Der Morgan stirbt nie Morgan Plus Six - moderner Sechszylinderspaß mit Nostalgie


Am seit vielen Jahrzehnten gleich gezeichneten Grill samt "stieläugiger" Scheinwerfer lässt sich ein Morgan immer identifizieren.
(Foto: Patrick Broich)
Auch wenn Morgan nicht mehr rein britisch ist: Die kleine Manufaktur baut Autos seit ihrem ersten vierrädrigen Fahrzeug vor 87 Jahren bis zum heutigen Tag quasi unverändert. Nur das Herz ist ziemlich modern. ntv.de hat sich der Faszination der Marke hingegeben und einen Plus Six ausgeführt.
Du suchst einen perfekten Roadster mit akkuraten Spaltmaßen und absolut dichtem Verdeck? Dann ist der Morgan nun wirklich der falsche Kandidat. Denn hier gehört gerade der Un-Perfektionismus zum Konzept, wenn man das so sagen will. Schwer zu schließende Türen? Zugige Innenraumatmosphäre selbst trotz aufgesetzter Stoffkapuze? Können den Spaß mit dem Morgan auf keinen Fall schmälern. Und bitte jetzt nicht aufhören zu lesen, denn was noch folgt, wird mitreißend sein und könnte süchtig machen.

Typisch kompakter Roadster mit kurzem Heck und langer Schnauze (3,89 Meter Außenlänge), noch mehr typisch die unverkennbare Morgan-Silhouette: Der Plus Six ist ein Sehnsuchtsauto.
(Foto: Patrick Broich)
Während man bei Morgan fleißig Fahrgestelle vorwiegend aus Aluminium klöppelt (die immer noch vorhandenen Eschenholzanteile des Unterbaus haben eher nostalgische als funktionale Gründe), setzt man beim Antrieb seit Urzeiten auf externe Unterstützung. Und so griffen die Ingenieure früher Modelle auf die Kompetenz des heute eher unbekannten Motorenbauers Coventry Climax zurück, in der jüngeren Morgan-Geschichte tauchen dagegen bestens geläufige Namen wie BMW, Ford und Rover auf.
BMW ist ein gutes Stichwort - denn unter der zweigeteilten, klassischen Motorhaube des flammneuen Morgan Plus Six hockt ein drei Liter großer und turboaufgeladener Reihensechszylinder mit der Bezeichnung B58 und ziemlich feurigen 340 PS Münchener Herkunft. Und die Power erscheint umso feuriger, wenn man bedenkt, dass sie nur etwas mehr als eine Tonne durch die Gegend schubsen muss. Und die achtgängige Wandlerautomatik aus dem Hause ZF haben die Techniker gleich mit installiert.

Unter der klassisch zweigeteilten Haube des Morgan arbeitet ein moderner Turbo-Sechszylinder aus dem Hause BMW, der ihn auf bis zu 267 km/h beschleunigt. Der Plus Six ist übrigens der erste Morgan mit Turboaufladung überhaupt.
(Foto: Patrick Broich)
Klingt abenteuerlich? Und wie! Aber langsam, da man den Morgan-Spaß offen genießen sollte, erhält das Abenteuer vorher noch ein retardierendes Moment. Zwar erweist sich das Öffnen des Verdecks als nicht ganz so fummelig wie beim kürzlich beschriebenen Porsche 718 GT4 RS, aber ein bisschen Arbeit bedeutet die Beseitigung der Kapuze schon. Sei es drum - der Morgan sollte ohnehin am besten offen sein, Garagenbesitzer sei daher empfohlen, ihn einfach offen abzustellen. Und gefahren werden darf bei warmem Wetter gerne auch komplett offen. Dann müssten die seitlichen Steckscheibenelemente aber abgeschraubt und in die Garage gelegt werden (ins Auto passen sie eher nicht), denn Fensterheber gibt es keine. Ansonsten geht auch: die leichten Kunststoffscheiben einfach zur Seite schieben, allerdings bleibt in diesem Fall der Fensterrahmen übrig.
Infotainment gibts auch, aber sehr abgespeckt
Danach rein in die Sitze und eine Anlass-Prozedur durchführen, die aus heutiger Perspektive etwas antiquiert erscheint. Denn der Zündschlüssel muss zunächst in das Schloss gesteckt und herumgedreht werden, bevor der Startknopf zu betätigen ist. Irgendwie niedlich, dass sogar Morgan versucht, ein Mindestmaß an Infotainment zu ermöglichen. Nicht dass es einen Navi-Bildschirm gäbe - aber das kleine, bunte Display vor den Augen des Fahrers mit LCD-Technik blendet immerhin das Morgan-Logo ein. Und fürs Protokoll: Es gibt sogar einen USB-Anschluss und die Möglichkeit, das Smartphone per Bluetooth zu verbinden, um Musik zu hören oder zu telefonieren.
Aber ganz ehrlich, nachdem man die ersten paar Meter gerollt ist, peitscht einem der Wind derart rau ins Gesicht, dass man sowieso weder Sinn fürs Musikhören noch fürs Telefonieren hat. Warum? Weil das Fliegengewicht so brutal beschleunigt, dass nach etwa vier Sekunden (sagt das Werk, ist aber absolut glaubhaft) Landstraßentempo angesagt ist. Und dann stürmt es im britischen Roadster so wild, wie man es eben erwartet. Wer diese Gepflogenheiten bisher noch nicht kannte, wird sie rasch kennenlernen.
Mit dem Gaspedal gelenkt - der Plus Six ist ein Kurvenräuber

