Müssen nur die Richtigen ran? Carsharing ist tot, es lebe das Carsharing
26.01.2020, 10:05 Uhr
Der Carsharing-Anbieter Miles will in den nächsten Jahren nicht nur Berlin erobern.
(Foto: Miles)
Carsharing gilt seit einigen Jahre als Allheilmittel für übervolle Großstädte. Doch in Deutschland will das einfach nicht funktionieren. Wie Carsharing doch zum Erfolgsmodell werden kann, erklärt der Chef von Miles, Oliver Mackprang, im Gespräch mit ntv.de.
Carsharing sollte die Mobilität in den Städten nachhaltig verändern, auf ihre Art beflügeln und durch die ständige Nutzbarkeit den Verkehr beruhigen, weil es mutmaßlich die Anzahl der Fahrzeuge in der Stadt verringert. Und bei all den Vorzügen sollte es natürlich die Anbieter auch noch reich machen. So richtig hat es bis heute nicht funktioniert. Jedenfalls nicht in Deutschland. Dennoch ist der Chef des unabhängigen Carsharing-Anbieters Oliver Mackprang fest davon überzeugt, dass die Idee des Carsharings eine gute ist, die sich, wenn man es richtig anfängt, für alle Beteiligten lohnen kann. ntv.de sprach mit dem Leiter des Startups, das bereits über 1000 Autos in der Hauptstadt am Start hat.
ntv.de: Es gibt mehrere etablierte Carsharing-Anbieter in Berlin, die, ohne Namen zu nennen, stark am Überlegen sind, ob sich das Projekt in der Hauptstadt auf lange Sicht lohnt und mit dem Gedanken spielen, das Angebot aufzugeben.
Mackprang: Da haben Sie recht. Aber die Erfolglosigkeit von Carsharing-Unternehmen ist ein typisch deutsches Phänomen. Man würde sich im Ausland schwertun, einen erfolglosen Carsharer zu finden. Wir reden hier konkret über Free-Floating-Carsharing. Zum Beispiel in Russland findet man Yandex, ein hochprofitables Unternehmen.
Gibt es denn Grundvoraussetzungen für erfolgreiches Carsharing?
Mackprang: Carsharing kann nur erfolgreich sein, wenn viele andere Mobilitätsangebote in der Stadt vorhanden sind. Ein wesentlicher Eckpfeiler ist der öffentliche Nahverkehr. Funktioniert der nicht, funktioniert auch Carsharing nicht. Der durchschnittlich mobile Mensch in Deutschland macht laut Statistik 3,7 Wege am Tag. Würden sie diese Wege komplett mit einem Carsharing-Auto machen, fahren sie mit einem eigenen Pkw deutlich günstiger. Wir brauchen Leute, die alle Alternativen zur Fortbewegung in der Stadt nutzen. Das macht Carsharing erfolgreich.
Dann müsste eine Stadt wie Berlin doch ein Mekka für Carsharer sein?
Ja, auf jeden Fall. Aber hinzukommen auch die Topografie der Stadt. Ist sie weitläufig, gibt es genügend Parkplätze. Und selbstverständlich spielen auch Einkommen und Bildungsstand eine entscheidende Rolle. Für Mobilität gibt es drei Treiber: Preis, Dauer und Komfort. Wobei der Komfort am wenigsten zu beziffern ist. Preis ist klar, Dauer auch. Beim Komfort hat jeder Mensch seine eigene Schwelle. Der eine fährt lieber eine halbe Stunde mit der S-Bahn, der andere steigt zweimal um und ist in 18 Minuten da. Hinzu kommen äußere Faktoren, Nässe, Kälte, Hitze. Das alles sind Faktoren, die Carsharing in einer Stadt erfolgreich machen.
Es gab ja für Carsharing noch eine weitere Überlegung. Man mutmaßte, dass das die Anzahl der Autos in der Stadt verringern würde und so ein Beitrag für den Umweltschutz geleistet wird. Aber genau das Gegenteil ist der Fall.
Das ist ja eins meiner Lieblingsthemen. Hier reden wir ganz klar über soziale Verantwortung. Autos aus der Stadt raus. Ist das die Aufgabe der Carsharing-Anbieter? Andere haben sich diese Aufgabe auferlegt. Ich als junger Unternehmer in einem Startup-Kontext werde mit der Frage nach der Profitabilität konfrontiert. Das nächste Ding ist der Vorwurf, dass wir die Stadt gar nicht verbessern. Unsinn! Carsharing-Autos entlasten die Stadt zweifelsfrei, weil sie eine höhere Auslastung erfahren als der Privat-Pkw. Allein dieser Umstand entlastet täglich den Parkraum der Stadt.
Das ist der Parkraum, aber was ist mit dem Gesamtvolumen der Fahrzeuge in einer Stadt?
