Mehr als ein GedankenexperimentKann man auf einem Asteroiden Auto fahren?
Von Kai Stoppel
Auf unserer Erde haben wir einen festen Stand. Doch was für uns alltäglich ist, gilt auf anderen Himmelskörpern nicht. Asteroiden und Monde haben eine zum Teil deutlich geringere Schwerkraft. Das stellt Forscher vor Probleme und könnte Astronauten zu erstaunlichen Fähigkeiten verhelfen.
Miniaturwelten ziehen ihre Bahnen um die Sonne: Asteroiden. Steinerne Brocken von Ausmaßen bis zu mehreren 100 Kilometern Durchmesser. Ganze Staaten würden auf ihnen Platz finden oder Weltraumstädte, die Millionen von Menschen beherbergen. Sie sind aber auch eine mögliche Quelle für Rohstoffe, die für eine ins All expandierende Menschheit in Zukunft von großer Bedeutung sein könnte.
Diese Himmelskörper rücken immer stärker ins Interesse der Forscher. So befinden sich derzeit etwa die japanische Sonde "Hayabusa2" und die US-Sonde "Osiris-Rex" auf Erkundungstouren um Asteroiden. Auch eine bemannte Mission zu einem dieser Brocken ist wohl nur eine Frage der Zeit. Und warum sollten Astronauten nicht auch dort, wie einst auf dem Mond, sich mit einem speziellen Auto fortbewegen, um die Oberfläche zu erkunden?
Das könnte schwierig werden, sagt Planetenforscher Ulrich Köhler vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR): "Aufgrund der geringen Schwerkraft ist es sehr viel schwieriger, die nötige Reibung aufzubringen, damit sich ein Fahrzeug auf der Oberfläche fortbewegen kann." Für ein Asteroiden-Auto besteht also die Gefahr, dass die Reifen einfach durchdrehen und es keinen Meter vom Fleck kommt. Aber das ist nicht das einzige Problem der Mini-Schwerkraft, so Köhler: "Eine Bodenwelle und weg ist das Auto, im All."
Sprung ins All "aus Versehen"
Auch für Raumfahrer, die auf dem Asteroiden landen würden, stellt die geringe Schwerkraft eine echte Gefahr dar. Denn sie müssten auf kleinen Asteroiden wie Ryugu aufpassen, dass sie nicht aus Versehen ins All springen, warnt Köhler. "Da reicht es, sich kurz auf die Zehenspitzen zu stellen und der Astronaut hätte die Fluchtgeschwindigkeit erreicht oder sogar überschritten." Auf dem Asteroiden Ryugu etwa beträgt die Schwerkraft nur ein Achtzigtausendstel der Erde.
Ryugu ist mit knapp einem Kilometer Durchmesser allerdings ein vergleichsweise kleiner Brocken - andere Asteroiden werden bis zu mehrere 100 Kilometer groß. Aber auch dort ist die Schwerkraft noch vergleichsweise gering. Astronauten sollten daher dort ebenso vorsichtig sein, vor Freude über ihre Landung in die Höhe zu springen - denn dann könnten sie für Minuten den Boden unter den Füßen verlieren.
Wie diese Sprünge auf kleinen Himmelskörpern aussehen würden, haben die Astronomen Stuart Lowe und Chris North errechnet und in einer Browser-App zum Ausprobieren visualisiert. Auf dem größten Asteroiden Vesta etwa würde ein Mensch demzufolge rund 20 Meter hoch springen können, was fast eine halbe Minute dauert. Auf dem Mars-Mond Phobos - der von der Größe her Asteroiden ähnelt und möglicherweise ursprünglich auch einer war - schafft man es sogar auf unglaubliche 846 Meter. Es wäre zudem ein mehrere Minuten dauernder Ausflug.
Solange der Astronaut aber nicht die Fluchtgeschwindigkeit erreicht, die notwendig ist, um dem Schwerefeld zu entrinnen, ist das aber eigentlich kein Problem - mal von der vergeudeten Zeit abgesehen: Selbst aus einer Höhe von mehr als 800 Metern wieder auf einen kleinen Himmelskörper zurückzufallen, würde dem Springer nichts ausmachen. Die Landung würde sich eher anfühlen wie bei einem Sprung auf der Erde.
Ball in eine Umlaufbahn werfen
Die Körperkraft auf derartig massearmen Körpern wie Phobos reicht auch für andere "übermenschliche" Leistungen, bestätigt DLR-Experte Köhler: Wenn ein Astronaut auf dem Mars-Mond einen Ball stark genug wirft, würde dieser hinter dem Horizont verschwinden, ohne den Boden zu berühren. "Der Ball würde dann zu einem künstlichen Satelliten von Phobos werden", so Köhler. Und wenn der Astronaut nicht aufpasst, fliegt ihm der Ball nach einer Umrundung des Mondes wieder an den Hinterkopf.
Die geringe Schwerkraft auf den Zwergwelten im All ermöglicht kuriose Dinge und stellt Forscher zugleich vor große Herausforderungen. Da sich das Fahren auf kleinen Brocken wie Ryugu schwierig gestaltet, mussten Wissenschaftler für die Landesonden andere Fortbewegungsmethoden entwickeln: Der deutsche Asteroiden-Lander "Mascot" etwa hat keine Räder, das Geheimnis seiner Fortbewegung liegt in seinem Inneren: ein Schwungarm lässt die Metallkiste über die Oberfläche des Asteroiden hüpfen. Dass das funktioniert, hat "Mascot" nach seiner Landung auf Ryugu am 3. Oktober 2018 unter Beweis gestellt.
Übrigens: Auf einer ganz speziellen Zwergwelt im All könnten Astronauten - theoretisch - eine Erfahrung der besonderen Art machen: fliegen. Möglich wäre das auf dem Saturn-Mond Titan, der trotz geringer Schwerkraft (sie beträgt etwa ein Siebtel jener auf unserer Erde) eine sehr dichte Atmosphäre hat. Studenten der University of Leicester haben ausgerechnet, dass ein Mensch, der schnell genug läuft, mit einem handelsüblichen Wingsuit auf Titan abheben und durch die Lüfte segeln könnte. Allerdings müsste er dafür annähernd so schnell sein wie Weltrekordhalter Usain Bolt.