Heinsberg-Landrat zu Coronavirus "Angst vor dem Unbekannten ist viel größer"
07.03.2020, 07:12 Uhr
Überall in Deutschland müssen Verdachtsfälle getestet werden. Im Kreis Heinsberg besonders viele (Symbolbild).
(Foto: picture alliance/dpa)
Im Kreis Heinsberg haben sich besonders viele Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert. Der Kreis, der an die Niederlande grenzt, hat etwa 250.000 Einwohner und steht derzeit unter besonderer Beobachtung. Die Gesundheitsämter wollen alle Sars-CoV-2-Infektionsketten erfassen, um das Virus einzudämmen. Wie gehen die Behörden vor Ort mit dieser Belastung um und wie ist die Stimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern? ntv.de hat mit Landrat Stephan Pusch über Nachbarschaftshilfe, Ängste und Quarantäne gesprochen.
ntv.de: Im Kreis Heinsberg ist die Fallzahl von Coronavirus-Infizierten besonders hoch. Reagieren die Menschen bei Ihnen mit Hamsterkäufen?
Stephan Pusch: Ich glaube, dass die Angst dort am größten ist, wo die Krise am weitesten weg ist. Die Angst vor dem Unbekannten ist viel größer. Die Menschen hier, die in ihrer eigenen Nachbarschaft Infizierte haben, sagen eher "Okay, da müssen wir gemeinsam durch". Aber es gibt auch immer Menschen, die irrational reagieren.
Manche Menschen in Deutschland sind verängstigt. Wie ist denn die Gemütslage der Heinsberger Bürger in dieser Krise?
Ich muss den Bürgern ein riesiges Kompliment machen. Es gibt eine "Wir packen das"-Mentalität und viel Nachbarschaftshilfe. Das ist wirklich außergewöhnlich. In so einer Krise erfasst uns eine große Welle der Solidarität und des Gemeinschaftsgefühls. Die Menschen haben für unsere Maßnahmen riesiges Verständnis; obwohl sehr viele Personen die Quarantäne erlebten. Selbstverständlich drückt das bei denen auf die Stimmung. Wir haben außerdem bis einschließlich kommender Woche die Schulen und Kitas geschlossen. Das bedeutet für Eltern oft eine enorme Belastung. Aber auch da gibt es eine riesige Welle der Solidarität.
Stephan Pusch lobt die Bürgerinnen und Bürger von Heinsberg, die in Krisenzeiten zusammenstehen.
(Foto: dpa)
Wie gehen Sie als Landrat mit der Lage um?
Wir sind derzeit besonders stark betroffen. Aber, wenn ich mir die Entwicklung der Zahlen angucke, gehe ich davon aus, dass demnächst drei, vier oder fünf Punkte in NRW ebenfalls betroffen sein werden. In unserem Kreis steigen zwar die Fallzahlen, aber wir bauen auch die Testkapazitäten immer weiter aus - und da steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass bei mehr Tests auch mehr positive Fälle herauskommen.
Was ist Ihre Strategie gegen die weitere Ausbreitung?
Unser Ziel ist es, die Ausbreitung des Virus im Kreis Heinsberg einzudämmen. Wir wollen auch das Gesundheitssystem hier aufrechterhalten. Nach wie vor haben wir nur acht Patienten, die wegen des Virus stationär behandelt werden müssen, aber durch die vielen Kontaktpersonen kann das die Praxen und Krankenhäuser ordentlich durcheinanderwirbeln. Die ganz normalen Erkrankungen müssen auch angemessen behandelt werden können. Das ist uns sehr wichtig.
Wie sind Ärzte und das Gesundheitsamt auf die besondere Lage im Kreis eingestellt?
Wir haben den Leuten, die alleine sind, angeboten, beispielsweise mithilfe des Roten Kreuzes oder den Maltesern Essen vorbeizubringen. Dabei helfen uns auch viele ehrenamtliche Organisationen. Wir müssen uns an vielen Stellen im Kreis einfach selber helfen.
Wie läuft die Arbeit im Krisenstab?
Innerhalb von 40 Minuten haben wir unseren Krisenstab hochgefahren und Kontakt zu den übergeordneten Behörden gesucht. Bei den Sitzungen berichtet jede Person aus ihrem Bereich über die neusten Entwicklungen. Anschließend wird zielgerichtet diskutiert und die Maßnahmen werden abgestimmt. Jeder der Teilnehmer hat dann einen Überblick über die Lage im Kreis. Das ist ziemlich effektiv.
Es gibt aber auch Kritik am Krisen-Management von Bund und Ländern. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Land NRW und dem Gesundheitsministerium bei Ihnen?
Ich kann mich über die Zusammenarbeit mit dem Land nicht beklagen. Die Behörden haben uns auch bei der Versorgung der Materialien für die Krankenhäuser unterstützt. Da ging es beispielsweise um Masken und Schutzkleidung, denn das sind Dinge, die derzeit teilweise schwer zu besorgen sind. Wir müssen den Leuten jetzt die Luft geben, das Krisenmanagement durchzusetzen und zielführend die Probleme zu bewältigen. Wenn wir das alles hinter uns haben, können wir in alle Härte evaluieren, was falsch gelaufen ist und künftig verbessert werden muss. Im Moment muss ich mit dem arbeiten, was ich habe. Darüber nachzudenken, was ich mir gewünscht hätte, das ist jetzt müßig und dafür habe ich gerade keine Zeit.
Wie stehen Sie zu dem Fußball-Bundesligaspiel in Mönchengladbach, das am Samstag stattfinden wird?
Ich kann die Lage nicht beurteilen, weil ich die Risikoabwägung in Mönchengladbach, die dem zugrunde liegt, nicht kenne. Aber die Frage nach dieser Großveranstaltung stellen sich die Bürgerinnen und Bürger in Heinsberg auch. Ich würde mir wünschen, dass man deutlich macht, warum man dieses Spiel zulässt. Es ist eine Frage der transparenten Informationspolitik.
Was konnten Sie von anderen betroffenen Ländern lernen?
Wir haben den eindeutigen Schluss gezogen, dass unpopuläre Maßnahmen, die man in einem frühen Stadium dieser Krise getroffen hat, wirksamer sind, als wenn die Situation erst mal eskaliert - beispielsweise eine Vielzahl von Menschen betroffen sind und ganze Landstriche absperrt werden. Ganz davon abgesehen, dass ich in unserer Gesellschaft keine Bereitschaft sehe, sich irgendwo einsperren zu lassen. Man muss die Maßnahmen transparent machen und erklären, warum man etwas Bestimmtes macht.
Was macht Sie optimistisch, dass Sie diese akute Krise bald überwinden werden?
Mich macht optimistisch, dass die Menschen zusammenstehen - und unsere Maßnahmen das öffentliche Leben zwar stark beeinträchtigen, aber dennoch greifen werden. Außerdem bin ich ein geborener Optimist. Man muss realistisch, aber auch mit einem Grundoptimismus an die Bewältigung einer solchen Krise herangehen. Ich glaube, die Krise ist 20 Prozent reale Gefahr und 80 Prozent sind Gefahren, die aus irrationalem Verhalten entstehen.
Mit Stephan Pusch sprach Sonja Gurris
Quelle: ntv.de