Auto

Adrenalin und GlückshormoneWer schräg sein will, muss lernen

12.07.2022, 17:45 Uhr imageHolger Preiss
7104607
Rennstreckentraining auf dem Mugello Circuit. Bis es wirklich schräg wird, müssen etliche Runden gedreht werden. (Foto: eventit)

Es ist schon eine Kunst, mit Knie und Ellbogen am Boden schleifend um die Kurve zu fahren. Viele Motorradfahrer wollen es, können es aber nicht. Die Racing School Europe bietet an, es zu lernen. Und nicht nur das, wie der Autor in einem Selbsttest mit Adrenalin und Glückshormonen erfahren durfte.

Wer Motorrad fährt, hat mit Sicherheit schon die Jungs in der MotoGP bewundert, wenn sie mit unglaublichen Geschwindigkeiten an die Kurven schießen, das Motorrad abkippen und mit schleifendem Knie und Ellbogen um die Kehre schlenzen, um anschließend mit abhebendem Vorderrad die nächste Schikane anzupeilen. In Summe ist das atemberaubend und der eine oder die andere wünscht sich vielleicht, selbst mal so schräg uns Eck zu gehen. Aber wo - und wer zeigt einem, wie es geht?

7104103
Der GP-Kurs in Italien ist nicht nur schön, er ist auch eine echte Herausforderung für den Fahrer. (Foto: eventit)

Die Frage stellte sich auch der Autor, der unbedingt mal den Thrill der Rennstrecke mit allem Drum und Dran erleben wollte. Die erste Idee war, das eigene Naked Bike zu nehmen und auf den Rundkurs zu gehen, wenn dort die Touristenfahrten angeboten werden. Ohne Vorkenntnisse war dann aber die Angst zu groß, das eigene Liebchen auf der Rennstrecke zu zerlegen. Und da kam ihm der Zufall zu Hilfe. Auf den BMW Motorrad Days in Berlin stand der Truck der Racing School Europe. Nicht zufällig. Die Schule arbeitet mit den Bayern zusammen und wird von Marcel Kramer, einem Vollblut-Racer, angeführt. Er hat neben einem ausgeprägten Drang zur schnellen Runde ein einzigartiges Vermögen, Dinge zu erklären. Doch das erfuhr der Autor erst auf dem 5,245 Kilometer langen Mugello Circuit, einem der legendärsten GP-Kurse, von dem Kenner sagen, dass er zu den drei schönsten der Welt gehört. Denn genau auf diesem Kleinod der schnellen Zweiräder durfte der Autor mithilfe der Racing School Europe das erste Mal Vollgas geben.

Mit 70 Prozent auf die Strecke

Das ist aber tatsächlich eher symbolisch gemeint, denn eine Grundidee der Racing School ist es, lediglich mit 70 Prozent des eigenen Vermögens zu fahren. Und warum nicht volle Lotte? "Weil dein Kopf dann nur mit dem beschäftigt ist, was gerade passiert, du aber nichts von dem mitnehmen kannst, was wir vermitteln wollen", erklärt Marcel. Also kurz, wer meint, er kann alles und wer nur auf Rundenzeiten geeicht ist, der ist hier nur bedingt richtig. Ja, das musste auch der Autor erfahren. Sein Ehrgeiz und der Drang, schnell zu sein, ließen die ersten Runden zur inneren Katastrophe werden. Nicht nur, dass die Linie nicht stimmte, auch die Blickführung war verkehrt und gesessen hat er auf der S 1000 RR wie auf einem Naked Bike.

Mugello-1
Wer das Vermögen besitzt, kann auch mit vorgewärmten Slicks auf die Rennstrecke gehen. (Foto: Holger Preiss)

Dabei ist die von BMW zur Verfügung gestellte S 1000 RR eine beeindruckende Waffe, die auf dem Rundkurs ebenso zu Hause ist wie auf der Straße. 207 PS bei 13.500 Umdrehungen, 113 Newtonmeter maximales Drehmoment, die bereits bei 11.000 Kurbelwellenumdrehungen anliegen und über 300 km/h in der Spitze. Hinzu kommt ein Kampfgewicht von 197 Kilogramm, Traktionskontrolle mit einer 6-Achsen-Sensorbox, Schräglagensensorik und eine Wheelie-Kontrolle. Features, die sich auf der Rennstrecke wirklich bezahlt machen. Für den Einsatz auf der Rennstrecke gibt es natürlich die entsprechenden Pneus. In diesem Fall: Metzeler Racetec RR K3. Wer es kann und will, der fährt mit Slicks und wird dementsprechend schnelle Runden hinlegen. Selbst dann, wenn er im Rahmen der 70 Prozent bleibt. Doch neben den fünf 20-minütigen Stints pro Tag gibt es immer wieder persönliche Auswertungen mit dem Instruktor, der nicht mehr als drei Fahrer betreut, und die Lehrstunden mit Marcel.

Nicht jeder mag die Theorie

Der sagt: "Das Problem ist, dass du immer wieder Leute hast, die wollen nichts von Blickführung, Sichtfeld, Ideallinie, Sitzwechsel, dem richtigen Gang, dem Einsatz der Motorbremse oder der Arbeit mit dem Gas hören. Jedenfalls nicht, so lange es von mir kommt." Schade eigentlich, denn nicht nur, dass der Mann in seiner Sturm-und-Drang-Zeit erfolgreich für Yamaha gefahren ist, er hat auch einigen GP-Größen gezeigt, wie der richtige Strich über den Kurs zu ziehen ist. "Aber das ist nicht schlimm", sagt der Niederländer grinsend, "für die, die eine Autorität brauchen, die ihnen das vermittelt, haben wir Troy Corser." Der Australier ist zweifacher WSBK-Champion. In Mugello war er aus persönlichen Gründen nicht dabei. Aber die Videos von ihm, die in den Theorieeinheiten gezeigt wurden, bewiesen selbst den Besten, dass es auch für sie noch Luft nach oben gibt.

