Was Erwachsene sexuell erregt Kann auch Kitzeln zum Fetisch werden?
06.04.2024, 12:08 Uhr Artikel anhören
Manche können nur durch Kitzeln oder gekitzelt werden sexuelle Befriedigung erleben.
(Foto: imago images/Westend61)
Manche müssen sofort loslachen, andere verziehen nicht einmal ihr Gesicht: Wie sensibel man beim Kitzeln reagiert, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Doch nun finden Forschende heraus, dass Kitzeln bei einigen Erwachsenen auch etwas ganz anderes als Lachen auslösen kann.
Kitzeln ist bereits seit der Antike ein faszinierendes Phänomen für Menschen. Manche Wissenschaftler sehen es als Baustein für die Entwicklung von Humor bei Säuglingen oder sind sich sicher, dass es als eine Art sozialer Verbindung fungiert. Denn nicht nur der Gekitzelte, sondern auch derjenige, der kitzelt, lacht bei der Aktion. Andere dagegen betrachten das Kitzeln eher mit Argwohn. Kein Wunder wurde es in vergangenen Zeiten auch als bestrafendes Machtinstrument oder sogar als Foltermethode eingesetzt.
Doch Kitzeln kann noch mehr auslösen als Lachen oder Argwohn. Das hat ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Mainz nun herausgefunden. Das Team um Shimpei Ishiyama vom Institut für Pathophysiologie untersuchte den sexuellen Reiz des Kitzelns als Aktion unter Erwachsenen. "Bisherige Studien zur Kitzeligkeit befassen sich vornehmlich mit den sensorischen Folgen und spielerischen Aspekten des Kitzelns. In unserer Studie haben wir erstmals die Rolle des Kitzelns im sexuellen Kontext untersucht. Damit stellen wir die bisherigen Erkenntnisse infrage, denn die Bandbreite an Erfahrungen, die zu sexuellem Vergnügen führen, ist viel größer, als bisher anerkannt wurde", wird Ishiyama laut Mitteilung der Universitätsmedizin Mainz zitiert.
Ausgewählte Studienteilnehmende
Für ihre Untersuchung wählten die Forschenden insgesamt 719 Studienteilnehmende aus. Diese hatten bei den 43 Fragen, die bei X (damals Twitter) gepostet und von Influencern verteilt worden waren, angegeben, dass Kitzeln sie sexuell erregen kann. Fast die Hälfte der Befragten erklärte, auch ohne das Kitzeln sexuelle Befriedigung erreichen zu können. Ein Viertel der Befragten teilte dagegen mit, Orgasmen ausschließlich durch Kitzeln zu erleben.
Den Angaben der Befragten zufolge, handelte es sich um 74,3 Prozent Männer und 20,7 Prozent Frauen. Mehr als die Hälfte war im Alter zwischen 20 und 29 Jahren, alle anderen gaben an, älter zu sein. Knapp 80 Prozent der Befragten gaben an, heterosexuell zu sein. 73,3 Prozent identifizierte sich als ostasiatisch. 77,4 Prozent schätzte selbst ein, kitzelig zu sein. Bei der Auswertung der Daten sah das Forschungsteam, dass Frauen tendenziell kitzliger sind als Männer und leichtes Kitzeln bevorzugen.
Die Forschenden identifizierten auch verschiedene Rollen beim Kitzeln. Manche gaben an, sexuelle Erregung zu spüren, wenn sie selbst kitzelten, andere, wenn sie von jemandem gekitzelt werden. Einige mochten auch beide Rollen. Auch zu unterschiedlichen Kitzelmethoden und -intensitäten sowie bevorzugten Körperteilen machten die Befragten Angaben.
Verschiedene Intensitäten, verschiedene Körperbereiche
Die intensivere Form des Kitzelns, das in der Fachsprache auch als Gargalesis bezeichnet wird, konzentrierte sich bei den Studienteilnehmenden hauptsächlich auf die Füße, Achselhöhlen, den Rumpf und den Bauch. Im Gegensatz dazu erstreckt sich ein leichtes Kitzeln, das Knismesis heißt, gleichmäßig über den gesamten Körper, einschließlich Rücken, Nacken, Ohren, Genitalien und Arme.
Die Forschenden aus Mainz sahen auch, dass einschlägige Kindheitserfahrungen, wie die Darstellungen von Kitzelszenen im Fernsehen, bei sozialen Medien oder auch eigene Kitzelerfahrung bei einigen der Befragten entscheidend dazu beitrugen, dass sich bei ihnen später ein Kitzelfetisch entwickelte. Dieser wird auch als Knismolagnie bezeichnet.
Als Fetisch im Zusammenhang mit Sexualität können verschiedene Dinge oder Situationen bezeichnet werden. Oft sind es bestimmte Körperteile, Körpereigenheiten, Kleidungsstücke, Utensilien, Materialien oder Situationen, denen durch eine übersteigerte Aufmerksamkeit oder Zuneigung ein besonderer Reiz zugeschrieben wird. Der Gegenstand, die Eigenheit oder die Situation wird so zum sexuellen Stimulus, der schließlich der Erregung und Befriedigung dient.
Kitzeln ist eine intime Aktivität
Bei der Befragung gab 89,4 Prozent der Studienteilnehmenden an, überwiegend durch das körperliche Gefühl des Kitzelns und die körperliche Reaktion sexuelle Erregung zu spüren. Darüber hinaus wurden Gefühle der Hilflosigkeit und Unterwürfigkeit (73,8 Prozent) sowie die Erwartung, gekitzelt zu werden (72,4 Prozent), als wichtige erregende Elemente identifiziert.
Die sexuelle Erregung bei Kitzlern liegt vor allem in der visuellen Beobachtung der Körperreaktionen des Gekitzelten (91,2 Prozent), gefolgt vom Klang der Stimme (85,8 Prozent) und dem Gefühl der durch das Kitzeln gewonnenen Macht (85,8 Prozent). Auch taktile Stimulation wurde von 69,1 Prozent der Teilnehmenden als Erregungsquelle angegeben. Weitere beschriebene Faktoren waren die Hilflosigkeit und Unterwerfung der Gekitzelten sowie ihre Vorfreude auf das Kitzeln.
Die Ergebnisse, die im Fachmagazin Frontiers in Psychology veröffentlicht wurden, zeigen, dass auch Kitzeln zur sexuellen Erregung eingesetzt werden kann. "Kitzeln ist eine intime Aktivität, die ein gewisses Maß an gegenseitigem Vertrauen erfordert. Es kann Individuen binden und als Ventil für sexuelle Energie dienen. Zukünftige Studien sollten daher die Mechanismen untersuchen, die dazu führen, dass Kitzelreize sexuelles Vergnügen auslösen. Unsere Studienergebnisse könnten den Weg für diese weitergehende Erforschung der menschlichen Sexualität ebnen", resümiert Ishiyama.
Allerdings, so schränken die Autoren und Autorinnen der Studie ein, wurden die Links zur Umfrage hauptsächlich innerhalb von Communitys auf Twitter verbreitet, die sich selbst dem Kitzelfetischismus verschreiben und die überwiegend aus Englisch- und Japanischsprachigen bestehen. Aufgrund dieser demografischen Rekrutierungsverzerrung sei die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf eine breitere Bevölkerung möglicherweise begrenzt. Außerdem verhindere die Anonymität bei der Befragung die Überprüfung der angegebenen Identitäten.
Übrigens: Menschen können sich nicht selbst kitzeln, weil das Gehirn die Berührungen des eigenen Körpers vorwegnimmt, sich also darauf einstellt und so die Empfindung dämpft.
Quelle: ntv.de