Panorama

Deutscher Pneumologe in Italien "Auswählen zu müssen, ist unmenschlich"

In italienischen Krankenhäusern reichen die Kapazitäten für die vielen Patienten nicht mehr aus.

In italienischen Krankenhäusern reichen die Kapazitäten für die vielen Patienten nicht mehr aus.

(Foto: imago images/UIG)

Dr. Patrick Welte ist seit Wochen im Covid-19-Dauereinsatz. Tag und Nacht kümmert er sich in einem Krankenhaus im italienischen Vicenza um unzählige Patienten. Welche Zustände er erlebt und welche Befürchtungen er für Deutschland hat, schildert er im Interview.

ntv: Dr. Welte, wie geht es Ihnen?

Patrick Welte: Es geht mir so weit gut. Nach dem Nachtdienst ist es am frühen Morgen natürlich immer schwierig, aus dem Bett zu kommen.

Wie sieht die Lage in Ihrem Krankenhaus in Vicenza aus?

In den letzten Wochen haben wir immer mehr Patienten bekommen. Letzte Woche haben wir eine neue Covid-Station aufgemacht, diese Woche sollen nochmal 28 Betten dazukommen. Das heißt, dass wir ungefähr 220 Patienten behandeln können.

Das ist ja deutlich mehr als am Anfang der Krise.

Das ist wahr. Wir sind erfinderisch und machen schnell Platz. In wenigen Tagen eine neue Station aufzubauen, ist auch nicht so einfach.

Wie sehen Sie derzeit die Lage in Italien und im Speziellen in der Lombardei?

Also ich glaube, in der Lombardei sind wir schon am Endpunkt angekommen. Was mir viel mehr Angst macht, ist Mailand. Ich hoffe, dass sie so schnell wie möglich die alte Messe dort fertigbekommen, um 500 Betten extra zu haben. Hier in Venetien ist es einfacher für uns, weil die Kurve flacher ist, wir können nach und nach aufstocken. Das ist ein Riesenvorteil und das wünsche ich auch jedem anderen Land.

Warum hat sich das Virus in der Lombardei so exponentiell ausgebreitet?

Es wurde auf der einen Seite zu spät der Shutdown ausgerufen, auf der anderen Seite haben wir sehr große Städte, Ballungsgebiete - da kann sich das besonders schnell ausbreiten.

Wie macht sich die Krankheit deutlich, wenn der Patient bei Ihnen auftaucht?

Nicht jeder Patient ist gleich anfällig. Es gibt Patienten, die haben keine Symptome oder nur ein wenig Halsweh oder Husten. Andere entwickeln beispielsweise eine schwere Lungenentzündung und werden kurzatmig, auch wenn sie es selber gar nicht so wahrnehmen.

Der Mann von Klaus Wowereit war COPD-Patient, erkrankte am Virus und starb an Herzversagen. Können Sie uns dazu was sagen?

Ich denke, das Virus ist sehr gefährlich und wir haben auch viele junge Leute intubiert. Sicher ist, wenn Patienten auch andere Krankheiten haben wie Diabetes, Herzprobleme und Hochdruck, das kommt dann zum Tragen.

Was passiert mit der Lunge, wenn sich das Virus festsetzt?

Wenn sich das Virus in der Lunge festsetzt, kommt es erst einmal zu einer Entzündungsreaktion. Sauerstoff kann dann nicht mehr richtig hindurchdiffundieren und wir müssen mehr Sauerstoff geben oder beatmen. Nach und nach wird die Lunge dann weiß und das ist auch ganz schwierig zu behandeln.

Was sagen Sie dazu, wenn Sie hören, dass in Deutschland darüber diskutiert wird, die Beschränkungen zu lockern?

Ich finde das natürlich unverantwortlich und auch extrem gefährlich. Man muss sich nur anschauen, wie die Kurve von Deutschland ist, wie sie exponentiell nach oben geht und die Kurve von der Lombardei nachvollzieht. Genauso ist es in den USA und das ist beängstigend. Und wenn wir nicht alles zumachen und drinbleiben, dann wird es zu einer Katastrophe kommen. In Deutschland gibt es viele kleine Herde. Deshalb habe ich relativ viel Angst, was Deutschland angeht.

Warum hat Deutschland das unterschätzt?

Deutschland und auch Italien wollen ökonomisch eine Vorreiterstellung haben und deshalb tut sich Deutschland schwer, einen Shutdown zu machen. Ich verstehe die Argumentation auch nicht.

Welche Zahlen befürchten Sie für Deutschland?

Ich schätze, dass viele, die in Deutschland gestorben sind, gar nicht vorher getestet worden sind und es somit nicht registriert wurde, dass sie Covid-19-Tote sind. Das heißt, wir haben wahrscheinlich eine riesige Dunkelziffer, die wir gar nicht abschätzen können. Es ist gut, dass Deutschland jetzt anfängt, viel zu testen, aber jetzt ist es etwas zu spät, das Südkorea-Modell durchzuführen. Interessant ist, wie eine Immunität aussehen könnte. Da kann man vielleicht auf der Basis von Sars-1 schon ein paar Erwägungen ziehen.

Wie sehen Sie den Ansatz der Herdenimmunität?

Dann wären in kürzester Zeit alle Intensivstationen voll belegt und Deutschland würde medizinisch explodieren. Es ist nicht so, dass das deutsche Gesundheitssystem viel, viel stärker dasteht als das italienische. Man hätte schneller reagieren können.

Sind Sie positiv getestet worden?

Nein, das bin ich nicht. Aber vielleicht habe ich das schon am Anfang bekommen, da ich im Januar eine Bronchitis hatte und davor war ich 25 Jahre nicht krank. Viele Kollegen von mir sind positiv getestet worden.

Wie geht es Ihren Kollegen?

Jeder von uns wird so lange weitermachen, wie er kann. Wir haben mehrere Kolleginnen, die betroffen sind. Ein Kollege von mir ist Intensivmediziner und er liegt nun selbst auf der Station.

Wie sehen Sie das, dass die Ärzte auswählen müssen, wer noch behandelt werden kann?

Auswählen zu müssen ist unmenschlich. Jeder von uns wird das nach Hause tragen und lange darüber nachdenken. Ich denke, dass vor allem in der Lombardei deutlich schlimmer ist als bei mir in der Region.

Welche Prognosen haben Sie für Deutschland?

Wenn ich Deutschland anschaue, habe ich Angst. Die Kurve geht steil nach oben und die Leute nehmen es gar nicht so wahr. Ich kann nur sagen: Bleibt drin, haltet Abstand, tragt beim Einkaufen eine Maske - und auch die Jungen müssen drinbleiben.

Mit Dr. Patrick Welte sprach Udo Gümpel

Quelle: ntv.de

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