Paartherapeut Umut Özdemir "Beziehung muss nicht immer schwer sein"
11.08.2023, 18:08 Uhr Artikel anhören
Im Alltag fehlt oft die Zeit, sich um die Beziehung zu kümmern.
(Foto: IMAGO/Westend61)
Liebst du mich überhaupt noch, wer macht den Abwasch und wann haben wir eigentlich mal wieder Sex? Fragen, die in Paarbeziehungen schnell zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen werden. Paartherapeut Umut Özdemir ist überzeugt: Mit etwas Übung kann Beziehung auch leicht sein.
ntv.de: Gibt es noch Menschen, die glauben, sie verlieben sich und bleiben dann einfach miteinander glücklich?
Umut Özdemir: Meiner Erfahrung nach gibt es Menschen mit allen möglichen Vorstellungen. Es gibt die, die Beziehung als wirtschaftliche Verbindung sehen oder sagen, wir heiraten wegen der Steuerklasse. Andere sind in einer Beziehung, weil sie nicht allein sein wollen. Und es gibt die, die eine sehr romantische Vorstellung von Liebe haben. Sie glauben an Liebe auf den ersten Blick, an die eine richtige Person, die bessere Hälfte quasi.
Ich dachte, es hätte sich bereits die Überzeugung durchgesetzt, dass keine gute Beziehung, also weder eine Freundschaft noch eine Liebesbeziehung langfristig hält, wenn man nicht daran arbeitet?
Es gibt einen Unterschied zwischen der rationalen Einstellung und dem Alltag. Weil man ja ganz klar sagen muss, wenn man berufstätig ist, einen Freundeskreis, eine Kernfamilie und vielleicht auch noch Kinder hat, dann bleibt ja ganz oft kaum noch Zeit oder vielleicht auch gar keine für die Paarbeziehung. Dann hat man vielleicht die Idee, daran zu arbeiten, findet aber gar nicht die Zeit dazu. Ich sage immer wieder, man muss sich diese Zeit aktiv nehmen, sie wird nicht einfach kommen.
Ihr Buch verspricht, dass Beziehung leicht gehen kann. Alle diejenigen, die immer wieder kämpfen, traurig sind, über Trennung nachdenken, würden gern wissen, wie es leicht geht.
In der Theorie geht alles leicht. Das Problem ist, dass es in der Praxis viel komplizierter ist. Ich schreibe auch relativ am Anfang, dass ich nicht einfach allen sagen kann, mit dieser einen Formel funktioniert es für alle super. Wir sind alle verschieden und nur weil etwas leicht klingt, ist es das nicht. Gleichzeitig ist das natürlich auch eine Anspielung auf all die Menschen, die für Unsummen Versprechen abgeben und sagen, mit diesen drei Tricks wäre eine Beziehung super.
Was macht es denn im Alltag so kompliziert?
Dass da so viele Faktoren mit reinkommen. Aus welchem Elternhaus komme ich? Haben mir meine Eltern vorgelebt, dass man Konflikte durch Sprechen lösen kann? Oder schweigt man sich dann tagelang an, ist passiv aggressiv? Meine vorherigen Beziehungen können mir Dinge beigebracht haben oder Narben und Wunden hinterlassen haben. Habe ich vielleicht gewisse Themen mit mir selbst, die Beziehungen erschweren? Dann gibt es rein praktische Dinge. Nehmen wir uns überhaupt Zeit? Es gibt Menschen, die arbeiten 50 oder 60 Stunden die Woche, die sind abends völlig kaputt. An einer Beziehung zu arbeiten, sich zu öffnen, ehrlich zu reden, braucht unglaublich viel Kraft und Energie. Und bin ich bereit, mich zu verändern? Habe ich den Mut, Dinge anzusprechen? Bin ich vielleicht von der Persönlichkeit eher jemand, der oder die Angst hat, ich könnte verlassen werden, wenn ich problematische Dinge anspreche? All das kann in der Summe dazu führen, dass die Hemmschwelle einfach sehr, sehr hoch ist.
Ein ganz großer Komplex ist vermutlich Kommunikation.