70407498
Der Autor hat noch nie so oft die blaue Flagge auf einer Rennstrecke gesehen wie in Mugello. (Foto: eventit)

Und der Autor? Nun, der hat auf einer Rennstrecke noch nie so viele blaue Flaggen (mach Platz, da kommt jemand, der schneller ist als du) gesehen wie beim Training in Mugello. Und ja, die Jungs waren schnell und schräg. "Schräg ist nicht gleich schnell", erklärt Marcel. "Es kommt darauf an, wie du in die Kurve fährst, wie deine Blickführung ist, wie du rausbeschleunigst und wie du dann in die nächste Kurve kommst." Das ist jetzt bitte nicht falsch zu verstehen. Natürlich musst du mit einem Rennmotorrad Schräglage aufbauen, denn du ziehst nicht am Lenker, um die Kurve zu nehmen, sondern du führst es vor allem durch die Schräglage. Andernfalls wäre die Unruhe, die in die Maschine käme, einfach zu groß. "Aber es müssen eben auch keine 60 Grad sein, wie es die Jungs in der MotoGP fahren", erklärt Marcel.

Technik, Technik, Technik

Am Ende ist schräg fahren natürlich, wie könnte es anders sein, eine Frage der Technik. Eine Technik, die gelernt sein will, wie auch die anderen schon erwähnten Feinheiten, die es für die schnelle Runde auf dem Kurs braucht. Der Autor seinerseits war jedenfalls froh, dass er Patrick Frutschi als Instruktor hatte. Der Schweizer erklärte mit einer engelsgleichen Geduld, wo die Fehler liegen, wertete die von ihm aufgenommen Videos aus und machte Trockenübungen, um dem Schreiber am Ende die richtige Sitzposition für die Schräglage zu vermitteln. Und so musste er sich dann auch zurücknehmen, muss akzeptieren, dass es andere auf dem Track gibt, die es besser können, die schneller, viel schneller sind.

70408028
Die Correntaio gehört zu den schönsten Kurven des Mugello Circuit. (Foto: eventit)

Doch als er das begriffen hat, beginnt der Swing, werden die Kurven, wie zum Beispiel die wirklich schwer zu fahrende San Donato hinter dem Hügel der Start-Ziel-Gerade, leichter. Die Sitzposition wird vor der Kehre geändert, die Gänge werden rhythmisch runtergeschaltet, um die Motorbremse zu nutzen. Ist die Maschine dennoch zu schnell, wird mit zwei Fingern an der Vorderbremse geankert, der Curb mit dem ersten Blick angepeilt, abgekippt, um in feiner Schräglage und mit weitem Blick zum Kurvenausgang ums Eck zu fliegen. Man mag es nicht glauben, aber da wird beim Beschleunigen auf der Geraden und einem sich abhebenden Vorderrad nicht nur Adrenalin ausgeschüttet, sondern auch Glückshormone. Tatsächlich waren die Schnellsten auf der Start-Ziel-Geraden mit über 300 km/h unterwegs.

Was kostet das Glück?

Stellt sich die Frage, was das Glück kostet. Das ist unterschiedlich. Wer zwei Tage auf den Salzburgring geht, zahlt 900 Euro; wer lieber drei Tage auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya fährt, muss schon mit 1500 Euro rechnen. Hinzu kommen 1077 Euro für das Motorrad und 225 Euro, die die Schadensbeteiligung bei einem Unfall auf 2500 Euro reduzieren.

Mugello-2
Das Team bereitet alles vor. Für die Fahrer heißt es nur aufsteigen und losfahren. (Foto: Holger Preiss)

Das hört sich nach viel Geld an, ist es auch. Doch man bedenke, dass hier nicht nur das Motorrad in Form der BMW S 1000 RR, sondern auch die Reifen, das Benzin, die Mechaniker und die Betreuung durch die Instruktoren enthalten sind. In drei Tagen ist der Autor in 15 20-minütigen Sessions über den Kurs gefahren, hat ebenso viele Auswertungen durch seinen Instruktor bekommen und nicht zu vergessen, die lehrreichen und sehr unterhaltsamen Theorieeinheiten mit Marcel.

"Weißt du, ich habe die Schule 2019 gegründet. Und alle, die hier arbeiten, machen das, weil sie für das Motorradfahrer und die Rennstrecke brennen. Die sind wochenlang weg von ihren Familien und reich wird hier keiner", erzählt Marcel. Mit Sicherheit nicht, denn neben dem Rennstreckentraining gehört auch der Transport und der tägliche Auf- und Abbau zu den Aufgaben der Crew. Am Ende fühlt sich das alles trotz eines scheinbar hohen Preises sehr fair an, weil es wirklich ein Rundum-sorglos-Paket ist. Buchen kann man das und natürlich noch andere Reisen auch direkt bei BMW. Die haben eine Seite eingerichtet, die sich da Fuel For Life nennt und neben Rennstreckentrainings, Offroad-Fahrten oder Reisen mit der R18 durch Portugal oder Costa Rica anbietet.

Quelle: ntv.de