
Krass - Sophia Loren mit Haaren unter den Armen, und dennoch göttinnengleich.
(Foto: imago images/Mary Evans)
Wir müssen reden. Jeden Sommer dasselbe: Achselhaare rasieren oder nicht. G'schamertes "Arme an den Oberkörper drücken", wenn unrasiert, oder befreites "Arme in die Luft werfen", egal, wie es unter den Achseln aussieht? Egal? Oder sagt "mit oder ohne" mehr über einen aus, als man/frau denkt?
Es ist und bleibt die alte Frage: Achselhaare ja oder nein? Bin ich mit Achselhaaren schön? Oder ist es ohne schöner? Was ist hygienischer? Was mag ich, was mag der Partner, die Partnerin? Sitze ich gerne neben jemanden am Tisch, wenn er oder sie schwitzt, mit unter den Armen hervorblitzenden Haaren? Oder ekelt mich das? Die einen sagen, das ist alles total natürlich und wir sollten uns so annehmen, wie wir geboren wurden. Die anderen sagen: Weg damit.
Bin ich selbstbewusst genug, um Achselhaare zu tragen? Oder Beinhaare, als Frau? Oder hat es mir noch nie etwas ausgemacht, was die anderen sagen? Kann ich feministisch sein und mich trotzdem rasieren? Man kann alle diese Fragen durchaus mit Ja beantworten. Aber eben auch mit Nein. Der Trend geht in Richtung Natürlichkeit.
Die britische Newsseite "The Telegraph" hat sich vor Kurzem gefragt, woher der Wandel kommt, dass immer mehr Frauen - ein Viertel der unter 25-Jährigen - aufgehört haben, sich die Haare unter den Armen zu rasieren. Influencerinnen wie Louisa Dellert zeigen ihre behaarten Beine in einem Rutsch mit ihrer Bikinifigur, die von vielen nicht als solche empfunden werden könnte, weil angeblich "nicht ideal". Louisa Dellert pfeift drauf, ihre 467.000 Follower feiern sie dafür. Einige Vollpfosten mokieren sich natürlich weiterhin, aber das ist Frau Dellert gewöhnt. Muss man/frau aushalten können, Chapeau. Aber zurück zur Körperbehaarung: Auch das volle Haar im Intimbereich scheint zurückgekehrt zu sein, jedenfalls bei denen, bei denen noch etwas wächst, denn je länger und je mehr man rasiert oder "waxt" - also zum Waxing geht oder sich selbst heiße Wachsstreifen auf die unmöglichsten Körperstellen legt, um sie dann mit einem Ruck abzureißen -, desto weniger wächst schließlich nach einer Weile. Oder ist das ein altes Ammenmärchen?
Auch wenn man(n) nicht Axel heißt
Haare ja oder nein am Körper. Es ist auf jeden Fall kein neues Thema und fast wirkt es, als wolle man - ähnlich wie in jeder Frühlingsausgabe einer Frauenzeitschrift - diesen Sommer die Farbe Weiß endlich mal wieder zum Trend machen (wie die 20 Sommer zuvor auch schon) oder die Frage stellen, ob Flip-Flops im Büro und überhaupt noch gehen oder nicht. Meine Meinung: Weiß geht immer, auch im Winter, Flip-Flops auch, vielleicht nicht in der Oper, klar, aber es werden viele eine andere Meinung haben und sagen: "Nur wenn die Füße schön sind". Gepflegt? Nee, schön! Was ist schön? Und was ist mit den Männern? Haben die gepflegte Füße in ihren Adiletten? Schöne Füße gar? Schöne Achseln? Auch, wenn sie nicht Axel heißen? Dürften die Männer auch die Fußnägel lackieren? Wäre doch schön.
Die "Vogue" schreibt übrigens: "Die längst überfällige Überholung der gesellschaftlichen Schönheitsstandards für Frauen wäre nicht ohne diejenigen möglich gewesen, die sich schon vor Jahren und Jahrzehnten gegen die Konventionen gestellt haben." Das stimmt. Aber hat sich in unseren Breiten denn wirklich etwas getan? Vor allem etwas, das über das Achselhaarthema hinausgeht? Haben wir die Gleichberechtigung erreicht? Auch ohne dass uns Corona wieder um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zurückgeworfen hat?
Wir werden sehen. Vielleicht nach den Sommerferien. Wenn wir alle zu etwas mehr "back to normal" übergehen. Öfter ins Büro, zurück in die Schule, so Gott will und Delta es zulässt. Wir haben tatsächlich Wichtigeres zu tun, als uns um die Körperbehaarung Sorgen zu machen. Jeder wie er will, sollte das Motto lauten, jede wie sie sich wohlfühlt vor allem.
Genderneutral, egal oder mutig?
Und wer in der haarigen Debatte um die Haare am Körper Unterstützung braucht, der sieht sich mal wieder einen alten Film an - da könnte unter Sophia Lorens ärmellosem Etuikleid, in den 50er-Jahren zumindest, etwas hervorblitzen, was später von Hollywood und der Kosmetikindustrie weggebügelt beziehungsweise wegrasiert wurde. Oder finden Sie Grace Jones weniger faszinierend, bloß weil sie in den 70er- und 80er-Jahren ihren Achselhaar-Flaum passend zu ihrem genderneutralen Stil inszenierte? Vergessen wir nicht Provokateurin Madonna und die sonst eher normgerechte Julia Roberts, die phasenweise gern die Zeit fürs Rasieren sparten und lieber gute Musik oder Filme machten. Ein Aufschrei ging durch die bunten Blätter, als sie zur Premiere von "Notting Hill" den Arm zum Winken erhob und - OhMyGod - keine blanke Haut zu sehen war.
Also - machen Sie, was Sie wollen, Hauptsache, Sie machen es gerne. Und machen Sie es wie so viele starke Frauen, die die von der Gesellschaft auferlegten Normen infrage stellten und stellen. Denn Normen infrage zu stellen - das sollten wir immer begrüßen. Mit hocherhobenen Köpfen - und Armen.
Quelle: ntv.de