
In der "Cantina Tirolese" war Ratzinger oft zu Gast.
(Foto: Andrea Affaticati)
Lang ist die Schlange der Trauernden, die sich in diesen Tagen vom emeritierten Papst Benedikt XVI. in Rom verabschieden. Wie lebte er, als er noch Kardinal war? Bei einem Rundgang durch das Viertel Borgo Pio trifft man immer wieder auf ihn.
Sieben Uhr morgens, über dem Petersdom rötet sich langsam der Himmel. Entlang der Straße, die zum Petersplatz führt, sieht man für diese Uhrzeit ungewöhnlich viele Menschen. Sie alle wollen sich vom emeritierten Papst Benedikt XVI. ein letztes Mal verabschieden.
Joseph Ratzinger, so sein bürgerlicher Name, starb am 31. Dezember im Alter von 95 Jahren im Kloster Mater Ecclesiae. Hierher hatte er sich nach seinem Rücktritt vom Heiligen Stuhl im Februar 2013 zurückgezogen. Seit dem 2. Januar ist sein Leichnam im Petersdom unter dem Beichtaltar aufgebahrt. Bekleidet ist er mit rotem Parament, sein Haupt ist mit einer weißen Mitra bedeckt, zwischen den Händen hat er einen Rosenkranz und ein Kreuz.
An der Kontrollschleuse, die auf den Petersplatz führt, stehen Karin und Peter, beide um die 20 Jahre alt und aus Bayern. Auf die Frage, warum sie sich angestellt hätten, antwortet Karin ntv.de: "Wir haben in Rom Neujahr gefeiert und jetzt dachten wir, die Gelegenheit zu nutzen." Immerhin sei ja auch Benedikt XVI. ein Bayer gewesen und dort, anders als anderswo in Deutschland, noch immer beliebt. Frau Ilaria, die gleich daneben in der Schlange steht, meint: "Von einem Verstorbenen muss man sich verabschieden." Außerdem habe sie Papst Benedikt XVI. sehr gemocht. "Vielleicht war er etwas zu deutsch für uns Italiener, aber er wusste, was er wollte."
Die Schlange geht zügig voran, nach knapp einer Viertelstunde tritt man in den Petersdom. Ganz anders um 12 Uhr, als sich die Trauenden mehr als eine Stunde gedulden müssen, bevor sie vor dem Leichnam stehen. Die Polizei sagt, dass vermutlich 35.000 Gläubige pro Tag Benedikt XVI. die letzte Ehre erweisen werden. Für Donnerstag, wenn um 9.30 Uhr die Trauermesse zelebriert wird, rechnet man mit über 60.000 Menschen.
Rom wurde zu seiner zweiten Heimat
1982 wurde Ratzinger von Papst Johannes Paul II. zum Präfekten der Kongregation für Glaubenslehre nominiert und zog nach Rom. Fast sein halbes Leben hat er in der Ewigen Stadt verbracht, die ihm zu einer zweiten Heimat wurde, wie er selber zu sagen pflegte. Bevor er 2005 zum Nachfolger von Papst Johannes Paul II. gewählt wurde, wohnte er in der Piazza delle Città Leonina gleich außerhalb des Vatikans. Und ein Rundgang durch das Viertel Borgo Pio ist so etwas wie eine Spurensuche. Jedoch nicht so sehr nach dem Prälat, sondern nach dem Menschen Ratzinger.
Der Priester Don Filippo Di Giacomo hat während Ratzingers Präfektur eng mit ihm zusammengearbeitet. "Leider haben viele der Geschäftsleute, die ihn einst bedienten, altersbedingt verkauft. Darunter auch das Paar, das einen Laden für Elektrozubehör hatte", erzählt er ntv.de. "Die zwei lagen sich ständig in den Haaren, waren gleichzeitig aber ein Herz und eine Seele. Ratzinger ging sehr gern zu ihnen." Auch den Gemüseladen, wo er und seine Schwester die Äpfel für den von Ratzinger heiß geliebten Strudel kauften, gibt es nicht mehr.
