem erwarb W. demnach sogenannte Put-Optionsscheine. Und an denen lässt sich erklären, wie mit fallenden Kursen Geld verdient werden kann.
Optionsscheine sind im Prinzip ein Recht auf einen Deal. Sie erlauben beispielweise, eine bestimmte Menge von Aktien innerhalb einer festgelegten Zeitspanne zu einem vorher vereinbarten Preis zu kaufen - oder eben zu verkaufen. Durch sogenannte Call-Optionsscheine verdient man mit Kurssteigerungen der zugrundeliegenden Aktie Geld, mit Put-Optionsscheinen profitiert man von deren Kursverlusten. Der mutmaßliche Attentäter hatte Put-Optionsscheine gekauft. Er wettete also auf eine fallende BVB-Aktie.
Hohe Gewinne mit wenig Einsatz
Optionsscheine werden an der Börse gehandelt, man kann sie innerhalb ihrer Laufzeit jederzeit kaufen oder verkaufen - in der Regel schwankt ihr Preis stark. Ihr Wert hängt vom aktuellen Kurs der zugrundeliegenden Aktie und deren Volatilität ab. Hinzu kommt die Rest-Laufzeit des Optionsscheins.
Ein Beispiel: Ein Put-Optionsschein erlaubt, eine Aktie bis zu einem bestimmten Termin für 100 Euro zu verkaufen - unabhängig davon, wie hoch der Aktienkurs tatsächlich ist. Für dieses Recht bezahlt der Käufer des Optionsscheins beispielsweise zehn Euro.
Dieses Recht wird der Inhaber des Optionsscheins nur dann ausüben, wenn die Aktie unter einem Kurs von 100 Euro tendiert. Das heißt aber auch: Je niedriger der Kurs ist, umso wertvoller ist das vereinbarte Verkaufsrecht.
Ob man einen guten Deal macht, hängt also von dem Preis ab, den man für den Optionsschein bezahlt hat - in diesem Beispiel zehn Euro. Der Kurs der Aktie muss also von 100 auf 90 Euro sinken, damit zumindest kein Verlustgeschäft gemacht wird. Stürzt die Aktie dagegen auf 80 Euro ab, verdient man zehn Euro. Mit anderen Worten: Ein Kursverlust der Aktie um 20 Prozent bedeutet ein Profit von 100 Prozent mit dem Optionsschein.
Bei Optionsscheinen sind also mit relativ wenig Einsatz hohe Gewinne möglich. Allerdings können durch diese Hebelwirkung auch überproportional hohe Verluste entstehen - sogar ein Totalverlust ist je nach Art des Optionsscheins möglich. Daher ist es besonders riskant, diese Wetten mit einem Kredit zu finanzieren.
Und genau das hat Sergej W. gemacht. Er lieh sich dem "Spiegel" zufolge 40.000 Euro bei einer Bank und belastete seine Kreditkarte mit 5000 Euro. Davon steckte er rund 26.000 Euro in die Finanzprodukte - seine Wette ging aber nicht auf. Da glücklicherweise niemand lebensgefährlich verletzt wurde oder gar starb, blieb der große Kurssturz der BVB-Aktie aus. Der Staatsanwaltschaft zufolge erzielte W. durch den Verkauf seiner Optionsscheine und Kontrakte einen Profit von 5872,05 Euro. Im Höchstfall hätte der Gewinn allerdings bei mehr als 500.000 Euro liegen können.
Österreichischer BVB-Fan informiert Ermittler
Optionsscheine sind nicht per se Teufelszeug. Sie können beispielsweise dazu verwendet werden, sich gegen Kursverluste abzusichern. Und dass die Ermittler W. schnell auf die Spur kommen, liegt an einem Österreicher, der genau das gemacht hat. Wie der "Spiegel" berichtet, hatte der Börsenhändler und BVB-Fan einige Zeit vor dem Anschlag BVB-Aktien gekauft, sie waren mittlerweile stark gestiegen.
Zur Absicherung kaufte er Put-Optionsscheine - deren Wert steigt, wenn die Aktien fallen. Als sich Rudolf S. die aktuellen Kurse anschaut, fällt ihm etwas auf. "Ich habe die Umsätze mit den Wertpapieren gesehen und war mir sicher, dass sie etwas mit dem Anschlag zu tun haben müssen", sagte er dem "Kurier". Die Direktbank, bei der er die Kurse kontrolliert, ist zufälligerweise die gleiche Bank, die auch Sergej. W. nutzte. "Weder vorher noch nachher hatte jemand so viele Verkaufsoptionen auf die BVB-Aktie gekauft. Und schon gar nicht an der Börse in Frankfurt." Das ist allein deshalb auffällig, da für Optionsscheine die Derivate-Börse Stuttgart viel beliebter ist. Zudem hätte ein Profi die Produkte nicht in einem Paket, sondern während eines längeren Zeitraums stückweise gekauft.
Nach dem Attentat meldete sich S. bei den Ermittlern. "Ich glaube, das wurde nicht so ernst genommen", so der Österreicher. "Dann habe ich auch dem BVB eine Mail geschrieben". Der Verein wandte sich an die Bank, und diese erstattete Anzeige - die Sonderermittler wurden auf Sergej W. aufmerksam.
Kurz darauf wurde der 28-Jährige festgenommen. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, wertete das Attentat von Dortmund kurz nach der Festnahme als eine ganz neue Form der Kriminalität. "Das haben wir auch noch nicht erlebt, dass ein Anschlag, zu dem wir ermitteln, sich dann so entwickelt und am Ende sich als so eine perfide Form von Manipulation von Börsenkursen herausstellt", sagte Münch. "Das ist schon etwas völlig Neues."
Quelle: ntv.de