Wirtschaft

Beamte, Hamstervorräte, Drohnen Wie die EU sich für den Brexit-Ernstfall rüstet

Die Zeit für einen Brexit-Deal läuft ab. Ohne ihn wird Londons EU-Ausstieg zum Fiasko.

Die Zeit für einen Brexit-Deal läuft ab. Ohne ihn wird Londons EU-Ausstieg zum Fiasko.

(Foto: picture alliance / Dominic Dudle)

Die Verhandlungen zwischen Brüssel und London stehen vor dem Aus. Die EU bereitet sich schon auf den Super-GAU vor: den harten Brexit ohne Abkommen. Der Tag X ist ein Alptraum für Zollbeamte, Manager und Bürger.

Die Uhr tickt immer lauter, doch nach Panik darf es nicht aussehen. Am 30. März wird Großbritannien die EU verlassen. Die Frage ist, was genau an diesem Tag passiert. London und Brüssel ringen schon fast anderthalb Jahre vergeblich um ein Ausstiegsabkommen. Nach dem Rücktritt von Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis wackelt die Regierung von Theresa May bedenklich. Die Premierministerin wird zwischen Brexit-Hardlinern und Europa-Freunden in ihrer Partei zerrieben. Brüssel bereitet sich nun auf das Schlimmste vor.

"Die Vorbereitungen müssen unverzüglich auf allen Ebenen beschleunigt werden und alle möglichen Ergebnisse berücksichtigen", warnte die EU-Kommission am Donnerstag in einer dringenden Mitteilung an den Europäischen Rat, das EU-Parlament, die EZB und weitere EU-Institutionen. Die Planungen seien für Firmen, Behörden und Bürger von "überragender Wichtigkeit". In der Sprache der Brüsseler Bürokraten heißt das unmissverständlich: roter Alarm.

Bisher ist vorgesehen, dass London und Brüssel bis zum EU-Gipfel im Oktober einen Ausstiegsvertrag unterzeichnen, der dann noch von allen EU-Ländern ratifiziert werden muss. Im Frühjahr verlässt Großbritannien dann zwar die EU und verliert sein Stimmrecht in Brüssel. Bis Ende 2020 sollen aber in einer Übergangsphase alle EU-Vorschriften auf der Insel zunächst weitergelten.

Doch so wie es zurzeit aussieht, steuern die EU und Großbritannien auf die Klippe zu, den Cliff-Edge-Brexit - einen harten Ausstieg ohne Deal zwischen Brüssel und London. Die Gesetze der EU würden dann von heute auf morgen nicht mehr in Großbritannien gelten. Das Land würde über Nacht zu einem Drittstaat wie China, die USA oder Zimbabwe. Es ist völlig unklar, welche Rechte die Millionen EU-Bürger in Großbritannien und die britischen Bürger in der EU dann hätten. Kontrollen von Waren, Tieren und Pflanzen würden zu Mega-Staus am Euro-Tunnel, in den Häfen und an den Flughäfen führen. Wissenschaftler und Behörden, die bisher Geld aus Brüssel bekommen, hätten plötzlich keine Finanzierung mehr.

Der Zoll rüstet auf

Diskret rüstet die EU sich bereits mit Notfall-Plänen für das drohende Chaos. Am größten sind die Sorgen in den Zollbehörden. Denn am Tag X müssten die Grenzschützer plötzlich die gigantische Welle aus LKWs, Schiffen und Flugzeugen, die täglich Medikamente, Essen, Autos und andere Güter zwischen dem europäischen Festland und den britischen Inseln hin- und hertransportiert, inspizieren.

In den Niederlanden, wo ein Großteil der Waren-Karawane ankommt, wollen die Behörden laut "New York Times" fast 1000 neue Beamte für den größten europäischen Hafen in Rotterdam und die Flughäfen des Landes rekrutieren. Zudem stellen sie gerade bis zu 90 Veterinäre für die Kontrolle von Tieren und Lebensmitteln ein. Schiffe aus Großbritannien könnten bei einem harten Brexit in Rotterdam auch nicht mehr die Express-Fahrrinne benutzen, sondern würden viel genauer durchgecheckt. "Wir reden von tausenden Containern am Tag", zitiert die Zeitung einen Sprecher des holländischen Finanzministeriums.

In Belgien, wo sich mit dem Hafen von Antwerpen ebenfalls ein Hotspot für den Handel mit dem Vereinigten Königreich befindet, prüfen die Behörden laut dem Blatt die Anschaffung zusätzlicher Waffen, Spürhunde, Sicherheitsscanner und sogar Drohnen. Irland, das als einziges Land eine direkte Landgrenze mit Großbritannien hat, will wegen der wachsenden Unsicherheit über den Brexit-Deal seinen Zoll ebenfalls ausbauen. "Wir schätzen die Zahl der Leute, die wir im nächsten Jahr anstellen müssen auf etwa 1000. Das betrifft Zoll- und Veterinärinspekteure um unsere Häfen und Flughäfen auf den Brexit vorzubereiten", sagte der irische Premierminister Leo Varadkar am Mittwoch.

Und auch in Frankreich beschleunigt die Verwaltung die Einstellung von 700 zusätzlichen Zöllnern. "Wir stellen Tag für Tag fest, dass das Schlimmste vermieden werden sollte, es ist nicht unmöglich, dass es am Ende doch eintritt", mahnte Frankreichs Premierminister Édouard Philippe vergangene Woche. Der stellvertretende Bürgermeister der französischen Hafenstadt Calais hat bereits gewarnt, dass der Brexit zu Dauerstau führen könnte.

Firmen und Regierungen hamstern Vorräte

Zudem geht die Angst vor Versorgungsengpässen um. Irland prüft laut Medienberichten, einen Teil seiner nationalen Ölreserven zurück ins Land zu verlegen, weil die Notfallvorräte nur in einem EU-Land lagern dürfen. Zurzeit befinden sie sich in britischen Raffinerien. Airbus hat bereits damit gedroht, Großbritannien bei einem harten Brexit den Rücken zu kehren. Die Firma stellt die Flügel für ihre Flugzeuge auf der Insel her und beschäftigt 15.000 Menschen dort.

Weil viele Teile dafür aus anderen Airbus-Werken auf dem Kontinent hergestellt werden, würde das drohende Zoll-Chaos die Produktion wohl zum Erliegen bringen. Deshalb hat der Flugzeugbauer nun einen Notfallplan aktiviert und angefangen, Teile zu hamstern. "Wir sollten damit für kurze Zeit nach dem Ausstieg die Folgen abfedern können", sagte Airbus-Chef Tom Enders am Mittwoch. Auch andere Firmen stocken ihre Bestände auf oder wollen bald damit anfangen. Laut KPMG füllen sich die Lagerhäuser in Großbritannien gerade so schnell wie lange nicht.

Und selbst in Großbritannien werden die Verantwortlichen nervöser. Auch hier braucht der Zoll wohl bald tausende neue Mitarbeiter. Die britischen Gesundheitsverwalter machen sich Gedanken über die Notfallversorgung mit Medikamenten, Impfstoffen und radioaktiven Stoffen. In der Nähe von Dover soll bald ein Stück der Autobahn, die zu dem wichtigsten Hafen des Landes führt, in einen riesigen Parkplatz umgewandelt werden, wo LKWs auf ihre Abfertigung für den Kontinent warten. Denn dort könnte sich bei einem harten Brexit ein fast 30 Kilometer langer Stau bilden, berichtet die "New York Times". Bis die Schranken unten bleiben, ist nicht mehr viel Zeit.

Quelle: ntv.de

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