Dafür aber den Optiker. Gladio Colantoni kann sich an den Kardinal gut erinnern. Immer wieder sei er gekommen. Wegen der Brillen, aber nicht nur. "Wenn er kam, ganz schlicht gekleidet, mit seiner schwarzen Baskenmütze auf dem schlohweißem Haar, trug er meistens eine große Tasche voller Bücher mit sich", erzählt Colantoni. Er plauderte gern, war ein aufmerksamer Zuhörer und ausgesprochen gesellig. "Ich weiß, das klingt für viele, die ihn erst als Papst wahrgenommen haben, befremdend. So war er aber. Er kam ins Geschäft und grüßte mit einem 'Hallo, Ragazzi' mich und meinen Bruder. Für uns war er eine Art Großvater." "Ratzinger war ein Mann, der es nicht eilig hatte, wie kein anderer zuhören konnte", hatte davor schon Don Filippo hervorgehoben.
Wenige Meter weiter in Borgo Pio und dann links in der Via del Falco gibt es ein Antiquitätengeschäft. "Nein, Ratzinger war nicht mein Kunde", antwortet die Inhaberin auf die Frage von ntv.de. "Ich habe ihn aber als Kind oft gesehen, wenn er hier in der Nähe die Katzen fütterte. Er hatte eine Vorliebe für diese Tiere, daher auch der Spitzname, der Kardinal der Katzen."
Schuhmacher und Schneider in seinem Dienst
Der Optiker hatte geraten, unbedingt mit dem Schuster, der Ratzingers rote Kardinalsschuhe handfertigte, zu sprechen. Gemeint ist Antonio Arellano, ein gebürtiger Peruaner. Doch Arellano ist nicht sehr gesprächig. Er scheint vom Tod Ratzingers besonders mitgenommen.
Entlang der Borgo Vittorio richtet sich der Blick auf eine Vitrine mit einem weißen Talar. Auf einem Zettel steht: "Einer der letzten päpstlichen Talare von Benedikt XVI.". Vor der Vitrine steht eine junge Frau, Eliana Carolina heißt sie und ist extra aus der norditalienischen Stadt Piacenza angereist. Mit dem Handy zeigt sie ihrer Familie zu Hause den Talar. "Wissen Sie", sagt sie dann, "ich reise nicht gerne, doch bei Papst Benedikt war es mir ein dringendes Verlangen, mich von ihm zu verabschieden. Er war zweifelsohne mein Papst." Weswegen die Trauerzeremonie wie eine Art letzter persönlicher Segen von Benedikt XVI. für sie ist.
Gleich neben der Vitrine mit dem Talar ist die Schneiderei Lavs (eigentlich lateinisch Laus, also Anpreisung). Da hängen die schönsten Talare, die man als Laie je zu Gesicht bekommen hat: schneeweiße, purpurrote und goldene. Die Schneiderei gibt es seit 22 Jahren, erzählt der Eigentümer Filippo Sorcinello. Sie hat immer wieder für Benedikt XVI. Talare für besondere Anlässe angefertigt. "Und die Mitra, die er aufgebahrt trägt, ist auch von uns." Ja, Erinnerungen habe er schon, sagt Herr Sorcinello, doch die wolle er nicht preisgeben.
Die Sehnsucht nach dem Zuhause
Ab und zu erfasste den Kardinal dann doch die Sehnsucht nach seinem bayrischen Zuhause. Dann ging er in die "Cantina Tirolese", die sich, man könnte von einer himmlischen Fügung sprechen, keine 500 Meter von seinem Haus befindet.
Dabei handelt es sich um ein typisches Tiroler Lokal. Eröffnet wurde es 1971 von den Österreichern Gerti und Roberto Macher. Danach führte es deren Tochter Manuela. Nach ihrem Tod wurde die Cantina von ihrem Lebensgefährten Mario Notari und Riccardo Macher übernommen udn wird damit inzwischen von der dritten Generation Machers geführt. "Ratzinger kam vorwiegend alleine", erzählt Notari. "Er war eine unglaublich reservierte und sanfte Person. Ich kann mich erinnern, als er zum Papst ernannt wurde. Manuela und ich fragten uns: 'Wie kann so eine Person zur Welt sprechen?'"
Ratzingers Stammtisch war in einer ruhigen Ecke, etwas abseits von den anderen. Gewidmet wurde ihm dann der große Tisch, wo er Platz nahm, wenn er mit Gästen kam. Der Tisch ist leicht auszumachen. Auf der Holztäfelung hinter den Bänken ist ein Schild mit einer Widmung und darüber hängen Fotos von ihm. Zur Tradition war es geworden, dass ihm die Cantina zum Geburtstag immer einen Apfelstrudel als Geschenk schickte. Eine Geste, die er sehr schätzte.
Quelle: ntv.de