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Sommer startet mit Mutante Delta lauert auch im Urlaub

Derzeit sieht die Corona-Lage in fast allen europäischen Urlaubsländern gut aus.

Derzeit sieht die Corona-Lage in fast allen europäischen Urlaubsländern gut aus.

(Foto: imago images/Stefan Zeitz)

In den Urlaub mit drei Kindern und Hund und zurück mit Delta-Variante? Das gilt es zu vermeiden. Die deutschen Einreiseregeln sind klar, aber reicht das, um risikolos zu reisen?

Wann fühlte man sich das letzte Mal so urlaubsreif wie im Sommer 2021? Gerade startet die Saison, die ersten Bundesländer haben Ferien und in die Vorfreude und Packorgien hinein grätscht: Delta. Auf 15,1 Prozent bezifferte das Robert-Koch-Institut am Mittwochabend den Anteil der aggressiveren Mutante an der Gesamtzahl der Neuinfektionen in Deutschland. In der Woche zuvor war er nur halb so groß.

Als 40 bis 60 Prozent ansteckender gilt die “variant of concern”, (VOC) die beunruhigende Variante, die zuerst in Indien auftrat, sich jedoch inzwischen mit einem solchen Tempo auch in Europa verbreitet, dass die europäische Seuchenbehörde ECDC aufgrund von Modellierungen bis Anfang August einen Anteil von 70 Prozent für Delta an Covid-Infektionen in Europa erwartet. Bis Ende August, so schätzte das ECDC am Mittwoch, könnte der Anteil noch auf 90 Prozent ansteigen.

Zwar sind - zum Beispiel auf Deutschland bezogen - 15,1 Prozent von aktuell 1008 Neuinfektionen immer noch nur sehr, sehr wenig Ansteckungen, rund 150 pro Tag. Doch in Großbritannien sah die Situation im Mai noch ähnlich entspannt aus, bis die höhere Ansteckungsrate sich auch in den Inzidenzen zu zeigen begann. Auf der Europakarte ist Großbritannien inzwischen wieder dunkelrot, mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 117. Dieser rasante Rückfall in eine Problemlage macht deutlich, mit welcher Wucht Delta sich seinen Weg durch die Bevölkerung bahnt.

Dabei sieht es das ECDC als erwiesen an, dass erst die zweite Corona-Impfung einen ausreichenden Schutz gegen die Mutante aufbaut. Auch vor diesem Hintergrund warnt Gesundheitsminister Jens Spahn vor Reiseländern, die von der Delta-Variante bereits jetzt stark betroffen sind. Das Risiko, sich dort mit dem Virus anzustecken, ist auch bei niedrigen Inzidenzen deutlich höher als in Gebieten, wo noch der Wildtyp oder die Alpha-Mutante vorherrschen. Und damit steigt auch das Risiko, dass Urlaubsreisende die Problem-Mutante bei ihrer Rückkehr nach Deutschland einschleppen und ihrer Ausbreitung einen weiteren Schub geben.

Die Situation ist fragil - auch deshalb, weil vor allem junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder noch keinen Impfschutz haben und darum größere Gefahr laufen, sich mit Delta anzustecken als die Älteren, fürchtet das ECDC. Bei einer starken Ausbreitung zum Ende des Sommers könnte dieses erhöhte Risiko dazu führen, dass erneut vor allem Schülerinnen und Schüler weitergehende Corona-Schutzmaßnahmen ertragen müssten. Ein Horrorszenario für viele Kinder und ihre Eltern, das auch Bund und Länder nach Aussagen von Politikern unbedingt vermeiden wollen.

Wie das eigene Risiko erkennen?

Entsprechend eindringlich plädieren Gesundheitspolitikerinnen ebenso wie Experten dieser Tage für Urlaubsreisen mit Vorsicht, besonders vor der Mutante. Doch die Entwicklung ist insgesamt noch so neu - immerhin wurde die Mutante erst Mitte Mai von den europäischen Seuchenschützern zur VOC erklärt, dass Urlauberinnen und Urlauber derzeit noch auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie das Risiko für ihr eigenes Urlaubsziel überhaupt feststellen wollen.

Denn während die allermeisten Länder, zumal in Europa, ein engmaschiges Monitoring der Covid-Infektionen installiert haben, daher in der Regel ein tagesaktueller Inzidenzwert vorliegt, wird zum Teil noch sehr wenig sequenziert. In der Schweiz etwa schätzten die dortigen Behörden Mitte Juni den Delta-Anteil auf fünf Prozent, jedoch lediglich aufgrund der Sequenzierung von maxmial 30 Proben - ein Ergebnis mit weit weniger Aussagekraft als etwa der Wert aus den Niederlanden, die in der vergangenen Woche 610 Proben sequenzierten und in einem Anteil von 1,1 Prozent die Delta-Variante aufspürten.

