Leben

Männer und Sex "Ist er groß und hart genug?"

Im Bett machen sich viele Männer Druck.

Im Bett machen sich viele Männer Druck.

(Foto: imago images/Westend61)

Immer wollen, immer können, das ist für viele Männer das Bild von ihrer eigenen Sexualität. Im echten Leben sieht es oft anders aus, aber Gespräche darüber sind schwierig. Katja Lewina hat sie geführt und erfahren, wie es Männern im Bett wirklich geht.

ntv.de: Haben Männer inzwischen die Freiheit, sich in ihrer Sexualität auszuprobieren?

Katja Lewina: Es herrscht schon immer noch ein enormer Männlichkeitsdruck. Selbst wenn sich Männer für eine andere Form von Sexualität oder Beziehung entscheiden, müssen sie sich aktiv mit den Themen von Männlichkeit und Erwartungen auseinandersetzen. Das machen die wenigsten bewusst. In meinen Gesprächen wurde immer wieder deutlich, dass viele Männer noch stark darin verhaftet sind, wie sie denken, wie ein Mann zu sein hat. Sie sind gar nicht frei im Denken, was sie wirklich wollen.

Aber Männer wissen, was sie beim Sex wollen?

Ich bin nicht sicher. Wir haben ja Bilder davon, wie richtiger oder guter Sex funktioniert. Bei vielen sind das pornografische Bilder, weil inzwischen mehrere Generationen damit aufgewachsen sind. Dagegen ist nicht grundsätzlich etwas zu sagen, das sind Menschen, die Sex haben. Aber der Mainstream-Porno ist nicht besonders vielfältig. Sondern es wird immer das gleiche Narrativ erzählt.

Welches ist das?

Der Kerl rammelt, die Frau ist passiv, es geht um die Befriedigung seiner Lust. Es ist alles sehr verbindungslos, technisch und auch hierarchisch. Mann ist oben, Frau unten. Es geht sehr vielen Männern so, dass sie sich daran orientieren und sich damit von klein auf auseinandersetzen müssen. Oft reflektieren sie gar nicht, was das mit ihnen macht und wie sehr das die eigene Sexualität beeinträchtigt. Bis sie sich dann hoffentlich irgendwann fragen, was es denn jenseits davon geben könnte.

Was könnte das denn sein?

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Solange es nur darum geht, was der Penis macht, ist es schwierig, eine wirkliche Verbindung mit dem oder der anderen einzugehen. Ist er groß genug, ist er hart genug, macht er es lange genug? Darüber denken viele Männer sehr viel nach. Aber solange es diese potenzfixierte und möglichst raumgreifende Sexualität gibt, kann es keine wirkliche Entspannung geben. Dazu gehört, sich einzulassen, sich fallenzulassen.

Sind Männer inzwischen in diesem System mehr gefangen als Frauen?

Männer sind ja in diesem System die vermeintlich Überlegenen. Wenn wir uns ein patriarchales System angucken, dessen Spiegelbild dann auch unsere Sexualität ist, dann stehen die Männer oben und die Frauen unten. Die Frauen sind jetzt dabei, sich daraus zu befreien und sind deshalb vielleicht lauter und stellen Forderungen. Die Männer sind da eher leiser, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen die Felle davonschwimmen. Sie verlieren überlegene Positionen, die sie bisher innehatten. Viele haben diese Positionen auch gar nicht so wahrgenommen und hielten sich für gleichberechtigt. Sie denken, wie sie ihre Sexualität gestalten, ist ihre ganz individuelle Entscheidung. "Ich will dich beim Sex führen, weil ich das gern habe. Das hat gar nichts mit Prägung oder Macht zu tun." Aber wenn sie einen Schritt zurücktreten und sich das ehrlich ansehen, merken sie, dass es doch etwas damit zu tun hat und es um eine Überlegenheitsposition geht. Das loszulassen, ist aber schwierig.

Bisher wurde ja beispielsweise Konsens häufig nur aus Sicht von Frauen debattiert. In Ihrem Buch berichtet ein Mann, dass er sich von einer Frau wegen Sex unter Druck gesetzt gefühlt hat. Ist das auch Teil dieser neuen Realität?

Es gehört zu unserem Männlichkeitsbild, dass Männer auf jeden Fall wollen sollen und wollen werden. Er ist derjenige, der Sex einfordert. Und mein Gesprächspartner hat das mit seinem Selbstbild gar nicht in Einklang gebracht, dass er das gerade alles nicht möchte, und erst viel später realisiert, dass das total über seine Grenzen ging. Ich glaube, das ist ein sehr feinfühliger und reflektierter Mensch. Ich bin nicht sicher, ob ein anderer das so wahrgenommen hätte. Das Narrativ ist eben noch, dass es Frauen nicht schaffen, ihre Grenze zu ziehen und das auszusprechen.

Wenn Männer überhaupt über Sex nachdenken, steht oft ihr Penis im Mittelpunkt und dessen Größe. Warum ist das immer noch so wichtig?