Da würde ich den Ball gerne an die Politik weiterspielen. Es ist doch nicht meine Aufgabe als Carsharing-Anbieter, das Aufkommen an Privatfahrzeugen zu senken. Da ist das Thema Anwohnerparkausweise. Die werden in Berlin für 20 Euro für zwei Jahre vergeben. Wir zahlen für jedes stehende Auto den von der Stadt aktuell festgelegten Parkpreis pro Stunde. Also wir sind schlechter gestellt als jeder Besitzer eines Privatautos. Und das ist ja das erklärte Feindbild jeder urbanen Mobilität. Das Verkehrsaufkommen muss unter dem Aspekt des Ausbaus von Radwegen und des öffentlichen Nahverkehrs reduziert werden.
Also ist der finanzielle Aufwand für den Parkraum der Punkt, der die großen Carsharing-Anbieter ob ihrer größeren Fahrzeug-Flotte finanziell schwächeln lässt?
Nochmal: Es ist ein deutsches Phänomen, anzunehmen, dass wenn die Autohersteller es mit dem Carsharing nicht geschafft haben, es keiner schafft. Wir reden hier aber auch von zwei unterschiedlichen Kernkompetenzen. Während die einen Autos bauen und verkaufen, vermieten die anderen sie.
Ist das nicht eine gewagte These, den Autoherstellern die Kompetenz für alles abseits der Produktion von Fahrzeugen abzusprechen?
Nein, finde ich nicht. Ein Paradebeispiel ist die Firma Sixt. Als Vermieter von Fahrzeugen waren sie an Drivenow beteiligt, haben gesehen, was geht und was nicht geht und sind vor dem Zusammenschluss von Car2go und Drivenow aus dem Verbund gekauft worden. Im Dax gelistet, mittelständisch und meiner Ansicht nach eines der bestgeführten Unternehmen in Deutschland. Jetzt, wo sie freie Hand haben und selbst als Carsharer am Markt sind, investieren sie in das Geschäft.
Was heißt, Sixt investiert jetzt in das Geschäft?
Eigentlich hätte Sixt das Geschäft ruhen lassen können. Die waren doch nach dem, was BMW gezahlt hat, fein raus. Und dennoch gehen sie in das Segment zurück und Investieren in ein Geschäft, bei dem sie sich die Hände doch eigentlich schon schmutzig gemacht haben. Aber im Gegenteil. Sixt hat Carsharing zu einem festen Eckpfeiler seines Geschäftsmodells gemacht.
Aber wie läuft es denn bei Ihrem Unternehmen Miles als Carsharing-Anbieter?
Bei uns als Startup geht es natürlich auch darum, ein profitables Unternehmen auf die Beine zu stellen. Aber wir sind nicht ganz so zahlenversessen wie die großen Anbieter der Autohersteller, denen es vor allem um den Gewinn geht. Wir werden in den nächsten 12 bis 18 Monaten profitabel sein.
Was unterscheidet denn Ihre Art, Carsharing zu betreiben, von der der etablierten Anbieter?
Das ist vor allem die Unternehmensstruktur. Das mag banal klingen, fängt aber damit an, dass man Leute beschäftigt, die Carsharing machen und keine Manager der Hersteller, die dafür zwei Jahre abgestellt werden und dann wieder in den Konzern zurückgehen. Bei uns gibt es eben nur das eine und das ist Carsharing.
Aber das Prinzip Carsharing ist doch immer dasselbe. Der Kunde hat im besten Fall eine App, wählt ein Auto in seiner Nähe, nutzt es und bezahlt. Was ist daran so schwer?
Miles deckt als Carsharer mit der kleinsten Flotte zum Beispiel den größten Radius in Berlin ab. Während wir Anfang 2019 mit 200 Fahrzeugen gestartet sind, haben wir jetzt 1000. Das ist für eine Stadt wie Berlin immer noch nicht viel, aber es werden definitiv noch mehr werden. Hinzu kommt, dass wir unsere Einsatzgrenzen verschieben. Wir gucken also wirklich, wo Bedarf ist und wo nicht. Die Auslastung muss natürlich immer stimmen. Ein Fahrzeug, das drei Tage nicht bewegt wird, ist eine Katastrophe.
Ist es für die monetäre Ausrichtung nicht ebenso wichtig, dass die Fahrzeuge lange halten?
Wir müssen hier zwei Dinge unterscheiden: Das eine ist die Lebensdauer eines Fahrzeuges, das andere ist der Umstand, wie lange ein Fahrzeug in den Büchern steht. Für den Carsharer ist wichtig, dass die Finanzierung des Fahrzeuges eingespielt wird. Ob es dann lang oder kurz in den Büchern steht, ist eigentlich egal. Ich weiß von den Wettbewerbern, dass deren Haltefrist zwischen sechs Monaten und drei Jahren liegt. Dabei muss aber auch immer bedacht werden, dass der Kunde am liebsten neue Modelle fährt.
