Schüler im "Querdenker"-Visier "Reichsbürger" schicken Drohschreiben an Schulen
17.01.2022, 15:00 Uhr (aktualisiert)
Gegner der Maßnahmen sprechen zuweilen auch Schülerinnen und Schüler an.
(Foto: picture alliance / Daniel Kubirski)
Sie sind gegen Impfungen, Masken und sonstige Corona-Schutzmaßnahmen: Anhänger der "Querdenken-Bewegung" machen laut Bundesregierung auch vor Schulen mobil. Zudem tauchen immer mehr krude Schreiben an Lehrerkollegien und Kitas auf.
In der Corona-Krise haben sogenannte "Querdenker", "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" nach Angaben der Bundesregierung auch Schulen und Kitas ins Visier genommen. Der Regierung sei bekannt, dass Gegner der Corona-Maßnahmen und der Impfkampagne in einzelnen Fällen vor Schulgebäuden demonstrierten und "dabei zuweilen auch das Zwiegespräch mit Schülern suchten". Das ergab sich aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken. "Hierbei handelte es sich zum Teil auch um führende Personen der 'Querdenken-Bewegung'", schreibt das Ministerium weiter.
Zudem berichtet die Regierung von Briefen, E-Mails und Drohschreiben, die "Reichsbürger" und sogenannte "Selbstverwalter" an Schulen, Behörden, Lehrerkollegien und Kitas gesendet haben. In manchen Schreiben werden demnach "pseudojuristische Argumente" angeführt, die den Corona- oder Masken-Verordnungen ihre Rechtsgültigkeit absprechen. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" erkennen die Bundesrepublik Deutschland und ihr Rechtssystem nicht an. Ob es im Zusammenhang mit den genannten Aktionen auch zu Straftaten kam, dazu habe das Innenministerium "keine Erkenntnisse".
Die Informationen der Bundesregierung bestätigen Befunde einer repräsentativen Umfrage der Bildungsgewerkschaft VBE, an der Lehrkräfte im Mai teilnahmen. 22 Prozent hatten darin angegeben, dass sie an der eigenen Schule Beschimpfungen, Bedrohungen oder Beleidigungen im "Zusammenhang mit der Durchsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen" erlebt hatten. 25 Prozent der Befragten berichteten von Beschimpfungen und Bedrohungen per Mail oder in Chats.
Rund sieben Prozent der Lehrer persönlich betroffen
Rund sieben Prozent der Lehrkräfte gaben auch an, persönlich von solchen Vorfällen betroffen gewesen zu sein. Als Beispiele wurden Drohungen beim Elternabend, eskalierende Gespräche, Briefe sowie Drohungen mit Strafanzeigen und Berufsverboten genannt. Der Verband berichtete auch von Plakataktionen und Demonstrationen im Umfeld von Schulen. Anwaltsschreiben oder standardisierte Schreiben, die sich Eltern im Netz heruntergeladen haben, seien an Lehrer verschickt worden.
Der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann rief die Bundesländer mit Blick auf die neuen Erkenntnisse der Bundesregierung dazu auf, "als Dienstherr" ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen. Etwaige Angriffe auf Lehrkräfte müssten konsequent verfolgt und angemessen geahndet werden. "Schulleitungen und Lehrkräfte dürfen in dieser belastenden Situation nicht im Stich gelassen werden."
Hetze durch Reichsbürger und Querdenker nicht unterschätzen
Die Bildungsexpertin der Linken, Nicole Gohlke, nannte die Befunde alarmierend. "Ich erwarte vom Bundeskriminalamt und den Länderpolizeien, dass sie alles dafür tun, damit Beschäftigte und Kinder ohne Angst vor Einschüchterungen in die Schulen und Kitas gehen können." Was heute noch Hetze ist, könnte sehr bald in tätliche Übergriffe übergehen, warnt sie.
Reichsbürger" und "Selbstverwalter" verneinen die Existenz der Bundesrepublik Deutschlands und ihres Rechtssystems, sprechen Politikern und anderen Staatsbediensteten die Legitimation ab. Nach Ansicht der meisten "Reichsbürger" besteht das Deutsche Reich fort und das Grundgesetz ist lediglich "Besatzungsrecht". "Selbstverwalter" betrachten sich selbst als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie vertreten häufig übergeordnete philosophische oder religiöse Ansätze, mit denen sie das vermeintliche Recht zur Ausrufung eigener Fantasiestaaten oder Rechtssysteme begründen.
Beide Strömungen lehnen den deutschen Staat und seine Repräsentanten grundsätzlich ab. Hieraus ergibt sich auch die erhöhte Bereitschaft, Ordnungswidrigkeiten und Straftaten zu begehen. Betroffen sind insbesondere Polizei, Justiz und Finanzämter; grundsätzlich können jedoch alle öffentlichen Stellen in den Fokus geraten. Gefährlich ist hierbei auch die hohe Waffenaffinität des Milieus. (Quelle: Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg)
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 16. Januar 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, hny/dpa