
Schon in der Schulzeit in die Welt hinausziehen? Kann man machen.
(Foto: imago images/Everett Collection)
Kommen, gehen, loslassen, wiederfinden, gönnen können, Freiraum geben - gar nicht so einfach. Die Kolumnistin hätte gern das gemacht, was ihre jüngste Tochter jetzt gemacht hat: ein Jahr im Ausland zur Schule gehen. Dass sie nicht neidisch ist, sondern happy und obendrein was gelernt hat, das verdankt sie auch Sting.
"If you love somebody set them free". Sting sang diesen Song 1985 - und ich wage zu bezweifeln, dass ich ihn damals verstand. Das Schöne ist - Sting himself verstand ihn auch nicht so richtig. Natürlich "verstand" er, was er da sang, aber er hatte veritable Zweifel, ob ihm die Durchführung seines Refrains "Wenn du jemanden liebst, dann gib ihn/sie frei" auch in der Realität gelingen würde. "Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, an diese Worte zu glauben", sagte er einmal in einem Interview, "aber diese Worte immer und immer wieder zu singen, hilft mir irgendwie, mehr daran zu glauben."
Dieser Song war der erste, nachdem seine Band The Police sich aufgelöst hatte und er als Solo-Künstler sein Glück versuchte. "Ich musste diesen Song als Gegenstück zu 'Every Breath You Take' schreiben", erzählte er. In dem Stück geht es darum, wie ein Mann seine Ex-Freundin stalkt.
So lange habe ich über dieses Lied nachgedacht, immer wieder, es ist nicht mein Lieblingslied von Sting, auf keinen Fall. "Every Breath You Take" hingegen, damit konnte ich mich identifizieren, gab es doch immer mal wieder den einen oder anderen Boy, der vor meiner Tür rumlungerte, der da absolut nichts zu suchen hatte. Stings Gegenmittel allerdings war eine Herausforderung: War es nicht so, wenn man jemanden liebte, dass man ihn auf keinen Fall hergeben wollte? Weder teilen noch in die Welt ziehen lassen mochte? Die Person, die man liebt, die sollte doch bitte immer und ewig und ständig bei einem sein, ganz nah.
"Es" ist wieder da!
Dass man mit dem Einsperren von Leuten, dem Ankleben, dem Immer-umeinander-Sein, nicht wirklich weiterkommt, ist eine Sache, die man im Laufe des Lebens lernt. Wenn alles gut läuft mit zwei Liebenden, dann kann einer oder eine bis ans Ende der Welt gehen, Dinge erleben, Sachen lernen, und dann zurückkommen und sagen: "Schön, dass du noch da bist, ich habe dich vermisst. Danke, dass ich gehen durfte."
Warum mir das jetzt gerade einfällt? Weil ich jemanden habe gehen lassen, sehr weit weg, und jetzt habe ich diese Person wieder. Sie ist gewachsen und klüger, genau wie ich nach dieser Zeit (glaube ich). Ein Kind ziehen zu lassen, ist so ziemlich das Schwerste, was es gibt - auch wenn man sich irgendwann daran gewöhnen kann und ich mich frage, wo ich jetzt wieder mein Arbeits- und Sportgerät hinpacken soll, wenn das Kind wieder einzieht. Egal, ich rücke liebend gern zusammen. Zwei weitere Jahre, in denen der fast erwachsene Mensch nun, mit all seinen Erfahrungen, Sprachkenntnissen und neuen Freunden das Zuhause okkupiert, Radau macht, Wäsche fabriziert, Essen braucht, Aufmerksamkeit, Liebe, Zeit. Ich freue mich so sehr, dass ich loslassen konnte, aber noch mehr freue ich mich nun, dass "es" wieder da ist und wir alle diese Zeit optimal genutzt haben.
Danke Sting, dass du mich mit deinem Song, der wie gesagt nicht mein Lieblingssong ist, darauf vorbereitet hast, jemanden gehen zu lassen. Sich etwas 1000-mal vorzubeten, vorzusingen, durch den Kopf gehen zu lassen, hilft tatsächlich, daran zu glauben.
Quelle: ntv.de