
Es ist wie immer: Der Hund kann nix dafür, Herrchen ist schuld.
(Foto: IMAGO/blickwinkel)
Die Wut in der Gesellschaft steigt und steigt. Das Verhalten des Ballettdirektors von Hannover zeigt, dass auch unter mutmaßlich Gebildeten die Toleranzschwelle sinkt. Die widerliche Tat gegen eine "FAZ"-Kritikerin war in ihrer Übergriffigkeit allerdings einmalig beschissen.
Geschätzte Anhängende des politisch Unkorrekten, auch heute habe ich eine schlechte und eine gute Nachricht für Sie. Die miese zuerst: Die Welt ist voller Scheiße. Die gute lautet: Sie ist gleichmäßig verteilt, jeder Teil der Erde kriegt seinen Teil ab, es ist genug für alle da. Wenigstens hier geht es gerecht zu. Das gilt auch für die Blödheit, die sich einen steten Wettlauf mit der Aggression liefert. Das Duo bildet das bisher einzig funktionierende Perpetuum mobile auf dem Globus.
Alles Kacke! Auch in Deutschland. Selbst Dackelbesitzer, sonst Abbild des deutschen Spießers ohne Fehl und Tadel, werfen - mindestens verbal - mit Scheiße um sich, wenn man es wagt, nicht die Tiefen und Untiefen ihrer künstlerischen Blähungen zu erkennen, die doch in Mark und Darm zu gehen haben. Der Dackelbesitzer, von dem hier die Rede ist, arbeitete hauptberuflich als Ballettdirektor an der Staatsoper Hannover und heißt Marco Goecke.
Ich habe ein Video mit ihm gesehen, da sitzt er im dunklen Anzug in einem dunklen Raum, mit dunkler Bühne und dunkler Sonnenbrille vor den Augen. Neben ihm wartet ein Dackel auf Godot, ein Leckerli oder wen oder was auch immer. Der Hund ist gerade dabei, Scheiße zu produzieren, die später in der Tasche seines Herrchens landen wird, damit er sie demnächst in gewohnter Weise entsorgen kann. Denn auch Scheiße muss ans Licht.
Der Dackelbesitzer erläutert sein neustes Werk, ein Ballett, aufgeführt in Den Haag - aus seiner Sicht eine helle Freude in dunklen Zeiten. Er erklärt, was er sich dabei so ge- und erdacht hat, dass er "mal ein längeres Stück ohne jede Geschichte" machen wollte. Ein bescheidener Ansatz, denn Geschichte will doch eigentlich jeder machen, gerade ein Dackelbesitzer, den außerhalb seiner tanzenden Blase und seines künstlerischen Darms keine Sau kennt, falls er nicht gerade beschissene Schlagzeilen choreografiert.
Inspiriert zur Geschichte seines geschichtslosen Balletts haben den Dackelbesitzer das Meer und der Strand, die er, wenn er wohlverdiente Pause hatte, stundenlang durch das Fenster seines Hotelzimmers in Scheveningen betrachtete oder wie er es in einer Fremdsprache formulierte: "When I look long to the sea." Als der Dackelbesitzer also many hours long to the sea lookte, stellte er fest, dass vor und auf der See gar nicht so viel passiert, das Ganze "ausgesprochen langweilig" ist. Dem dunkel gekleideten Choreografen, der von Berufs wegen für Bewegung auf Bühnen zu sorgen hat, ging ein Licht auf, ihm wurde warm ums Herz und im Darm, weil er merkte, dass sich die Szenerie eben doch verändert. Als Beispiele nannte er das "Licht", den "Lärm", den "Wind" und "natürlich die See", das Auftauchen und Verschwinden von "Kindern", "Hunden" und "Booten".