Kommunikation ist der Schlüssel. Manchmal erwarten Paare oder Personen, dass die andere Partei Gedanken lesen kann. Sie glauben, der oder die müsse doch wissen, dass es mir so geht. Aber vielleicht hat der oder die andere einen schlechten Tag und gerade nicht so viel Energie, sich in die andere Person hineinzuversetzen. Dann brauche ich ein Gegenüber, das sagt, "ich sehe das so" oder "ich denke so" oder "warum fragst du das jetzt?". Innere Vorgänge können wir nur mitkriegen, wenn Menschen sich uns mitteilen.
Ganz viele sind ja der Meinung, wenn es diese prinzipielle emotionale Übereinstimmung gibt, dann geschehe das sozusagen fast automatisch. Warum ist es trotzdem wichtig, Gefühle und Probleme auszusprechen und auch den Raum dafür zu schaffen?
Weil jeder in die Plausibilitätsfalle tappen kann. Ich kann denken oder meinen zu wissen, dass etwas so oder so sei. Am Ende habe ich vielleicht einfach die Informationslücken geschlossen, weil unser Gehirn nun mal so funktioniert. Kein Paar ist 100 Prozent deckungsgleich, es gibt in der Regel Unterschiede und die müssen besprochen werden, damit man weiß, wie darf ich mich verhalten, wie soll ich mich verhalten? Besprechen wir beispielsweise vor anderen unsere Paar-Probleme? Also öffnen wir ein Thema, worüber wir zu Hause diskutiert haben, auch im Freundeskreis beim Wein? Für manche ist das gar kein Problem, für andere ist es ein Riesenthema, die sagen, das geht keinen was an. Kindererziehung, Sexualität, das sind alles Themen, bei denen Menschen sich einigen müssen und die total viel Raum für Konflikte bieten.
Ist das etwas, was man einüben kann und was dann tatsächlich leichter wird?
Ja, davon bin ich überzeugt. Die Hemmschwelle anfangs ist groß. Es braucht ein Stück weit Mut. Es ist beängstigend, sich zu öffnen, es kostet Überwindung. Wir Menschen sind dazu programmiert, zu einer Gruppe zu gehören. Deshalb haben wir Angst, verlassen zu werden. Mut bedeutet nicht, dass man keine Angst hat. Mut bedeutet, dass man etwas tut, obwohl man Angst hat, und aushält, dass die andere Person einen ablehnen könnte. Meine Erfahrung ist, in den allermeisten Fällen wird die andere Person mich nicht ablehnen, wenn sie von meinen Ängsten, Befürchtungen oder Schwachstellen erfährt. Und wenn ich diese Erfahrung mache, dann wird automatisch mein vorheriger Gedanke infrage gestellt, dass mich die Person verlassen könnte. Dann wird es mit jedem Mal leichter. Da spielt dann sofort dieser zweite große Part rein: Wie bin ich geprägt, was ist mein Selbstbild, wie ist meine Erfahrung von zu Hause aus der Herkunftsfamilie?
Geht es auch darum, eine Ablösung von diesen elterlichen Prägungen zu erreichen?
Nur wenn mich stört oder einschränkt, was mir vermittelt wurde. Wenn ich total okay damit bin, dann gibt es ja auch nichts zu ändern oder lösen. Ich glaube aber, dass es hilfreich ist, das zu reflektieren. Warum bin ich so, wie ich bin oder woher kommt das? Damit ich auch mir selber, aber auch dem Partner oder der Partnerin erklären kann, warum ich ticke, wie ich ticke oder warum ich mich so verhalte, wie ich mich verhalte. Und dann kann ich auch sagen: Das ist mir wichtig. Wenn mich meine Prägungen aber einschränken, wenn ich merke, da komme ich nicht weiter und das liegt auch an vergangenen Erfahrungen, dann kann ich mich natürlich fragen: Warum lebe ich meine jetzige Beziehung eigentlich nach den Regeln anderer Menschen? Möchte ich das überhaupt? Oder möchte ich in meiner Beziehung glücklich werden und meine eigenen Regeln aufstellen?