Hier mal ein Morgan ohne den klassischen Gepäckträger. Den gibt es freilich als Option weiterhin. Denn anders wird das mit der Mitnahme von Proviant für einen Wochenendausflug schwierig.
(Foto: Patrick Broich)
Es gibt so viele Facetten am Morgan, an denen man sich erfreuen kann. Und bevor jetzt die Innenarchitektur an der Reihe ist, gehts aber noch auf die einsame Landstraße. Denn nachdem man sich hinter der steilen Heckscheibe eingerichtet und ein paar Proberunden gedreht hat, geht der Morgan ganz gut zur Hand. Von wegen phlegmatisches Holzgestell, der Plus Six lässt sich ziemlich dynamisch um die Ecken scheuchen. Mit dem Gaspedal lenken? Fühlt sich sonst bloß bei der Alpine A110 oder dem Mazda MX-5 derart leichtfüßig an. Nur dass der Morgan einen sahnigen Reihensechser aufbieten kann mit einer breiten Vielfalt an Sounddarbietung. Dabei schlägt der bärige Twinscroll-Turbo (500 Newtonmeter) nie über die Stränge, posaunt gegen Drehzahlende zwar lautstark, aber brüllt keineswegs vulgär. Morgan schafft es eben, ein Stück Nostalgie in die Moderne zu überführen.

Nostalgisch-klassisches Interieur mit einem Schuss Moderne. Die Materialien sind für Kleinserien-Verhältnisse ordentlich gearbeitet.
(Foto: Patrick Broich)
Heutige Morgan-Modelle sehen im Grundsatz immer noch so aus wie in den 1930er- Jahren mit freistehenden Kotflügeln und dem unverkennbaren Kühlergrill. Und sie sind nicht retro, sondern einfach erfrischend authentisch. Natürlich haben die Produktspezialisten behutsam justiert. Auch ein Morgan-Innenraum wirkt freilich nicht mehr so improvisiert wie vor 40 oder 50 Jahren, die Materialien sind feiner geworden.
Die Auswahl ist riesengroß - es gibt eine schier endlose scheinende Palette an Dekors, Farben und Felgen, die man studieren kann. Wo eigentlich? Auf der Firmenwebsite lässt sich das entsprechende PDF-Dokument herunterladen. Ein ebenso modernes Element in der Morgan-Story wie der etwas deplatziert wirkende Automatik-Wählhebel aus dem BMW-Regal. Nur die vielen Analogskalen für Drehzahl, Geschwindigkeit und Wassertemperatur stehen noch für klassischen Automobilbau.
Übrigens besitzen die jüngsten Morgan Plus Six sogar ein elektronisches Stabilitätsprogramm. Wäre doch schade, wenn man den etwas über 107.000 Euro teuren Wagen beim etwas zu heftigen Quertreiben zerstörte. Schließlich soll der Spaß möglichst lange halten. Genau wie auch das nostalgische Morgan-Design. Man kann nur hoffen, dass die Manufaktur Autofans noch lange beglückt. Als Kleinserienhersteller mit rund 1000 produzierten Fahrzeugen jährlich unterliegt die Firma zum Glück nicht solch strengen Regularien bei der Homologation, wie das bei Großkonzernen der Fall ist. Also ist etwas dran am womöglich etwas abgedroschenen Spruch: Der Morgan stirbt nie.
Quelle: ntv.de