Leben

"Die Alpen werden abgebaut" Vom Verschwinden der Kunst

Wenn am Flughafen München schon nichts mehr so ist, wie es mal war - woran soll man dann noch glauben?

Wenn am Flughafen München schon nichts mehr so ist, wie es mal war - woran soll man dann noch glauben?

(Foto: IMAGO/imagebroker)

Wandgroße Mosaike, hängende Berge, flimmernde Neonspiralen bespielen Museen, öffentliche Gebäude und den öffentlichen Raum. In Frankfurt, Hannover oder Hamburg ist die Kunst des Allgäuers Stephan Huber zu sehen. Inseln, Wolken, Berge, Landkarten - seine Skulpturen, Installationen und Leuchtkästen sorgen für Fernweh. Zugleich sind sie heimatverbunden, erinnern das Publikum an den Ort, an dem es sich gerade befindet. So wie sein hängender Brunnen am Flughafen in München. Der soll jetzt abgebaut und zerstört werden. Wenn der Brunnen künftig noch sprudeln soll, muss Huber selbst nach Geldgebern suchen. Mit ntv.de hat der 70-jährige Künstler gesprochen: über das Verschwinden einer Höllenmaschine, Ermüdung, Arbeitslust und eine Entwicklung, die ihn fassungslos macht.

ntv.de: Seit 1992 erfreut Ihr hängender Brunnen "Die Alpen" am Münchner Flughafen die Besucher. Jetzt soll er abgehängt werden. Was ist passiert?

Kunst steht als Erstes zur Disposition: Den Brunnen "Die Alpen" am Flughafen München kennt jeder Fluggast. Jetzt soll er abgebaut werden.

Kunst steht als Erstes zur Disposition: Den Brunnen "Die Alpen" am Flughafen München kennt jeder Fluggast. Jetzt soll er abgebaut werden.

(Foto: Stephan Huber)

Stephan Huber: Er muss restauriert werden, was nach so langer Zeit normal ist. Aber die Kosten, nämlich Strom und Wasser, die sich auf ungefähr 8000 Euro jährlich belaufen, sind der Flughafengesellschaft jetzt zu teuer. Da wird mit den finanziellen Einbrüchen durch Corona argumentiert. Die Kunst ist das Erste, was zur Disposition steht. Die 1,2 Kilometer lange Lichtinstallation "Lightway" von Keith Sonnier ist schon abgeschaltet.

Wie haben Sie überhaupt vom drohenden Verschwinden Ihres Werkes erfahren?

Ich wurde vom Pressesprecher des Flughafens angerufen. Er informierte mich darüber, dass der Flughafen die Kosten für die Restaurierung, Wasser und Strom nicht mehr zahlen kann.

Die Flughafengesellschaft ist auch für die Wartung zuständig?

Die Arbeit gehört dem Flughafen. Eigentlich wäre zu 30 Prozent auch die Stadt München und das Baureferat, die viel Kunst am öffentlichen Bau machen, in der Verantwortung. Aber da fühlt sich niemand so richtig zuständig. Ich hatte mich damit abgefunden, dass der Brunnen abgebaut wird. Dann haben mich immer mehr Künstlerfreunde gefragt, ob ich "irre" bin, diesen Brunnen abzubauen. Der sei wie eine "barocke Höllenmaschine" und müsse bleiben.

Die einzige Möglichkeit "Die Alpen" am Flughafen zu retten, ist also Ihr eigenes Engagement?

Ja. Wenn ich möchte, dass das Werk erhalten bleibt, muss ich selbst Sponsoren für die Restaurierung und die Übernahme der jährlich anfallenden Kosten suchen. Eine völlig absurde Situation, aber die Alternative wäre: abbauen.

Und dann verschwindet das Werk in irgendwelchen Kisten?

Nein, es wird weggeschmissen.

Wie bitte?

