Wirtschaft

Wirtschaftsverbände in Sorge "Deutschland befindet sich auf der Verliererstraße"

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Die deutsche Wirtschaft stagniert.

Die deutsche Wirtschaft stagniert.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa/Symbol)

Steigende Energiepreise, weniger Investitionen, fehlende Fachkräfte und starke Abhängigkeiten: Die deutsche Wirtschaft tritt auf der Stelle. Spitzenverbände blicken mit Sorge in die Zukunft - und machen auch die Ampel-Regierung für die Krise verantwortlich.

Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Flaute fest. Der erhoffte Frühjahrsaufschwung ist ausgeblieben. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Zahlen mitgeteilt hat. Die Aussichten für die kommenden Monate haben sich nach Einschätzung von Ökonomen zudem eingetrübt. Der Internationale Währungsfonds erwartet für dieses Jahr ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft um 0,3 Prozent. Die Bundesregierung erwartet nach der im April vorgelegten Frühjahrsprojektion für dieses Jahr ein BIP-Plus von 0,4 Prozent.

"Deutschland befindet sich wirtschaftlich auf der Verliererstraße, insbesondere im internationalen Vergleich", sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm. "Die Konjunkturindikatoren zeigen leider alle nach unten, also komplett in die falsche Richtung." Laut aktuellem IWF-Wachstumsausblick sei die deutsche Volkswirtschaft die einzige unter den 22 untersuchten Ländern und Regionen, in der das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr zurückgehe. "Das muss ein Industrie- und Exportland, wie es Deutschland ist, alarmieren", so der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Deutsche Wirtschaft in der Krise

Substanzielle Unterstützung aus dem politischen Umfeld, gerade in einer so schwierigen Situation, sei noch Mangelware, kritisierte Russwurm. "Es geht längst nicht nur um Geld: Wir machen keine Fortschritte beim Bürokratieabbau. Wir machen keine Fortschritte beim Thema Genehmigungsbeschleunigungen." Es gebe zu kleine Fortschritte, das Energiesystem der Zukunft und seine Kosten in den Griff zu bekommen. "Ich glaube, in der Politik setzt sich die Erkenntnis langsam durch, dass wir nicht von blühenden Landschaften und einem neuen Wirtschaftswunder sprechen, sondern von einer krisenhaften Situation der deutschen Wirtschaft", so Russwurm.

"Wenn die Antwort der Bundesregierung dann heißt, wir stellen dafür kein zusätzliches Geld in den Haushalt ein, muss sie die Zielkonflikte innerhalb der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien lösen und klären, ob und wie sie die richtigen Prioritäten setzt." Russwurm sagte weiter: "Ich fürchte, der Leidensdruck ist noch nicht groß genug. Das ist unfassbar schade, weil viele Entwicklungen vorhersehbar sind. Wir könnten uns jede Menge Schmerzen ersparen, aber es sieht so aus, als müsste es erst noch schlimmer werden, damit es zu dem notwendigen Ruck kommt, und dann wieder besser werden kann."

Es gebe konkrete Entscheidungen, über die er nur den Kopf schütteln könne, so Russwurm. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schlage auf der einen Seite einen Industriestrompreis vor, der eine Brücke für die Zukunft darstellen soll, und auf der anderen Seite streiche die Bundesregierung den Spitzenausgleich beim Strompreis. Das belaste energieintensive Unternehmen enorm.

"Stimmung ist schlecht"

Laut Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, geht es den meisten Betrieben aktuell noch gut. "Allerdings ist die Stimmung schlecht - sogar bei denen, die wirtschaftlich gut dastehen. Die Kostenschübe durch höhere Materialkosten, Inflation, Lohnsteigerungen und vor allem durch weiter steigende Sozialabgaben sind gewaltig." Darunter leide die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und ihre Zukunftsperspektiven gerieten unter Druck. "Die Transformation wird nur leistbar sein, wenn es weiter ausreichend zahlungsfähige Handwerksbetriebe gibt."

Deutschland sei zu bürokratisch, nicht digital genug und zu langsam, beispielsweise bei Genehmigungs- und Planungsverfahren, so Dittrich. "Was vor uns liegt, ist sehr herausfordernd. Wenn jetzt nicht gehandelt und gegengesteuert wird - besonders im Baubereich -, dann droht eine lange Zeit der wirtschaftlichen Schwierigkeiten."

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP habe im vergangenen Halbjahr leider nicht zu einer positiven Grundstimmung im Land beigetragen, sagte Dittrich. "Ihr teils praxisfernes und überhastetes politisches Handeln hat im Gegenteil viele, gerade auch im Handwerk, verunsichert - ganz besonders beim Gebäudeenergiegesetz."

Rezession noch nicht vorbei?

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sagte: "Wir befinden uns in einer Rezession. Auch die Inflation hält sich hartnäckiger als gedacht. Wir haben mit die höchsten Energiekosten, wir haben mit die höchsten Steuern und Lohnzusatzkosten. Wir haben eine marode Infrastruktur. Diese Probleme mischen sich mit Fachkräftemangel, verschlafener Digitalisierung und der Dekarbonisierung. Ein Mediziner würde von multiplen Erkrankungen sprechen."

Die Stimmung in den Unternehmen trübe sich ein, das Investitionsklima sei nicht gut. "Vor allem sind wir für ausländische Investitionen derzeit nicht attraktiv, unter anderem, weil wir ein Hochsteuerland sind. Wir sind kein attraktiver Standort. Wir brauchen Investitionen in den Standort. Deutschland muss vor allem schneller und digitaler werden." Nötig seien zudem weniger Steuern und Lohnzusatzkosten.

Quelle: ntv.de, hny/dpa

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