Panorama

Debatte um Exit-Strategie Die Impfpflicht in Österreich wackelt

Inzwischen halten mehr und mehr Länderchefs die Umsetzung der allgemeinen Impfpflicht für keine gute Idee.

Inzwischen halten mehr und mehr Länderchefs die Umsetzung der allgemeinen Impfpflicht für keine gute Idee.

(Foto: picture alliance/dpa/APA)

Anfang Februar tritt die allgemeine Impfpflicht in Österreich in Kraft - zumindest auf dem Papier. Doch schon jetzt mehrt sich die Kritik an dem neuen Gesetz, das zudem von weitreichenden Öffnungsplänen torpediert wird. Das ambitionierte Vorhaben droht zu scheitern.

Sie ist keine zwei Wochen alt und steht schon auf der Kippe: die allgemeine Impfpflicht in Österreich. Als erstes Land in der EU verpflichtet Deutschlands Nachbar alle seine erwachsenen Bürgerinnen und Bürger zur Corona-Spritze. Sechs Millionen Impfdosen verschiedener Hersteller liegen bereit. Weitere zehn Millionen sollen demnächst geliefert werden. Doch das ambitionierte Vorhaben droht am Durchsetzungswillen der Regierung zu scheitern. Mangelnde Konsequenz und Lockerungswellen führen das neue Gesetz ad absurdum. Und auch aus den Bundesländern wird an der Impfpflicht kräftig gerüttelt.

Der Landeshauptmann des Burgenlandes attestierte zuletzt der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen völlige Planlosigkeit. Sie habe sich mit dem Impfpflichtgesetz "in eine Sackgasse manövriert und agiert in der Umsetzung völlig planlos", sagte Hans-Peter Doskozil im ORF.

Tatsächlich verrennt sich die Regierung mit ihrer Corona-Strategie derzeit in Widersprüche. De facto gilt das Impfpflichtgesetz seit dem 5. Februar, wird aber bislang noch nicht durchgesetzt. Impfverweigerer haben noch bis Mitte März einen Freifahrtschein. Erst dann kann die Polizei Impfnachweise prüfen und gegebenenfalls einen Verstoß anzeigen. Zu einem automatischen Datenabgleich, um Ungeimpfte ausfindig zu machen, kommt es laut Gesetz überhaupt zu einem noch späteren Zeitpunkt, der noch gar nicht festgelegt ist.

Besonders paradox: Als Ungeimpfter begeht man ein strafbares Vergehen, weil man ja laut Gesetz verpflichtet ist, sich impfen zu lassen. Gleichzeitig darf man seit einigen Tagen aber getestet wieder ins Restaurant, in alle Geschäfte, zum Friseur oder in den Massagesalon. Auch am Arbeitsplatz herrscht nach wie vor keine generelle Impfpflicht. Hier gilt immer noch die 3G-Regel. Und selbst die gilt laut Österreichischem Gewerkschaftsbund nur an Orten, wo Menschen miteinander in Kontakt treten. Lkw-Fahrer oder Förster sind beispielsweise davon ausgenommen.

Am 5. März sollen dann schließlich alle Corona-Beschränkungen fallen, wie Bund und Länder heute beschlossen haben. Außer in "höchst vulnerablen Settings", wo weiterhin Maske getragen werden muss, werden alle Maßnahmen aufgehoben, erklärte Bundeskanzler Karl Nehammer im Anschluss an die Beratungen. Die Nachtgastronomie darf dann wieder öffnen, auch Veranstaltungen dürfen uneingeschränkt stattfinden. Gastronomie, Hotellerie und Co. können damit künftig wieder von allen besucht werden - ohne jeglichen Nachweis. Die Impfpflicht stehe dabei nicht zur Disposition, sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein. Förderlich sind die weitreichenden Lockerungen für das Vorhaben allerdings nicht.

Zweifel werden laut

Derweil wird die Impfpflicht auch bei den Landeschefs, die sie im vergangenen Herbst noch gefordert hatten, immer unbeliebter. Im Verlauf der Omikron-Welle habe sich gezeigt, dass die Situation in den Krankenhäusern stabil sei, zitiert die ARD Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Der ÖVP-Politiker fordert, die Zeit bis zum Beginn der Impf-Kontrollen durch die Polizei Mitte März zu nutzen, um intensiv zu prüfen, "ob diese Impfpflicht wirklich unbedingt notwendig ist, um das Funktionieren unserer Krankenanstalten zu gewährleisten". Falls das nicht so sein sollte, solle man vor dem 15. März "die Entscheidung treffen, die Impfpflicht auszusetzen".

Zweifel an der Umsetzung der Impfpflicht kommen auch von den Landesregierungschefs aus Oberösterreich und aus Kärnten. Das Gesetz müsse ständig von einer Kommission auf seine Verhältnismäßigkeit geprüft werden, fordert der Kärntner SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser, bevor es zu "irgendeiner ersten Strafe oder Sanktion" komme. Es gehe nicht darum, die Impfpflicht zu kippen, sondern ausdrücklich darum, die "Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht zu prüfen", so Kaiser.

Für diese Prüfung ist im Impfpflichtgesetz eine Kommission vorgesehen, die auch aus Juristen und Juristinnen, Medizinern und Medizinerinnen bestehen muss. Sie muss alle drei Monate prüfen, ob es die Impfpflicht tatsächlich braucht. Nur: Diese Kommission gibt es noch gar nicht. Offen ist zudem, wer dem Expertengremium angehören und wann sie das erste Mal zusammentreten soll. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein kündigte an, dies in den nächsten Wochen zu klären.

Kanzler Nehammer schert aus

Auch Österreichs Bundeskanzler setzt bei der Entscheidung, ob die Impfpflicht wie geplant umgesetzt werden soll, auf die Kommission. Man werde sich an den Rat der Experten halten, sagte er der Zeitung "Krone". Auf die Nachfrage, ob das Gesetz bald Geschichte sein könnte, äußerte sich Nehammer überraschend deutlich: "Wenn es die Expertinnen und Experten so beurteilen und der Regierung vorschlagen, dann ja." Der Sinn dieses Gesetzes sei nie gewesen, eine Zwangsmaßnahme zu setzen, sondern die richtige Antwort zur richtigen Zeit auf die jeweilige Gefährlichkeit des Virus zu finden, so der Kanzler.

Inzwischen gibt es immer weniger Politikerinnen und Politiker, die sich klar für die Impfpflicht aussprechen. Die grüne Fraktionschefin Sigi Maurer will sie beibehalten. Nur so könne das Land bei den kommenden Infektionswellen ohne den beständigen Wechsel zwischen Lockdown und Lockerung auskommen, sagt sie. Und auch der Gesundheitsminister betont: Vor allem hinsichtlich möglicher neuer Virusvarianten im kommenden Herbst sei das Instrument Impflicht jetzt wichtig.

Doch die grün-schwarze Koalition muss die Entscheidung zur Impfpflicht nicht nur epidemiologisch und politisch verteidigen. Wie bereits von Rechtsexperten erwartet, ist beim Verfassungsgerichtshof ein erster Antrag zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eingegangen. Nach Einschätzung von Juristen dürfte es der Auftakt für viele entsprechende Klagen sein. "Gesetzprüfungsverfahren dauern am VfGH in der Regel zwischen vier und sechs Monaten, eine im internationalen Vergleich kurze Zeitspanne", zitiert der "Stern" eine VfGH-Sprecherin. Angesichts der aktuellen Stimmung und den chaotischen Zuständen ist es allerdings fraglich, ob das Impfpflichtgesetz bis dahin überhaupt überlebt.

Quelle: ntv.de

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