Neuer Prozess für Kudamm-Raser "Das ist ja nicht wie bei 'Need for Speed'"
19.11.2018, 07:13 Uhr
Gesperrte Straße nach dem illegalen Autorennen im Februar 2016.
(Foto: dpa)
Zwei Männer werden im Februar 2017 vom Landgericht in Berlin des Mordes schuldig gesprochen, weil sie während eines Autorennens auf dem Berliner Kurfürstendamm einen unbeteiligten Mann getötet haben. Doch aufgrund von Fehlern und einer nicht stichhaltigen Begründung nimmt der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil im Frühjahr 2018 zurück. Der Fall kommt nun wieder auf die Agenda. Verkehrsrechtsexperte Dieter Müller erklärt n-tv.de die Schwierigkeiten des erneuten Prozesses.
n-tv.de: Herr Müller, wie ticken Fahrer wie die Berliner Raser so?
Dieter Müller: Die meisten Rennen, die stattfinden, sind nicht vorher vereinbart worden. Das ist ja nicht wie in dem PC-Spiel "Need for Speed" oder in Filmen wie "The Fast and the Furious". Die treffen sich in der Realität irgendwo an der Ampel oder während der Fahrt. Sind da zwei rennbegeisterte Menschen, dann schauen sie sich in die Augen, drücken aufs Gas und machen ein Spontan-Rennen.
Und was ist die Motivation?
Das läuft aus einem Geltungs- und Machtbedürfnis heraus. Das ist ein männliches Problem und das hat viel mit fehlgeschlagener Erziehung, fragwürdigen Idolen und falscher Motivation zu tun. Das kann man auch mit einem schärferen Gesetz nicht verhindern.
Es gibt ja auch einige "Sonderkommissionen Raser". Was können denn die Polizisten tun?
Die Verkehrspolizei verfügt über Videokraftfahrzeuge und kann die Szenen während eines Rennens aufzeichnen. Aber diese Verkehrspolizei wurde in fast allen Bundesländern so zusammengespart, dass sie ihre Aufgabe kaum noch erfüllen kann. Das ist demnach ein großes Problem.
Nach dem ersten Prozess wurde das Mordurteil gegen die beiden Fahrer aufgehoben. Was ist da vorgefallen?
Der Bundesgerichtshof hat im Berliner Fall gesagt, dass es juristische Fehler gegeben hat. Die Begründung der Staatsanwaltschaft und des Strafgerichts war nicht ausreichend, um einen Mord zu begründen. Diese Begründung kommt in der Öffentlichkeit so rüber, als ob der BGH das nicht mehr als Mord sieht. Aber das wird oft falsch verstanden.
Und was bedeutet das für den neuen Prozess?
Ich bin der Meinung, dass wieder ein Mordurteil herauskommen kann. Wenn es ein Mordurteil geben wird, dann bekommen die beiden Fahrer eine lebenslange Freiheitsstrafe. Später werden sie dann in die gleiche Umgebung zurückkehren. Andere Leute, die so ein Urteil lesen, könnten aber potenziell abgeschreckt werden.
Wie kann man denn überhaupt eine Mordabsicht bei einem Rennen feststellen?
Wenn das Auto nicht mehr richtig gesteuert werden kann, dann sind die Fahrer im Grunde unberechenbar und ihre Autos werden im juristischen Sprachgebrauch zu "gemeingefährlichen Mitteln". Es gibt dabei auch den bedingten Vorsatz zum Mord. Wenn ein bestimmtes Verhalten gefährlich ist und wenn einem die Folgen völlig egal sind, das wird dann auch bedingter Vorsatz genannt. Um so etwas in einem Prozess herauszufinden, braucht man Gutachter.
Wie schwierig ist das?
Wenn ein Täter angeklagt ist, dann muss der im Grunde gar nichts sagen und ein pfiffiger Strafverteidiger wird die Staatsanwaltschaft erstmal argumentieren lassen. Und wenn der Angeklagte auch der Gutachterin nichts sagt, ist das schwer nachzuweisen. Dann muss das Gericht schlussfolgern. Beweisindizien sind dabei zum Beispiel die Geschwindigkeit, das Fahrverhalten und die Fahrzeugbeherrschung.
Wie war beim ersten Prozess die Argumentation?
Beim ersten Prozess in Berlin kam der Gutachter zu dem Urteil, dass die Angeklagten genau wussten, was sie taten. Die Fahrer haben sich über einen langen Zeitraum in das Rennen hineingesteigert und dann ist es zur Katastrophe gekommen.
Welches Strafmaß gibt es denn bei fahrlässiger Tötung?
Bei der Gefährdung des Verkehrs und der fahrlässigen Tötung kommt es jeweils zu einer Höchststrafe von fünf Jahren. Daraus wird eine Gesamtstrafe gebildet. Ist es kein Mord, so schätze ich, läuft es auf eine Strafe von sechs bis sieben Jahren hinaus. Die Fahrerlaubnis wird hoffentlich lebenslang entzogen.
Hat einer Verschärfung der Strafe für Raser denn eine Wirkung auf die Fahrer?
Eine Erhöhung des Strafmaßes schreckt Menschen nicht unbedingt von diesen Taten ab. Es geht auch immer darum, das Gesamtpaket zu betrachten. Wenn ich das Strafmaß verschärfe oder einen neuen Tatbestand schaffe, dann muss ich das auch überwachen können. Zusätzlich muss man das konsequent ahnden. Es ist ein Dreiklang. Man sollte aber die Menschen vorher schon präventiv erziehen, damit solche Verstöße gar nicht erst stattfinden.
Mit Dieter Müller sprach Sonja Gurris
Quelle: ntv.de