Panorama

Antisemitismus bei der PolizeiCharlotte Knoblochs Bodyguard schrieb Hass-SMS

09.02.2023, 18:01 Uhr dff697a9-ec36-4d60-a8dd-b9e0363450ecSabine Oelmann
00:00 / 05:11
imago0198296599h
Braucht Personenschützer, die ihren Auftrag ernst nehmen: Charlotte Knobloch. (Foto: IMAGO/Marja)

Anscheinend ist eine jüdische Frau mit einem blitzgescheiten Kopf und einer nicht schönzudiskutierenden Geschichte noch immer in Gefahr in Deutschland. Dass einer ihrer Personenschützer dabei die größte Gefahr darstellt, ist mindestens genauso perfide und schlimm wie die Tatsache, dass sie ihn überhaupt benötigt. Eine Prozessbeobachtung.

Eine kleine, ältere Dame, schick gekleidet mit mittelhohen Absatzschuhen, die eine Veranstaltung in München verlässt, zwei Männer neben ihr, links und rechts, Knopf im Ohr, ihre Personenschützer. Charlotte Knobloch geht von einer privaten, wenn auch großen Feier nach Hause, es ist Mitternacht, sie hat eine fantastische Rede gehalten, auf das Geburtstagskind und für die Gäste, gespickt mit klugen Gedanken und herrlichen Anekdoten. Wie traurig das jedoch wirkt, es ist Wochenende, und eine Neunzigjährige muss jetzt mit zwei Personenschützern nach Hause. Die sollen ihr ein sicheres Gefühl geben, es bedeutet aber nur, dass die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde, ehemalige Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses und ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, sich nie in Sicherheit wägen darf. Anscheinend ist eine kleine jüdische Frau also noch immer in Gefahr in Deutschland, und die größte Gefahr, ihr Personenschützer, ist nur die Spitze eines Eisbergs, der mitten unter uns vor sich hindümpelt.

Worum geht's? Um den Polizisten Michael R., der in Whatsapp-Chats rassistische, nationalsozialistische und antisemitische Äußerungen getätigt haben soll. Er soll als Personenschützer, der auch Charlotte Knobloch bewachte, diese höchstselbst verunglimpft haben. Eine Geschichte aus der "Süddeutschen Zeitung", die zeigt, dass wir mancherorts noch keinen Schritt weiter sind als kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Fragen, die die Autorin des SZ-Artikels stellt, sind leider berechtigt: Darf ein Polizist in polizeiinternen Chatgruppen oder privaten Nachrichten ausländerfeindliche Witze reißen? Darf man als Personenschützer des israelischen Generalkonsuls seinem Polizei-Kollegen schreiben, ihm wäre als Fahrziel mit seinem Chef nicht Auschwitz oder Flossenbürg, sondern Dachau lieber, denn da käme man früher wieder heim? Der gesunde Menschenverstand sagt "nein, das darf man nicht", das darf ein Polizist erst recht nicht und der Personenschützer einer vulnerablen Person schon gar nicht.

Sieg Heil *Zwinkersmiley*

Das Polizeipräsidium München will diesen Beamten nun also aus dem Dienst entfernen. Das Verwaltungsgericht München ist erstaunlich zögerlich. Der Anwalt des Angeklagten meint, R. habe sich "lediglich ein verbales Ventil gesucht zu seiner Arbeit, er sei keineswegs ausländerfeindlich, rechtsradikal oder antisemitisch eingestellt". Als Ventil könnte man zum Boxen gehen, joggen oder Videospiele ballern, antisemitische Verbalentgleisungen allerdings als Methode zum Dampf ablassen sind nicht normal. Beispiele von Chats mit einem Kollegen (der nicht mehr im Polizeidienst arbeitet) und einer Chat-Gruppe mit sieben anderen Polizisten zeigen, dass per Whatsapp Videos, Fotos und Textnachrichten ausgetauscht worden sein sollen. Gängige Buchstabenkombinationen zwischen den Teilnehmenden sollen "HH" und "SH", in rechtsradikalen Kreisen als "Heil Hitler" und "Sieg Heil" bekannt, gewesen sein. Der Angeklagte versichert, das sei ein "running gag" gewesen und bedeute "Servus Homo" und "Hey ha".

Es gab auch Sprachnachrichten, in denen der am Ende um zwei Stufen zurückgestufte R. die Stimme Hitlers imitierte. "Das würde ich nie wieder machen", sagt er, der immer noch Polizist im Range eines Kriminalmeisters ist, heute. Ein weiteres, "lustiges" Hin und Her bildet auch der Chat mit dem Kollegen ab, der aufgrund der Corona-Maßnahmen meinte, man könne ja wieder ein Konzentrationslager aufmachen und den R. mit "Ja" kommentierte. Das Foto mit dem Topflappen mit Hitler-Emblem und dem Kommentar: "Oma weiß halt noch, was gut ist" sei indes als "Fetzen aus der Unterhaltung herausgezogen und aus dem Kontext gerissen". Sein Mandant habe lediglich immer nur "mitgeblödelt" und sich später auch von dem Freund distanziert, führt sein Anwalt an.

Einfach nur Stuss oder Abkehr von der Demokratie?

In Bezug auf Charlotte Knobloch, so steht es in der SZ und es gefriert einem das Blut, soll der Ex-Polizist als ihr Personenschützer geschrieben haben: "Ich scheiß' ihr vor die Tür, schön braun, mit Fähnchen." Heute sagt er, das hätte in Zusammenhang mit dem damals krebskranken Hund von Frau Knobloch gestanden, der stank und Durchfall hatte. Auch hier wieder die Rechtfertigung, er habe Dampf abgelassen, man dürfe inzwischen ja nicht einmal mehr ein Bierchen trinken nach der Nachtschicht oder den Begriff "Heimat" verwenden.

Die Frage ist, und das ist vor allem dem Gericht wichtig: Handelt es sich bei den Äußerungen tatsächlich "nur" um verbale Entgleisungen oder hat sich der Angeklagte von demokratischen Grundlagen abgekehrt? Die Richterin führt an, dass es im Dienst nie zu Auffälligkeiten gekommen sei, dass der Angeklagte kooperiert habe und Reue zeige, sein Persönlichkeitsbild sei positiv, es gebe kein Engagement in einer verfassungsfeindlichen Organisation. Das Polizeipräsidium allerdings sieht die politische Treuepflicht als verletzt an, die verunglimpfenden Chats würden jeglichen Rahmen sprengen.

Interessant zu wissen wäre, wie R. inzwischen Dampf ablässt. Alle Strafverfahren gegen den Kriminalmeister wegen Volksverhetzung oder Verwendung von verfassungsfeindlichen Kennzeichen seien eingestellt worden. Das Polizeipräsidium könnte nun vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ziehen.

Quelle: ntv.de

JustizPolizeiAntisemitismusZentralrat der JudenJüdischer Weltkongress