"Das kannst du für den Rest deines Lebens tun", schwärmte der Dackelbesitzer in dem Video vom Meer-Glotzen. Das gönnen wir ihm, dann hat er was zu tun. Finanziell ist ihm das sicher möglich, weil der Job eines Ballettdirektors bestens bezahlt wurde und seine Werke in Hannover weiterhin aufgeführt werden, was ein wenig Kohle bringt, die für ihn und ein bisschen Dackelfutter reichen sollte. Staatstheater werden in nicht geringem Maße subventioniert. Das Problem könnte der Dackel sein, der Gassi muss und seinen Besitzer zwingt, das Starren aufs Meer immer wieder zu unterbrechen, es sei denn, der Hund kackt auf den Strand.
"Gezucke" und "Gehopse"
Die "FAZ"-Kritikerin Wiebke Hüster urteilte über das Gezucke und Gehopse in Den Haag: "Das krass getaktete, wie abgeklemmte Tanzen, die Gänge, bei denen die Arme an den Körper geklebt sind wie eingezogene Hundeschwänze, die sprechenden, fuchtelnden, aberwitzigen oder tragischen Soli, die zusammenklatschenden Bäuche der Duettierenden, all das ist toll." Nur leider: "Man wird beim Zuschauen abwechselnd irre und von Langeweile umgebracht."
Der Dackelbesitzer hat die Worte offenbar so gedeutet: Das war totale Scheiße. Und deshalb beförderte er Dackelkacke in der Pause der Premiere von "Glaube - Liebe - Hoffnung" in das Gesicht (!) seiner Kritikerin. Das "Du musst draußen bleiben" gilt offenbar nicht für alle Dackel in Deutschland. Meinetwegen. Mich irritiert was anderes, nämlich dass der Dackelbesitzer die Ausscheidungen seines Hundes in seiner Tasche aufbewahrt und nicht rasch irgendwo entsorgt. Natürlich gilt: Scheiße bei sich zu haben oder auf die Bühne zu befördern, ist nicht verboten und gehört zur künstlerischen Freiheit. Aber auch Degenerierte haben kein Recht, sich übergriffig zu verhalten.
"Ich arbeite seit 25 Jahren und schlechte Kritiken sind mir egal", behauptete der Dackelbesitzer. "Aber es gibt Grenzen!" Und: "Nach 20 Jahren diese Scheiße lesen war das Maß voll!" Nun habe ich in der "FAZ" gelesen, dass die wahrlich kundige Wiebke Hüster über Jahre hinweg gerade mal neun Aufführungen des Dackelbesitzers bewertet, zwei davon "enthusiastisch gelobt" und den Rest "kritisch" beurteilt hat. Der Dackelbesitzer sah darin "eine gewisse Form der destruktiven, verletzenden und den gesamten Kulturbetrieb schädigenden Berichterstattung", über den die Medien gefälligst mal nachdenken sollten. Damit wollte er seinem Scheißverhalten eine solidarische Note geben: Ich habe es für euch alle getan, Kolleginnen und Kollegen.
Zu Recht fragt der für Kultur und Unkultur zuständige FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube, wo hier "Beleidigung", "Verunglimpfung", "Mobbing" und "Geschäftsschädigung" lagen, die der Dackelbesitzer in seinem Versuch einer Entschuldigung vorbrachte. Wir wissen es nicht und werden es auch nie erfahren. Aber es zeigt sich mal wieder, dass die Toleranzschwelle sinkt und die allgemeine Wut in der Gesellschaft gerne auch an Journalisten ausgelassen wird. "Im Nachhinein wird mir klar bewusst, dass dies eine schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion war."
Jemanden mit Dackelkacke zu malträtieren und das als "Überreaktion" zu verniedlichen, ist verdammt schräg. Das Staatstheater sah es auch so und hat den Dackelbesitzer entlassen. Vielleicht wird er nun Hausmeister in einer Hüpfburg in Scheveningen, kann täglich aufs Meer starren und Kindern erklären, wie man sich richtig bewegt.
Quelle: ntv.de