DO IT! lädt zum Mitmachen ein Welche Geräusche macht die Erde?


Die Strandbiester sind eigentlich am Meer zu Hause, jetzt besuchen sie auch das Socle du Monde Art Festival in Herning.
(Foto: Marco Zwinkels)
Die Dänen bitten wieder zum Socle du Monde Art Festival. Bis November kann das Publikum rund um das Heart-Museum an Ausstellungen und Performances teilnehmen. Es lockt die größte Manzoni-Sammlung der Welt und eine besondere Dosenkonserve.
Schon mal vor einer Dose mit Merde d'Artiste (Künstlerscheiße) gestanden, sich überlegt, was die Erde für Geräusche macht oder Styroporverpackungen als Wandrelief gesucht? Das und so viel mehr kann man auf der dänischen Halbinsel Jütland erleben. In Herning lädt das Socle Du Monde Art Festival zum Mitmachen, Entdecken und Staunen ein. Bekannte, internationale und dänische Künstler und Künstlerinnen bespielen acht Ausstellungen an fünf unterschiedlichen Orten.

Hans Ulrich Obrist hatte mit den Künstlern Christian Boltanksi und Bertrand Lavier die Idee zu einem Ausstellungsprojekt ohne Ende.
(Foto: Elias Hassos)
Das Motto der neunten Ausgabe lautet DO IT! Tu es, verspricht viel - und, kleiner Spoiler, hält es. Ein zufällig geborenes und inzwischen legendäres, immer wieder reaktiviertes Ausstellungskonzept ist der Titelgeber des Festivals rund um das Heart Museum. DO IT! kam 1993 in einem Café in Paris zur Welt. Dort saß der Star-Kurator Hans Ulrich Obrist mit zwei Künstlerfreunden "und wir hatten eine Idee, wie man Ausstellungen nachhaltiger machen kann", erzählt er ntv.de.
Wie funktioniert dieses DO IT? Der Einfall ist so einfach, wie vergnüglich: Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler geben Anleitungen. Mit denen kann jeder Mensch, egal wann, überall und mit ein paar Handgriffen oder wenigen Materialien Kunstwerke herstellen. Da nur diese Handlungsanweisungen an Institutionen verschickt werden, erklärt Hans Ulrich Obrist, entstünden keine Transport- oder Reisekosten. Seither sei DO IT! weltweit in 160 Museen zu Gast gewesen. Die Interpretationsmöglichkeiten sind vielfältig, keine Ausführung gleicht der anderen, was die Sache noch spannender macht.
Yoko Ono lauscht dem Planeten

Erstmals finden sich DO IT!-Anweisungen auf Mauern und bleiben für immer, hier von Nina Beier.
(Foto: Ole Jørgensen)
"Andauernd werde ich von unterschiedlichen Seiten, auch von Universitäten und Städten, kontaktiert. Die Einladung aus Herning von Tijs Visser, der das Gesamtkonzept des Festivals verantwortet, war hochoriginell und wirklich neu." Bisher habe noch niemand die Idee gehabt, DO IT! in den Titel zu heben und darüber hinaus in den öffentlichen Raum zu tragen. Das habe Obrist doch sehr gefreut. Das Ergebnis befeuert jetzt das Tun im Kopf der Besucher und Besucherinnen - in und an den Gebäuden, auf dem Museumsgelände, in Herning und in einem nahen Wald. "Es ist fantastisch", so der 56-Jährige weiter, "wenn das Publikum diese Instruktionen beim Spaziergang im Freien entdeckt und dann mitmacht."
Eine von 23 KünstlerInnen, die ein Kunst-Prompt für Herning kreiert hat, ist Yoko Ono. Die Witwe von John Lennon ist längst eine viel beachtete Künstlerin und stellt weltweit aus. Sie lädt zum Beispiel im Museumsgarten dazu ein, sich zu überlegen, was die Erde für Geräusche macht.
Für Obrist ist das Teil der großen Idee, dass man wieder lernen müsse, zuzuhören. "Auch ich muss mir das immer wieder sagen", gibt er zu. "Yoko Ono dehnt dieses Lauschen auf den Planeten aus. Es geht darum, dass man wieder einen empathischen Bezug zur Erde hat." Der Künstlerin ginge es nicht um eine koloniale Trennung, sondern darum, als Gemeinschaft mit der Natur zusammenzuleben.
Projekt eines Textil-Mäzens

