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In Ny-Ålesund auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen befindet sich die nördlichste ganzjährig betriebene Forschungsstation der Welt. Dort versuchen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu verstehen, ...
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... wie sich der am schnellsten erwärmende Ort der Erde verändert - und was das für die Zukunft des gesamten Planeten bedeuten könnte.
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Doch rund um die kleine Stadt Ny-Ålesund hoch über dem Polarkreis wird der Zugang zu wissenschaftlichen Daten immer schwieriger. Und manchmal verschwinden sie, bevor die Forschenden sie sammeln können.
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Denn während sich die Arktis etwa viermal schneller erwärmt als der Rest der Welt, steigen die Temperaturen in Spitzbergen sogar noch schneller - bis zum Siebenfachen des globalen Durchschnitts.
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Der letzte Sommer war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen vor 40 Jahren. Im August lagen die Temperaturen in Ny-Ålesund mit durchschnittlich 5,1 Grad etwa 0,5 Grad höher als es für diese Zeit normal ist.
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Früher haben die Teams bis in den Juni hinein ihre Forschungsstandorte erreicht. Inzwischen schmilzt der Schnee immer früher. Deswegen könnten sie nach Mitte Mai keine Feldforschung mehr planen, erzählt Jean-Charles Gallet.
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Der Glaziologe des norwegischen Polarinstituts kommt seit etwa 12 Jahren nach Ny-Ålesund und berichtet: "Der Schnee im Tal ist weg, man sitzt in der Stadt fest und das Schneemobil steht in der Garage."
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Auch die Wintermonate haben sich verändert. Vor einigen Jahrzehnten begann der Schneefall rund um Ny-Ålesund im Oktober, während es im Februar und März am kältesten und ruhigsten war.
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In diesem Winter aber fiel der Schnee erst ab Januar und im Folgemonat verstärkten sich die Stürme. "Wir sind seit Anfang Februar bei Sturm Nummer 9. Wow! Das habe ich noch nie erlebt", sagt Gallet, als er im April in seinem Büro sitzt, ...
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... während draußen der Regen vom grauen Himmel nieselt. "Selbst Anfang April regnet es noch."
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Ny-Ålesund wurde 1916 als Bergbausiedlung gegründet. Als der Betrieb nach mehreren tödlichen Bergbauunfällen in den 1960er-Jahren eingestellt wurde, entwickelte sich der Ort zu einem Hotspot für internationale Forscher und Forscherinnen.
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Norwegen hatte bei den Versailler Verhandlungen am Ende des Ersten Weltkriegs die Souveränität über Spitzbergen erhalten. Die Vereinbarung erlaubt es Menschen aus allen 46 Ländern, die den Vertrag unterzeichnet haben, sich auf der Inselgruppe aufzuhalten.
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Die Europäische Weltraumforschungsorganisation (ESRO) beispielsweise errichtete 1967 eine Bodenstation, um Satelliten in der Erdumlaufbahn zu verfolgen. Geologen und Geophysikerinnen begannen, Feldlager rund um den Kongsfjord, der an Ny-Ålesund grenzt, einzurichten.
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Heute sind elf Länder, darunter China (im Bild die von Löwen flankierte Forschungseinrichtung) und Indien, in Ny-Ålesund vertreten. Ganzjährig leben in der Stadt aber nur etwa 35 Personen.
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Im Ort gibt es eine Sauna, einen Schlittenhundeplatz und einmal in der Woche das abendliche Treffen "Strikk og Drikk", bei dem die Teilnehmenden zum Beispiel Pullover stricken.
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Im Sommer wächst die Einwohnerzahl von Ny-Ålesund auf über 100 an, denn dann fliegen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedener Fachrichtungen aus der ganzen Welt ein.
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Ihr täglicher Treffpunkt ist die gläserne Kantine mit Blick auf den Kongsfjord, wo ein präparierter Eisbär die Mahlzeiten beaufsichtigt.
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"Das Besondere an diesem Ort ist, dass es hier viele verschiedene Wissenschaftler gibt", sagt Gastforscher und Chemiker Francois Burgay vom Schweizer Paul Scherrer Institut. "Es ist einer der wenigen Orte auf der Welt, an dem diese Art von Austausch so ungezwungen und spontan ist."
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Die disziplinübergreifende Zusammenarbeit ist für die Klimaforschung essenziell, um zu untersuchen, wie sich die Klimakrise auf das polare Ökosystem auswirken wird - vom Ozean bis zur Atmosphäre, von den Pflanzen bis zu den Tieren.
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Die Erderwärmung setzt auch Ny-Ålesund zu. Letztes Jahr musste ein Labor zur Verarbeitung von Fisch-, Schnee- und Eisproben geschlossen werden. Der auftauende Permafrost hatte das Fundament zerstört. Etliche weitere Gebäude sind aus dem gleichen Grund reparaturbedürftig.
