
Der Autor hat versehentlich etwas zu viel Kinderfernsehen geschaut.
(Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP)
Keine Kriminellen, keine Boshaftigkeit, keine Verquerten. Dafür glatte Straßen, beste Infrastruktur, Freundlichkeit und ein prima Gesundheitssystem. Sie denken an Berlin? Falsch. Die Rede ist von Peppa-Wutz-Land. Unser Kolumnist erklärt, warum der tierische Traum von Boris Johnson allzu menschlich ist.
Mensch, hört es denn nie auf! Jede Nacht vor dem Einschlafen lese ich Nachrichten, rege mich fürchterlich auf, beruhige mich durch das Zählen von Schafen, penne endlich ein, träume von Juny oder anderen göttlichen Wesen aus meiner Vergangenheit, um dann am Morgen als das Schlafschaf aufzuwachen, das ich nun mal bin. Ein erster Blick in die News: Oh je, wieder eine neue Virusvariante! Oh je, BZ393.VX.44.11 soll noch gefährlicher sein als die schon sehr gefährliche Mutation PO97723.VX.44.55. Und die war schon viel gefährlicher als die davor. Selbst Karl Lauterbach muss im "Morgenmagazin" zugeben, bisher nicht viel darüber zu wissen, außer eben - das hat ihm ein Freund in Harvard soeben bestätigt -, dass BZ393.VX.44.11 noch gefährlicher ist als die schon sehr gefährliche Variante PO97723.VX.44.55.
Aber zum Glück regiert jetzt Olaf Scholz. Der von ihm umgehend eingerichtete Krisenstab, der selbstverständlich paritätisch besetzt wird, weshalb die Berufung der allerletzten Mitglieder noch ein, zwei Jahre dauern wird, berät und berät, bevor er beschließt, dass etwas getan werden muss, damit wir BZ393.VX.44.11 rasend schnell in den Griff kriegen. Denn das Ding ist bekanntlich noch gefährlicher als die schon sehr gefährliche Variante PO97723.VX.44.55. Das hat soeben Karl Lauterbach im "Morgenmagazin" bestätigt. Und der weiß es von einem Kumpel aus Harvard. Es muss stimmen.
Dieses neue Tempo der Ampel ist im Vergleich zu den Videoansprachen von Angela Merkel atemberaubend, wobei ich nicht sicher bin, ob man angesichts der vollen Intensivstationen das Wort "atemberaubend" noch sagen darf oder man es auf den Index und zum a-Wort erklären sollte. Sprache ist wichtig, sie formt den Geist - und nicht umgekehrt. Da ich ein Sehr-Gutmensch bin, gehe ich beispielhaft voran: Das Tempo der Ampel ist a-Wort. Und schon ist die Welt wieder ein bisschen besser. Dank mir. Jeder kann seinen Beitrag leisten. Nicht nur beim Klimaschutz.
"Corona ist ja bald vorbei", hat Olaf Scholz im September in der ARD-Wahlarena gesagt. Das war vor der Wahl. Da verkündet man nichts, was einem den Vorwurf der Panikmache einbringen kann. Und nun ein Krisenstab. Einsicht ist immer gut, schnelles Handeln auch, jedenfalls besser, als in der Weltgeschichte rumzufahren, sich feiern zu lassen, dem Papst eine Audienz zu gewähren und sich zu freuen, "wieder einmal auf dem Campo Santo Teutonico zu sein", dem Symbol "für die jahrhundertealte Verbundenheit zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl", wie sich Angela Merkel zitieren ließ.
Ein Friedhof als Idyll
Der Campo Santo Teutonico ist ein Friedhof, ein kleines Idyll innerhalb von Vatikanstadt. Der Besuch lohnt, erst recht als Lebender. Mindestens so schön, wenn nicht noch schöner ist das Land, in dem Peppa Wutz, ihre Familie, Freunde und Nachbarn wohnen. Ich selbst war nie dort, aber habe es mit meiner kleinen Großnichte ausgiebig bei Youtube betrachtet. Es hat mich fasziniert, dass Figuren, die meiner Vorstellung von Ästhetik ganz und gar widersprechen, ein Kind so sehr in den Bann ziehen können.
Boris Johnson war dort. Er findet die kleine Sau einfach nur geil. "Toll. Peppa-Wutz-Land ist genau der richtige Ort für mich." Seine Beschreibung der Hauptfigur als ein von Picasso gemalter Föhn trifft es haargenau. "Der Zeitpunkt ist gekommen, sich über den Premierminister Sorgen zu machen", meinte die Zeitung "The Independent". Das Gegenteil ist der Fall. Endlich verhält sich ein Politiker wie ein Mensch, der eine heile Trickfilm-Welt zum Vorbild erklärt. Das passt prima in unsere Zeit, in der sich Irrationales nicht mehr von der Realität trennen lässt.