Das Heart Museum sieht aus wie ein zusammengefaltetes Hemd und erinnert an Aage Damgaard.
(Foto: Iwan Baan)
Das Herzstück des Festivals ist das Heart Museum. Der weiße Beton des Gebäudes scheint aus Stoff zu sein, das Dach ist geschwungen, spiegelt sich in mehreren Wasserbecken. Der Bau liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Textilfabrik. Herning war einst dänische Hochburg für Kleidungsherstellung. Inzwischen werden in der Region Windräder gebaut und rund um den Globus verkauft. Kunstsammler und Mäzen Aage Damgaard hat sein Geld bis in die 1970er-Jahre mit Hemden gemacht. Textilien waren der rote Faden des Festivals vor zwei Jahren. Jetzt steht es ganz zeitgeistig im Zeichen eines starken Umweltbewusstseins.
Was hat das mit der bereits erwähnten - pardon - Künstlerscheiße zu tun? Die stammt aus dem Jahr 1961. Der italienische Konzeptkünstler Piero Manzoni produzierte damals 90 Dosen "Merde D'Artiste". Angeblich steckt in jeder 30 Gramm seines Kots. Absolut luftdicht und geruchssicher verpackt. Den Verkaufspreis berechnete er aus dem aktuellen Goldpreis und seinem Körpergewicht. Das sah er als Kritik an der Konsumgesellschaft. Heute steht ungebremstes Kaufverhalten brennender denn je auf dem Prüfstand.

Ob da nun wirklich Piero Manzonis Hinterlassenschaften drinstecken, weiß nur der Künstler selbst.
(Foto: privat)
Die Edition von Manzoni wurde kein Verkaufshit, obwohl zu der Zeit Dosen durchaus beliebt waren. Man denke an Andy Warhols Tomatensuppen-Siebdrucke, die er in Serie produzierte und auf den Markt schmiss. Manzoni war einer der vielen Künstler, die Damgaard nach Jütland einlud. Gegen Gehalt schufen Manzoni und Co. für ihn großformatige Kunstwerke. Da kam einiges zusammen, unter anderem die weltweit größte Manzoni-Sammlung.
Die Damgaard'sche Textilfabrik schloss 1977 und das Gelände wurde zum privaten Museum umfunktioniert. Ein weitläufiger, rund angelegter Skulpturengarten und ein hübsches Hecken-Labyrinth laden rund um die Uhr zum Verweilen. 18 Jahre nach dem Tod des Unternehmers kam 2009 der Neubau mit dem Namen Heart hinzu. Alle zwei Jahre sorgt das Festival für noch mehr magische Kunstmomente in Jütland. "Socle du Mode ist ein Archipel verschiedener Ausstellungen", lobt Hans Ulrich Obrist. "Es ist polyphon, da es mehrere Kuratoren gibt." DO IT! passe gut, da nicht vorgeschrieben werde, wie die Schau am Ende auszusehen habe. "Via Zoom", erzählt Obrist, dem Ökologie in der Kunstwelt wichtig ist, "sind wir in einer Art Pingpong monatelang im Dialog gewesen."
Besuch der Strandbiester
Die Oberklammer aller auf dem Festival präsentierten Kunstwerke ist Nachhaltigkeit, aber auch kultureller Austausch sowie Diversität. Es gibt viel Neues und Vertrautes zu entdecken. Unter dem Titel "Everything is Wrong" gehen die hauseigenen Kunstwerke mit Sammlungen aus ganz Dänemark in den Dialog. Dazu werden Schnittmuster, 60er-Jahre Mode und Alltagsobjekte kombiniert. Nichts ist beschriftet. Das Publikum kann raten, was Kunst ist und was nicht - alles ist falsch oder eben nicht. Hier ist auch Manzonis Blechdose versteckt, die inzwischen auf Auktionen begehrt ist.
Einen Balanceakt auf Messers Schneide zwischen Kunst und Schrott geht Theo Jansen ein. Der niederländische Künstler und Ingenieur baut aus gelben Plastikröhrchen seine komplexen, voll beweglichen Strandbiester. Damit ist er international gefragt. Anfassen ausdrücklich erlaubt, die Geschöpfe sollen schließlich leben. Sie bewegen sich irgendwo zwischen unheimlichem Monster und filigraner Skulptur. Gelegentlich kommt der Meister vorbei und aktiviert seine besonderen Wesen. Meistens jedoch mäandern sie dank raffinierter Segel an fernen Stränden allein umher. Sind Wind, Wetter und Menschen ausgesetzt.
Eine etwas kleinere Version dieser Windwanderer kann im Heart Museum durch die Eingangshalle bewegt werden. Ein deutlich größeres Modell steht im Garten, es sieht ziemlich zerzaust und mitgenommen aus. Der charismatische Künstler nennt es zärtlich ein "gestorbenes Biest". Zwischen all den lebendigen DO-IT-Anweisungen möchte man ihm eigentlich wieder Leben einhauchen. Ob man das einfach tun sollte?
Socle Du Monde Art Festival, DO IT! Bis zum 24. November, Bitten og Aage Damgaards Plads 2, 7400 Herning, Dänemark
DO IT! Ideen to go - für zu Hause, Urlaub oder wo auch immer - hier
Quelle: ntv.de