Wie groß ist der Anteil Ihrer Klientinnen und Klienten, die kommen und sagen, ich möchte meine eigenen Regeln aufstellen?
Die Idee der Gesellschaft, in der wir leben, ist ja nicht, dass wir Regeln, Normen und Werte infrage stellen. Wir sollen sie einfach bitte befolgen, damit das Zusammenleben funktioniert. Aber beispielsweise andere Kulturen haben plötzlich ganz andere Normen, Regeln und Werte. Deshalb stellt man in interkulturellen Beziehungen eher infrage, was einem vermittelt wurde. Aber selbst wenn beide in Deutschland sozialisiert wurden, kommt vielleicht ein Punkt, wo sie sich diese Fragen stellen. Also: Warum muss ich denn zwingend ein gemeinsames Schlafzimmer haben? Das ist einer der Klassiker in einer Hetero-Beziehung.
Sind die Probleme tatsächlich oft so banal?
Ich würde vielleicht nicht banal, sondern typisch sagen. Die Klassiker, mit denen Menschen zu mir kommen, sind unschönes Streiten oder "Wir haben seit Jahren keinen Sex mehr" und "Ich habe das Gefühl, wir sind nur noch eine WG". Das Problem ist, dass eine Beziehung nicht mit einer Bedienungsanleitung kommt und wir auch in vielen Freundschaften nicht wirklich über die tiefer liegenden Probleme sprechen. In 75 bis 85 Prozent der Paartherapien, die bei mir stattfinden, geht es um Kommunikation. Reden wir miteinander? Worüber reden wir eigentlich? Denn all diese Dinge sind ja nur der Auslöser, dahinter steckt was anderes. Oft geht es nicht darum, dass ich schon wieder die Spülmaschine ausräume. Das ist eine Sache von zwei, drei Minuten. Dahinter kann aber stecken, dass ich vielleicht den Eindruck habe, die Tätigkeit, die ich im Haushalt mache, wird nicht wertgeschätzt. Oder warum siehst du das nicht als andere Person? Warum bleibt Arbeit immer an mir hängen? Das sind vielleicht die Themen, um die es eigentlich geht.
Das klingt alles sehr anstrengend.
Ist es auch! Aber es gibt immer einen Grund, warum jemand in dieser Beziehung ist. Der kann total pragmatisch sein, der kann wirtschaftlich sein, aber auch emotional. Natürlich habe ich damit Arbeit. Aber die habe ich auch, wenn ich Single bin oder allein bleibe. Ich habe in der Partnerschaft andere Kosten, aber ich habe hoffentlich auch einen höheren Nutzen. Das klingt sehr betriebswirtschaftlich, ich weiß, aber man kann das ein Stück weit so beschreiben. Kosten meint eben nicht nur das Finanzielle, sondern auch die Energie, die ich bei einer Diskussion oder bei einem Kompromiss aufwenden muss. Das hätte ich nicht, wenn ich Single bin. Aber ich habe auch doppelte Ressourcen, wenn ich in einer Beziehung bin, weil mich dieser Mensch trösten kann, wenn ich einen schlechten Tag habe, oder ich habe eine Person, mit der ich Erlebnisse haben und wunderschöne Erinnerungen produzieren kann.
Was macht es wirklich leichter, eine Beziehung zu führen?
Wir kommen nicht darum herum, auch schwere Zeiten zu haben. Vielleicht stirbt jemand in der Familie, jemand wird arbeitslos oder man muss eine neue Wohnung suchen. Das sind harte Zeiten. Aber dann schafft man es vielleicht auch zu zweit oder wie viele Personen auch in dieser Partnerschaft sind, ein bisschen besser da durchzukommen, als wenn man allein ist, weil man eine Stütze hat. Und in der Regel kommen ja auch wieder leichtere, angenehmere Zeiten. Es liegt auch an uns, schöne Momente zu erleben und Leichtigkeit reinzubringen. Beziehung kann nicht einfach immer nur leicht sein. Das halte ich auch für eine Utopie. Aber ich glaube auch nicht, dass eine Beziehung immer schwer sein muss.
Mit Umut Özdemir sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de