Naja, das fände ich besser als die Idee, das Mosaik der Alpen woanders in einem Flughafenhotel aufzuhängen. Ich möchte auf keinen Fall, dass mit irgendwelchen Resten gearbeitet wird. Besser der Brunnen samt Mosaik wird komplett zerstört. Das war dann halt eine Episode im öffentlichen Raum.

Das klingt so abgeklärt. Könnten Sie wirklich damit leben, dass Ihr Kunstwerk vernichtet wird?

1,5 Millionen Steinchen ergeben ein 14 Meter hohes 10 Meter breites Mosaik. Es erzählt im Main Tower die Geschichte Frankfurts des 20. Jahrhunderts.

1,5 Millionen Steinchen ergeben ein 14 Meter hohes 10 Meter breites Mosaik. Es erzählt im Main Tower die Geschichte Frankfurts des 20. Jahrhunderts.

(Foto: Stephan Huber)

Nein, aber ich muss damit leben. Das habe ich schon in anderen Situationen erlebt. In Magdeburg konnte beispielsweise nach dem Verkauf einer Immobilie eine Arbeit im Foyer des Gebäudes nicht erhalten werden. Das ist ein typisches Problem von Kunst im öffentlichen Raum.

Was macht das mit Ihnen als Künstler?

Es ist ein bisschen erschöpfend. Denn die Arbeiten sind 20 Jahre oder länger an die Öffentlichkeit übergeben. Sie gehören mir nicht mehr. Und plötzlich bekommt man als Künstler die ganze Verantwortung zurück. Ich muss zum Beispiel jetzt auch mit den Zuständigen der Stadt München reden, ob sie möglicherweise die Kosten für den Betrieb übernehmen. Schließlich ist München eine Kulturstadt. Es kann nicht sein, dass auf der ganzen Welt die Flughäfen identisch aussehen, mit den gleichen Shops und die Kunst wird abgebaut. Das passt zur Vermassung der Gesellschaft. Ich habe nur ein moralisches Druckmittel ...

Machen Sie mit diesen Erfahrungen eigentlich noch gerne Kunst?

Der Künstler mit seinem kunstverständigen Kater. "Mein absolutes Lieblingsporträt", sagt er.

Der Künstler mit seinem kunstverständigen Kater. "Mein absolutes Lieblingsporträt", sagt er.

(Foto: Stephan Huber)

Ja, aber lieber im geschützten als im öffentlichen Raum. Ich weiß einfach mittlerweile, was für Ansprüche von außen an fragile Kunstwerke gestellt werden. Das ist mir zu kompliziert. Ich liebe es, Kunst und Ausstellungen zu machen. So wie aktuell im Münchner CAS, dem Center of Advanced Studies. Für mich eine völlig neue Situation, weil es ein funktionierendes, institutionelles, universitäres Gebäude ist. Ich habe die ganze Villa, in der Vorträge stattfinden und täglich gearbeitet wird, mit meiner Kunst bestückt.

Für die Ausstellung "Shining" vermessen Sie die Welt, führen die Besucher in Ihr Elternhaus und haben kleine Wunderkammern konzipiert. Sie mischen Pop- und Hochkultur, man kann sich in anspruchsvolle Landkarten vertiefen. Sie stellen Grenzen infrage - stoßen Sie gerade selbst an Grenzen?

Ich würde sagen: ja und nein. Was mich momentan am meisten beschäftigt, ist der Kampf, der hierzulande im Kunstsystem stattfindet. Eine Überforderung und vollkommene Überfrachtung von außen, die den Künstlerinnen und Künstlern übergestülpt wird.

Können Sie das näher beschreiben?

