"Cloud Atlas" ist ein starkes Stück KinomagieDer Teufel steckt im Detail
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Leben, Liebe und Tod. Glaube, Verzweiflung und Hoffnung. Tom Hanks, Halle Berry und Hugh Grant: Mit "Cloud Atlas" legen Tom Tykwer und die Wachowski-Geschwister ein Stück Kinomagie vor, das trotz Schwächen glänzend unterhält und viele Denkansätze bietet - munteren Rollenspielen sei Dank.
Wetten, dass Sie inzwischen von "Cloud Atlas" gehört haben? Schließlich fand die ihren Weg durch alle Medien. Der Filmtitel wurde natürlich immer erwähnt, und egal, ob die Zitate stimmen und die Kritik ernst gemeint war - man kann Hanks zu diesem PR-Coup nur gratulieren.
Dass der zweifache Oscarpreisträger kurz darauf zusammen mit Halle Berry, Hugo Weaving sowie den Regisseuren Tom Tykwer, Lana und Andy Wachowski , verstärkte die Aufmerksamkeit für den mit Spannung erwarteten Film nur noch.
Teuerster deutscher Film
Immerhin handelt es sich bei "Cloud Atlas" mit Produktionskosten von etwa 100 Millionen Euro um den mit Abstand teuersten deutschen Film - bisheriger Rekordhalter war Tykwers "Das Parfum" mit 60 Millionen. Dabei hatten die drei Regisseure alle Mühe, das Geld für ihr Traumprojekt aufzutreiben. Nach mehreren Absagen aus Hollywood setzten die Produzenten Grant Hill und Stefan Arndt, Chef der Berliner X-Filme, auf ein Netz aus Koproduzenten und Kofinanziers. Gedreht wurde dann in Babelsberg, Sachsen, Schottland und auf Mallorca. Dass der deutsche Regisseur Tykwer ("Lola rennt") und die Wachowski-Geschwister ("Matrix"-Trilogie), die zusammen auch das Drehbuch verfassten, in all der Zeit dranblieben, obwohl die Adaption des als unverfilmbar geltenden Romans von David Mitchell mehrfach vor dem Scheitern stand, ist bemerkenswert.
Und es hat sich gelohnt: "Cloud Atlas" ist ein starkes Stück Kinomagie, das mit bezaubernden Bildern, spannenden Momenten und einer Menge Stars in teils kuriosen Rollen zu überzeugen weiß, auch wenn die komplexe Handlung hier und da etwas mehr Zusammenhang vertragen hätte und manchmal allzu sehr auf Pathos setzt. Worum es eigentlich geht, kann man allerdings nicht so leicht wiedergeben, denn die Geschichte umfasst sechs Handlungsstränge über einen Zeitraum von 500 Jahren, bevölkert von unzähligen Charakteren (siehe Box unten). Andererseits bietet der Film damit auch viel Platz für Entdeckungen, Interpretationen und Denkansätze und bildet damit einen intelligenten Kontrapunkt zum derzeitigen Fortsetzungs-Wahn.
Anders als im Roman, wo die sechs Geschichten in einem großen Bogen von 1849 bis 2346 erzählt werden, um dann in umgekehrter Reihenfolge wieder ins 19. Jahrhundert zurückzukehren, werden die Handlungsstränge im Film parallel montiert. Das mag auf den ersten Blick angesichts der vielen Ereignisse und Charaktere verwirrend erscheinen, aber keine Angst: Schon bald lässt sich die Handlung gut verfolgen. Zudem sorgen viele kleine Spannungsbögen und Cliffhanger dafür, dass dem Zuschauer in den nahezu drei Stunden nicht langweilig wird.
Ohnehin verbringt man die erste halbe Stunde damit, zu entschlüsseln, welcher Schauspieler welche Rolle spielt. Es gehört zu den großen Ideen der Regisseure, eine Handvoll Schauspieler in jeder der Geschichten in einer anderen Rolle (teils nur ganz am Rande) auftreten zu lassen.
Tom Hanks als prolliger Autor sorgt dabei genauso für Lacher wie Hugo Weaving als sadistische Pflegerin, Hugh Grant als schmieriger Chef eines Atomkraftwerks oder Susan Sarandon als Priesterin. Einige Mimen erkennt man aufgrund der Masken kaum wieder: Ben Wishaw etwa spielt in einem Teil die Frau von Hugh Grant, der wiederum großen Spaß als Anführer der brutalen Kona-Krieger hatte (nach eigener Aussage behielt er nach den Dreharbeiten das Kostüm, um damit in London unerkannt durch die Straßen zu gehen).