Ob sich am Ende Kauf und Einsatz amortisieren, ist ja auch eine Frage des Umgangs der Kunden mit den Fahrzeugen. Viele Carsharer klagen darüber, dass die Nutzer nicht sehr viel Sorgfalt walten lassen. Das scheint mir aber auch ganz klar in einer Gesellschaft, in der das höchste Gut der eigene Besitz ist, nicht aber der der Gemeinschaft.
Da haben Sie recht. Aber das ist ja auch so bei Leuten, die in einer Mietwohnung leben. Die gehen anders damit um als die im Eigenheim. Ich denke, der Umgang mit jeder Mietsache ist schlechter als der mit den eigenen Sachen.
Also rechnen Sie als Carsharing-Anbieter bereits im Vorfeld alle Fahrlässigkeiten in die Miete mit ein?
Ja, das muss ich mit einpreisen, anders geht's gar nicht. Ich würde mir natürlich wünschen, dass die Leute anders damit umgehen.
Aber öffnet das dem Missbrauch an den Fahrzeugen nicht Tür und Tor?
Das hoffe ich nicht. Das, was wir beim Carsharing haben, ist so etwas wie ein Solidaritätsgedanke. Ich will nicht sagen, dass wir eine Versicherungsgesellschaft sind, aber wir haben natürlich mit Schäden am Fahrzeug und nicht bezahlten Rechnungen zu kämpfen. Aber auch in jedem Kaufhaus wird ein möglicher Diebstahl oder ein defekter Artikel mit auf die Rechnung der Käufer gesetzt.
Aber vor Diebstahl kann ich mich als Verkäufer schützen, vor defekten Geräten nicht.
Genau. Deswegen gehen wir ja, so weit das möglich ist, gegen Vandalismus, Fahrlässigkeit und Missbrauch in unseren Fahrzeugen vor. Aber auch das kostet und muss eben in den Mietpreis einfließen. Aber ich kann das nur betonen: Wenn Leute zum Beispiel eine Delle in das Auto fahren und am Ende nicht dazu stehen, dann ist das schon echt asozial.
Bleibt die Frage, ob diese Gesellschaft denn bereit ist für den Solidaritätsgedanken, ob hier ein solches Bewusstsein entwickelt werden kann. In seiner konsequentesten Form hätte das ja fast kommunistische Züge.
Ich meine, jeder freut sich, dass abends die Straßenlaternen angehen und dass die Ampelschaltung funktioniert. Ich glaube, das Ganze muss man weiterdenken. Ähnlich wie das Thema Umwelt.
Umwelt ist ein gutes Stichwort. Hier bläst sich ja momentan ein Teil der Gesellschaft ganz gewaltig auf. Es ist aber zu beobachten, dass der Umweltschutz immer nur solange reicht, wie die eigene Komfortzone nicht davon betroffen ist. Darüber hinaus ist der Schutz der Umwelt ganz schnell wieder vergessen.
Genau das ist es. Der eigene Lebensstil ist die Grenze. Ich kann einmal im Jahr verreisen und das ist das, was gesellschaftlich dann auch akzeptiert werden sollte. Insofern kann ich nur hoffen, dass sich das beim Carsharing irgendwann ändert. Es fängt ja mit den Kleinigkeiten an. Zum Beispiel Rauchen im geliehenen Auto. Das ist verboten. Aber natürlich wird in unseren Fahrzeugen geraucht. Oder der Transport von Weihnachtsbäumen. Was hindert die Leute daran, einfach noch mal mit der Hand über die Polster zu gehen und die Nadeln wegzumachen? Zumal wir nach Kilometern und nicht nach Zeit abrechnen. Das heißt, niemand bekommt hier Bonuspunkte, wenn der Wagen im Formel-1-Tempo gewechselt wird.
Das ist jetzt aber wieder ein Appell an das Bewusstsein der Nutzer. Ob der ankommt, bleibt abzuwarten. Ich wage das zu bezweifeln.
Wir haben natürlich auch ein Team, was gegen grobe Fahrlässigkeit vorgeht und die Leute dann entsprechend zur Rechenschaft zieht.
Frustriert Sie das als Chef nicht, dass die Leute nicht in der Lage sind, sorgsam mit den Autos umzugehen?
Selbstverständlich. Aber man ist ja selbst bei vielen Unternehmen Kunde und ärgert sich über Dinge. Um diese Sache wissend, muss man dann auch als Carsharer emphatisch genug sein und sagen, ja hier haben wir Mist gebaut, die Fahrt geht auf uns.
Sie hoffen, dass das auf Ihre Kunden abfärbt? Aber am Ende ist doch dann die Kulanz des Unternehmens immer größer als die der Kunden.
Ja, selbstverständlich.
Mit Oliver Mackprang sprach Holger Preiss
Quelle: ntv.de