Das ist wirklich faszinierend, wie sehr sich männliches Selbstbewusstsein über den Penis definiert. Es hat mich wirklich schockiert, wie viele Männer buchstäblich diesen Schwanzvergleich machen. Dieses Schielen darauf, was hat der andere, was habe ich, obwohl es ja für das eigene Leben und die eigene Sexualität gar keine Rolle spielt. Und es ist ja nicht nur die Penisgröße. Da hängen auch andere Fragen dran. Wie lange kann ich vögeln? Was ist, wenn ich zu früh komme? Ist er hart genug? Dahinter steht das Potenzthema, das die männliche Existenz stark beschäftigt. Das lässt sich im Ansatz evolutionsbiologisch erklären, weil sich im Lauf der Menschheitsgeschichte nur die wenigsten Männer fortpflanzen konnten, aber sehr viele Frauen. Dafür gab es sicher verschiedene Gründe wie beispielsweise die Suche nach dem besten genetischen Material. Und dann ist der Konkurrenzdruck groß. Der Mensch ist nicht nur ein Tier, das seine Spezies erhalten möchte, aber eben auch. Warum ist uns Sex sonst so wichtig? Auch wenn wir das von der Fortpflanzung entkoppelt haben. Diese Phalluszentrierung und Penisfixierung ist vielleicht ein Instinkt, der sich nicht so leicht abschütteln lässt.

Aber es ist ja wie die Haarfarbe oder Fingernagelform, man hat halt, was man hat.

Genau, es gibt ja auch Männer mit kleinen Penissen, die total zufrieden mit sich sind. Die meisten Männer entspannen sich im Laufe ihres Lebens mit diesem Thema. Die merken, du kannst guten Sex haben und deine Partnerin befriedigen, auch wenn du keine 20 Zentimeter in der Hose hast. Aber für viele ist es kompliziert. Als ich in Richtung Alterssex recherchiert habe, habe ich festgestellt, das ist eine fundamentale Krise für eine Reihe von Männern, wenn sie merken, er wird einfach nicht mehr hart. Sie können die Sexualität nicht mehr so haben wie früher.

Das ist ja auch in anderen Bereichen frustrierend, wenn man an Kraft verliert. Aber es ist kein Leistungssport und vielleicht kommt auch etwas anderes?

Das können ja auch viele akzeptieren, beispielsweise in Langzeitbeziehungen. Aber trotzdem ist das Selbstwertgefühl stark an das Thema Männlichkeit gekoppelt. Manche demenzkranke Männer entwickeln zum Beispiel eine Hypersexualität, weil sie sich an das klammern, worüber sie sich immer schon definiert haben. Da gibt es eine Verbindung zwischen Verunsicherung in der Welt und der Wichtigkeit des Penis. Das sieht man auch in der Midlife-Crisis, in der es viele Fragen und Unsicherheiten gibt, die dann über verstärkte sexuelle Aktivität gelöst werden sollen.

Mit wem sprechen denn Männer über Sex?

Mit mir haben sie darüber gesprochen, aber alle haben auch gesagt, sie haben kaum andere Räume dafür. Das war ein bisschen traurig, dass viele Männer die Erfahrung machen, dass sie untereinander nicht über Sexualität sprechen können. Nicht über Unsicherheiten, nicht über Probleme oder Ängste. Wenn es überhaupt zur Sprache kommt, dann eher in einem kompetitiven Sinn. Mit wem hatte ich was? Wie toll war ich? Dieses Herausstellen der eigenen großartigen Männlichkeit funktioniert wunderbar. Aber das Weich- und Verletzlichsein ist noch immer mit einem Gesichtsverlust verbunden. Manche reden mit weiblichen Freunden. In der Beziehung spielt oft Scham eine Rolle. Aber das Reden unter Gleichen gibt es eigentlich gar nicht. Und das liegt nicht daran, dass es kein Bedürfnis danach gibt. Unsere Gespräche wollten immer gar kein Ende nehmen. Da ist sehr viel Aufgestautes und das ist sehr berührend.

Gibt es Hoffnung bei der jungen Generation?

Ich habe das Gefühl, dass Teenies heute schon sehr anders sind, reflektierter. Sie schauen aber auch, wie gehen Männer mit Frauen und Väter mit Müttern um, wie sind sie in Beziehungen? Und es ist viel, was sie sich abgucken. Die Vorbildfunktion ist nicht zu unterschätzen.

Sie haben jetzt ein Buch über den Sex von Frauen und eines über den Sex von Männern geschrieben. Was ist die Mischmenge?

Wahrscheinlich kann man das herunterbrechen auf die These, dass uns das Patriarchat alle komplett verhunzt hat. Es ist jetzt an uns, neu zu gucken. Denn es gibt ja nicht die eine Sexualität der Frauen und die eine der Männer, sondern es gibt ganz viel dazwischen und jenseits davon. Darum ging es mir, beiden einen neuen Horizont aufzumachen.

Mit Katja Lewina sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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