Als Virusvariantengebiete, aus denen eine Einreise nach Deutschland nur mit zweiwöchiger Quarantäne möglich ist, sind derzeit vom RKI neben Indien und Brasilien vor allem afrikanische Länder ausgewiesen. Als einziges europäisches Land wird dort Großbritannien aufgeführt. Portugal, dessen Delta-Anteil von der Wissenschaftsinitiative GISAID (Global Initiative on Sharing All Influenza Data) mit 47 Prozent angegeben wird, hat das RKI bislang nicht mit in die Liste aufgenommen.

Da hilft nur, Internetseiten des Reiselandes zu durchforsten oder sich bei lokalen Anbietern und Kommunen zu erkundigen, um für sich selbst das Risiko besser einschätzen zu können. Beispielsweise melden Regionen an der südfranzösischen Atlantikküste bereits einen Delta-Anteil von 70 Prozent. Auch dort scheint besondere Vorsicht geboten.

Für Rückreisende aus vom RKI offiziell ausgewiesenen Virusvariantengebieten gelten strenge Regeln, sie müssen sich neben einer digitalen Registrierung beim Bund vor ihrer Einreise unmittelbar danach für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Die gilt auch für Geimpfte und Genesene und kann auch mit einem negativen Corona-Test nicht verkürzt werden.

Zehn Tage Quarantäne

Ebenfalls digital registrieren müssen sich Einreisende aus einem Corona-Risikogebiet, sie unterliegen einer Quarantänepflicht von zehn Tagen. “Wer genesen, vollständig geimpft oder negativ getestet ist, muss einen entsprechenden Nachweis der zuständigen Behörde vorlegen. Dann bedarf es nicht der Quarantäne”, heißt es auf der Internetseite der Bundesregierung.

Zur Liste der einfachen Risikogebiete, die das RKI ausweist, gehören als beliebte Urlaubsziele derzeit unter anderem bestimmte Regionen in Spanien, Slowenien, den Niederlanden, Irland, Dänemark, die Türkei und Portugals Hauptstadt Lissabon. Anders als bei Einreisen per Flugzeug besteht auf dem Landweg nicht die grundsätzliche Pflicht, einen negativen Corona-Test vorzulegen.

Die spannende Frage der kommenden Wochen wird sein: Sind diese Regelungen praktikabel? Bieten sie Schlupflöcher, die es Unwilligen ermöglichen würden, die Nachweispflicht für Genesung, Impfung oder Negativ-Test zu umgehen?

Wer beispielsweise mit dem Auto in Portugal Urlaub gemacht hat, dem wird man hinterher kaum nachweisen können, ob er oder sie auch das Risikogebiet Lissabon besucht hat und daher eigentlich für zehn Tage in Quarantäne gehen müsste. Ebenso wenig ist nach dem Urlaub festzustellen, wie intensiv Deutsche in beliebten Reiseregionen zum Beispiel mit britischen Urlaubern zusammentrafen, die die Delta-Variante aus der Heimat mit in den Urlaub bringen könnten. Zwar mussten zuletzt viele Touristen aus Großbritannien ihren Aufenthalt in Südeuropa abbrechen, da ihnen ansonsten zuhause eine zehntägige Quarantäne gedroht hätte. Wer diese jedoch in Kauf nimmt, darf in vielen Regionen Europas Urlaub machen.

Jeder einzelne ist verantwortlich

Ein Regelwerk, das also sehr auf der Verantwortung der Einzelnen basiert. Virologe Timo Ulrichs plädiert für strenge Kontrollen bei den Rückreisen und strikte Quarantäne. “Wir sollten nicht die gleichen Fehler machen wie letzten Sommer”, sagt der Mediziner. Gegen Ende der Urlaubssaison 2020 hatte das RKI festgestellt, dass Urlaubsrückkehrer zum Teil für die Hälfte aller Neuinfektionen in Deutschland verantwortlich waren. Auf dieser Grundlage hatte sich die zweite Welle ihren Weg gebahnt.

Immerhin ist die Ausgangssituation im Sommer 2021 eine deutlich andere als vor einem Jahr. In der vollständigen Immunisierung von einem Drittel der Bevölkerung sieht der Immunologe Peter Kern “einen gigantischen Unterschied, gerade auch, weil der Immunschutz gegenüber Delta funktioniert. Unser Immunschutz lag bei null im letzten Sommer”.

Ein weiterer Faktor sei das Wissen, das inzwischen über Sars-CoV-2, aber auch bereits über seine gefährlichen Varianten besteht. Das Bild über sein Ausbreitungsverhalten und seine Gefährlichkeit ist in einem Jahr deutlich präziser geworden. Hinzu kommt aus Sicht des Experten, dass sich die Menschen der Gefahr durch das Corona-Virus wesentlich bewusster sind als vor einem Jahr. “Wir waren im Taumel im letzten Sommer und dachten, die Pandemie sei besiegt. Nach der zweiten und dritten Welle sind wir nun hellwach und wissen, dass es noch nicht vorüber ist.”

Quelle: ntv.de

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