"Die Straßen sind sicher, Disziplin in Schulen. Sie legen viel Wert auf öffentlichen Nahverkehr", lobt der britische Premierminister, um bald danach zu wiederholen. Ein Land "mit sicheren Straßen, großartigen Schulen, mit fantastischem Breitband". Nur an einer Stelle irrt er: "Keine Regierung der Welt, kein Regierungsbeamter hätte Peppa erfinden können." Falsch. Berlin ist drauf und dran, Peppa-Wutz-Land zu werden. Sichere Straßen, großartige Schulen, fantastisches Breitband, perfekter Nahverkehr, Friede, Freude, Eierkuchen - all das wird im Koalitionsvertrag der neuen rot-grün-roten Landesregierung von Peppa Giffey stehen. Grunz.
Anruf genügt und Dr. Braunbär kommt mit Blaulicht
Wie Krisenbewältigung im Krankheitsfall geht, kann man in Peppa-Wutz-Land bestaunen. Da macht selbst die Virusvariante BZ393.VX.44.11 keine Angst. Dank Dr. Braunbär. Er ist ein genialer Arzt, stellt blitzschnell Diagnosen, an denen sich die Patienten beteiligen können. Sein Service ist noch besser als der, den man in Berlin erwarten darf. Wartezeiten gibt es nicht. Er geht sofort persönlich ans Telefon, neben dem er zu leben scheint. Dr. Braunbär stöhnt nicht über Personalmangel, er kommt ohne Praxishilfe aus, soweit ich das überblicken kann. Öffnungszeiten kennt der Doc nicht, die Schwelle für einen Hausbesuch liegt bei ihm sehr weit unten.
Anruf von Peppa Wutz: "Alle Erwachsenen haben sich bei Pedro angesteckt." Konkret: Sie husten. Über die Schuldzuweisung an Pedro, einem Pony-Kind, dessen Namen auf einen lateinamerikanischen Migrationshintergrund deutet, schauen wir an der Stelle großzügig hinweg. Schließlich soll das Idyll keine Risse bekommen. "Keine Sorge, Peppa, bin schon unterwegs." MIT BLAULICHT! WEGEN HUSTEN! Das nenne ich vorbildlichen Einsatz. Dr. Braunbär ist das Gegenteil eines Problembären, man muss ihn einfach lieben.
"Alle haben Pedros Husten, richtig?", lautet seine Blitzdiagnose unmittelbar nach Eintritt in das Haus mit den vielen Kranken. Er braucht sie nicht zu untersuchen, ein Blick genügt. "Schön Mund aufmachen", sagt Dr. Braunbär und kippt allen Patienten ohne weitere Erläuterungen flüssige Arznei in den Rachen. Keine Diskussion über etwaige Nebenwirkungen. Keiner erkundigt sich nach Studien, die mindestens 20 Jahre alt sein müssen. Keiner sagt: "Sie sind ein Diener des Regimes. Ihnen geht es nicht darum, eine Welle zu brechen. Ihnen geht es darum, Menschen zu brechen. Unsere Würde und Körper sind unantastbar. Frieden. Freiheit. Keine Diktatur."
Nein, alle hören auf den fachkundigen Doktor und lassen sich - das darf man aufgrund ihrer Äußerungen so deuten - das widerlich schmeckende Zeug eintrichtern, als wären sie keine Schweine, sondern Schlafschafe und Peppa-Wutz-Land kein Idyll, sondern der tiefe Staat. (Verehrte Schwurbler, Sie können ja mal auf Tiktok mit Attila, dem veganen Irren, diskutieren, ob die Protagonisten in Peppa-Wutz-Land nur alle freundlich tun oder ob sie in Wahrheit böse Globalisten und Mitglieder der Neuen Weltordnung sind.)
Potzblitz, so besiegt man also Krankheiten! Und stärkt den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft, ist solidarisch. Peppa Wutz fragt Dr. Braunbär, was er eigentlich tue, wenn es ihn selbst mal erwische. "Ich bin nie krank." Kaum zu Hause angekommen, verschwindet der Doktor mit Pedros Husten im Bett. Es klingelt an der Tür. "Wir wollen uns um Sie kümmern." - "Hier haben Sie Obst." - "Und noch ein paar Kissen." - "Und hier ist Ihre Medizin." Dr. Braunbär nimmt sie, obwohl sie nach "Marmeladenteppichpuddingjoghurtsocken" schmeckt.
Das nenne ich Mitmenschlichkeit. Quatsch, natürlich Mittierigkeit. Insofern kann ich nur sagen: Ich teile den Traum von Boris Johnson.
Quelle: ntv.de