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Eine dreistündige Schneemobilfahrt von Ny-Ålesund entfernt befindet sich das von gefährlichen Gletscherspalten durchzogen Holtedahlfonna-Eisfeld. Trotz starker Windböen ist ein Forschungsteam aufgebrochen und hat dort sein Lager aufgeschlagen.
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Das Team will 125 Meter tief in den Dovrebreen-Gletscher bohren, um zwei Eiskerne für die Untersuchung zu sammeln und 300 Jahre in die Klimageschichte zurückblicken zu können. Die Expedition ist Teil der Arbeit der gemeinnützigen Ice Memory Foundation, die Eiskerne von schmelzenden Gletschern auf der ganzen Welt sammeln und bewahren möchte.
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"Wir müssen jetzt bohren, weil wir in Zukunft vielleicht keine Zeit mehr dafür haben", sagt Expeditionsleiter Andrea Spolaor, Geochemiker des italienischen Nationalen Forschungsrats.
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Den Dovrebreen-Gletscher, der das Eisfeld speist, hat das Team wegen seiner hohen Lage 1100 Meter über dem Meeresspiegel ausgesucht. Dort sind die Temperaturen kühler und damit steigt die Chance, Bohrkerne mit intaktem Eis zu finden.
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Doch dann der Schock: In nur 25 Metern Tiefe trifft der Bohrer plötzlich auf eine riesige Wasserlache. "Wir hatten nicht erwartet, dass so viel Wasser aus dem Gletscher strömen würde. Das ist ein klares Zeichen dafür, was in dieser Region passiert", sagt Spolaor: "Der Gletscher leidet."
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Als Wissenschaftler das letzte Mal im Jahr 2005 am Dovrebreen bohrten, war das Gebiet noch vollständig gefroren.
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Der Paläoklimatologe Carlo Barbante von der Ice Memory Foundation erklärt, dass das schmelzende Eis die Zeugnisse vergangener Jahre in den Gletschern verfälschen kann: "Das ist so, als würde man Wasser auf ein Buch gießen und die ganze Tinte verdünnen, sodass man nicht mehr lesen kann, was dort geschrieben steht."
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Nach fast zwei Wochen sind zwei Bohrmotoren durch die Grundwasserschicht beschädigt und der entnommene Eiskern ist unvollständig. Spolaor und sein Team verlegen ihren Standort etwa 150 Meter weiter in eine etwas höhere Lage. Dort können sie schließlich drei Eiskerne aus 73 Metern Tiefe gewinnen.
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Auf einem Schneefeld einen Kilometer südlich von Ny-Ålesund füllt Chemiker Burgay Plastikreagenzgläser mit Schnee und sucht nach chemischen Hinweisen auf Meeresalgenblüten, die aus dem Meer in die Atmosphäre gelangt sind und sich zusammen mit dem Schnee wieder abgelagert haben.
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Aber selbst das Sammeln solcher Daten wird immer riskanter, da Eisbären in der Nähe umherstreifen. "Im Winter sieht man gar nichts", sagt Burgay. "Nur das Licht der Stirnlampe, vielleicht die Augen der Rentiere und ein paar Fußspuren im Schnee."
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Acht Wächter patrouillieren abwechselnd im Umkreis von Ny-Ålesund, um Eisbären aufzuspüren und sie zu verscheuchen, damit sie nicht bis ins Zentrum des Ortes vordringen.
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Im letzten Sommer seien 13 Mal Bären in der Nähe der Stadt gesehen worden, berichtet Jakob Weiset, einer der Eisbären-Wächter. In den vergangenen vier Jahren sollen so viele Bären im Kongsfjord gesichtet worden sein, wie nie zuvor.
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Der Verlust des Meereises und damit auch ihrer Jagdreviere treibt die Eisbären auf der Suche nach Nahrung in die Nähe der Stadt. Auch ruhende Seehunde neben nistenden Seevogelkolonien zögen die hungrigen Raubtiere an, erklärt Biologin Joanna Sulich.
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Alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Ny-Ålesund müssen daher ein Training absolvieren, bei dem sie lernen, wie sie sich in der Nähe von Eisbären verhalten müssen. Dazu gehört auch der Umgang mit Gewehr und Leuchtpistole.
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Und so arbeiten die Forscher und Forscherinnen unter immer schwierigeren Bedingungen - und unter Hochdruck, ...
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... denn ihr Forschungsumfeld zeigt eindringlich: Die Welt sollte beim Kampf gegen den Klimawandel keine Zeit verlieren. (kse/rts)
Weniger Eis, mehr Bären Nördlichste Forschungsstation der Welt taut auf
Jedes Jahr reisen Geologen, Biologen und Glaziologen in die nördlichste Siedlung der Erde, um bei Ny-Ålesund auf Spitzbergen zum Klimawandel zu forschen. Doch genau der macht ihre Arbeit immer schwieriger - und riskanter.
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