Ein Muttermal geht durch die Zeit
Doch der muntere Wechsel der Rollen, Masken, Kostüme und Geschlechter ist nicht nur ein beliebiges Spiel, er ergibt vielmehr einen tieferen Sinn. Schon im Roman sind die Geschichten miteinander verknüpft, indem sich die Hauptpersonen durch ihre Werke und Hinterlassenschaften gegenseitig inspirieren. Hinzu kommt ein Muttermal in der Form eines Kometen, das alle Hauptfiguren tragen - es steht symbolisch für die Wiedergeburt der Charaktere und ihre innere Verbundenheit.
Dass alles miteinander verbunden ist, ist auch ein wesentlicher Aspekt des Films. Doch er geht noch einen Schritt weiter: Das Besetzungskarussell spiegelt auch die moralische Entwicklung der Protagonisten wider. Nicht zufällig spielt Tom Hanks den hinterhältigen Dr. Goose in der frühesten Geschichte, aber gleichzeitig den Ziegenhirten Zachary, der in der postapokalyptischen Welt den Einflüsterungen eines imaginären Teufels (dargestellt von Hugo Weaving) widersteht und damit lang gehegte Vorurteile überwindet. Diese Ergänzung der literarischen Vorlage durch die visuelle Kraft des Kinos nennen die Macher "cinematic literature".
Die in "Cloud Atlas" zelebrierte Verbindung von philosophischen, fast schon religiösen Komponenten mit bildgewaltigen Szenen ist kaum verwunderlich. Bereits in den "Matrix"-Filmen verpackten die Wachowski-Geschwister tiefgreifende Fragen nach Realität und Selbstwahrnehmung in futuristische Action und innovative Spezialeffekte. Es ist also kein Wunder, dass sie auch von Mitchells komplexem Buch so fasziniert waren. Kennengelernt haben sie es übrigens bei den Dreharbeiten der von ihnen produzierten Comic-Verfilmung "V wie Vandetta", wo Hauptdarstellerin Natalie Portman es gerade las (was wiederum eine dieser Kausalketten ist, die "Cloud Atlas" so intensiv thematisiert).
Die Frage nach dem guten Leben
Auch die bereits in "Matrix" postulierte Gesellschafts- und Konsumkritik greift "Cloud Atlas" nun wieder auf. Das wird nicht nur in der Story von 1849 deutlich, die einer christlichen, aber gleichzeitig zutiefst rassistischen Gesellschaft den Spiegel vorhält, sondern vor allem in der Science-Fiction-Story um Sonmi-451. Die Geschichte um einen Klon, der aus der vorgegebenen Ordnung ausbricht, einen freien Willen entwickelt und zum Erlöser stilisiert wird, erinnert am stärksten an "Matrix", was durch die gemeinsamen futuristischen Bilderwelten noch verstärkt wird.
Doch "Cloud Atlas" geht noch einen Schritt weiter als "Matrix", weil er die Zukunft in einen kausalen Zusammenhang mit Vergangenheit und Gegenwart stellt. Die autoritäre Gesellschaft des Jahres 2144 wird aus früheren Verfehlungen hergeleitet. Das Böse ist zunächst nicht übermächtig - der Teufel steckt im Detail: im raffgierigen Arzt des 19. Jahrhunderts, im korrupten Chef eines Atomkraftwerks, in einem Altenheim der Gegenwart, das Rentner wie debile Gefangene behandelt. Anders als "Matrix" schneidet "Cloud Atlas" dabei auch aktuelle Themen an und stellt den Zuschauer immer wieder vor die Frage nach dem guten Leben, nach Zivilcourage und Mut.
Denn auch das Aufbegehren gegen Konventionen, gegen die gottgegebene Ordnung durchzieht die Geschichte. Dieser Widerstand ist das Thema, das die Handlung zusammenhält und aus den so unterschiedlichen Geschichten, aus den auch stilistisch so verschiedenen Teilen einen stringenten Kinofilm macht. Dass angesichts dieser epischen Breite einzelne Handlungsstränge auf der Strecke bleiben, dass einzelne Figuren, über die man gern mehr erfahren hätte, nicht auserzählt werden, muss man dabei in Kauf nehmen. Ebenso, dass der Film Gut und Böse oft zu schematisch trennt und Grautöne konsequent ausblendet.
Dieses Schwarz-Weiß-Denken mag manch einem naiv erscheinen und man kann "Cloud Atlas" deshalb einen gewissen Hang zum Kitsch vorwerfen. Andererseits bildet der Glaube an die Menschlichkeit und das Gute einen erholsamen Kontrapunkt zum sonst üblichen Science-Fiction-Action-Geballer. "Cloud Atlas" gibt keine Handlungsanweisungen, er stellt nur fest: Das eigene Handeln beeinflusst und verändert die Zukunft. Das ist großartiges Kopfkino, das lange nachwirkt.
"Cloud Atlas" startet am 15. November in den deutschen Kinos.