Meiner Meinung nach gibt es einen bestimmten Machtpol von Funktionären, Kuratoren und der Bundeskulturstiftung, die eine politisch korrekte Kunst wollen und die Kunst als politische Plattform instrumentalisieren. Die Mehrheit der Künstler und Museumsleute sind jedoch nicht an kollektiv-soziologischen Experimenten interessiert. Denen geht es nach wie vor um die autonome, subjektive Autorenschaft. Es gibt aber diesen unglaublichen Hype um das Kollektiv.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Auf der Documenta in Kassel sind fast ausschließlich Arbeiten von Kollektiven zu sehen. Da ist sehr viel Mittelmaß dabei. Das ist das Problem mit Kollektiven, letztlich ist es ein Programm der Schwäche. In meinen 14 Jahren als Professor an der Münchner Kunstakademie gab es nicht eine Ausstellung von Kollektiven, die über die Qualität von Einzelsetzungen hinausgegangen wäre.

Warum ist das so?

Als Kollektiv trifft man sich in der Mitte. Meist entsteht eine harmlose, niemanden störende Ästhetik. Radikalität in der Kunst kommt aus persönlicher, subjektiver Vorstellung. Kollektive werden sich nicht durchsetzen, weil es die Autorenschaft ad absurdum führt. Funktionäre oder Kuratoren dürfen am Ende nicht über die künstlerischen Arbeiten bestimmen. Der beste Antipode zur Kassler Documenta ist die Biennale in Venedig. Dort werden zu 80 Prozent Arbeiten von Künstlerinnen gezeigt, die befindlichkeitsorientiert und persönlich sind. Ich bin mit meiner ganzen Seele in Venedig und nicht bei diesem Ethnokitsch oder erbärmlichen Propagandaarbeiten irgendwelcher Kollektive, die aus dörflichen, gemeinschaftlichen Reisscheunen ein Gesellschaftsmodell für den Spätkapitalismus im 21. Jahrhundert machen wollen. Da bin ich fassungslos.

Jetzt könnte man das Narrativ des alten weißen Künstlers bemühen. Die Zeichen der Zeit sind andere und vielleicht nicht mehr Ihre ...

"Berge sind für mich die perfekte Skulptur.“ Hier die Installation "Saussures Herz" im Leipziger Museum der Bildenden Künste.

"Berge sind für mich die perfekte Skulptur.“ Hier die Installation "Saussures Herz" im Leipziger Museum der Bildenden Künste.

(Foto: Stephan Huber)

Klar, ich bin ein Künstler, der 70 ist und das auch weiß. Und ich denke in erster Linie eurozentrisch - damit bin ich aufgewachsen. Da gibt es Vorwürfe, die zutreffend sind. Aber entscheidend ist, dass Kunst ein ästhetisches Gebilde ist, das nicht ausschließlich durch Sprache erklärbar ist. In der Kunst gibt es Metaebenen oder Subtexte, die Werke vibrieren lassen. Dann hat die Kunst die Qualität! Kunst als Metapher für eine Gesellschaftsveränderung ist öde. Das hat nichts mit weißen Alten oder schwarzen Jungen zu tun. Kunst ist zweckfrei und hat damit die größte Freiheit, die in der Gesellschaft existiert. Junge Künstler, die ich kenne, sehen das ähnlich, die würden das nur hipper formulieren (lacht).

Sie könnten doch einfach keine Kunstwerke mehr schaffen?

Nee, also erstens wäre mir langweilig. Dann ist Kunst zu machen auch eine lustvolle Angelegenheit. Ich habe immer noch diesen Drang, ästhetisch anschaulich zu arbeiten, bestimmte Überlegungen mitzuteilen.

Einmal Künstler, immer Künstler?

Unbedingt. Ich hatte gerade einen Todesfall in meinem engen Familienkreis, da kommen viele Erinnerungen hoch. Diese Erinnerungen in Bilder umzusetzen, war immer meine künstlerische Praxis. Und solange ich noch in der Lage bin, Bilder zu finden, die verstanden werden und die eine Intensität in sich tragen, so lange bin ich noch jung.

Mit Stephan Huber sprach Juliane Rohr

"Shining", bis zum 31. Juli, CAS, Seestraße 13, 80802 München, Anmeldung hier

Quelle: ntv.de

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