Die Absturz-Chronologie "Du kannst jetzt gehen"
29.03.2015, 21:32 Uhr
Cockpittür-Verriegelung in einem Flugsimulator eines Airbus A320.
(Foto: REUTERS)
Fünf Tage nach dem Absturz der Germanwings-Maschine tauchen Auszüge der Aufnahmen aus dem Stimmrekorder auf. Sie zeichnen ein grausames Bild - vom Start in Barcelona bis kurz vor der Katastrophe in den Alpen.
Mit einer 26-minütigen Verspätung hebt die Germanwings-Maschine am Dienstagmorgen um 10.01 Uhr in Barcelona ab. Um 11.55 Uhr soll sie in Düsseldorf landen - aber dort wird das Flugzeug nie ankommen. Der Copilot, so verkündet die französische Staatsanwaltschaft zwei Tage später, soll die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht haben.
Die französischen Ermittler sind seit Dienstag damit beschäftigt, die Ereignisse zu rekonstruieren. Anhaltspunkte liefern die Aufnahmen auf dem geborgenen Stimmrekorder. Die "Bild"-Zeitung hat nun Ausschnitte aus dem geheimen Band dokumentiert. Sie zeichnen erstmals ein detailliertes Bild nach, wie die letzten Minuten an Bord verlaufen sind.
Der Spät-Start: Um kurz nach 10 Uhr geht der Flieger mit der Flugnummer 4U9525 vom Flughafen Barcelona-El Prat in Richtung Düsseldorf in die Luft. Der Pilot begrüßt die 144 Passagiere und entschuldigt sich für die Verspätung. Nach dem Start verläuft zunächst alles nach Plan. In den ersten 20 Minuten unterhalten sich die beiden Männer im Cockpit. Der Pilot erzählt seinem Copilot Andreas Lubitz, dass er es vor dem Abflug nicht geschafft habe, auf die Toilette zu gehen. Der bietet ihm an, er könne jederzeit übernehmen. Aber der Pilot bleibt zunächst noch im Cockpit. Die Maschine befindet sich etwas südlich von Marseille.
"Du kannst jetzt gehen"
Um 10.27 Uhr erreicht der Airbus A320 seine reguläre Reise-Flughöhe von 38.000 Fuß (knapp 11.600 Meter). Das Wetter ist gut, nichts weist auf Komplikationen hin. In diesen Minuten gibt es den letzten Funkkontakt zwischen Cockpit und Flugsicherung. Die letzte Nachricht der Besatzung wird im Flugsektor von Aix-en-Provence aufgefangen, das berichten französische Fluglotsen später.
Im Cockpit fordert der Pilot Lubitz auf, die Landung vorzubereiten. Der Chefermittler der französischen Staatsanwaltschaft nennt dessen Antworten später auffällig "einsilbig". Nach dem Landungs-Check sagt Lubitz dem Band zufolge zum Piloten: "Du kannst jetzt gehen." Mit den Worten "Du kannst übernehmen" verlässt dieser schließlich das Cockpit in Richtung Toilette. Auf dem Band ist zu hören, wie ein Sitz zurückgeschoben wird und die Tür zufällt. Es ist der letzte Augenkontakt der beiden.
Der Pilot ist kaum fort, da geht die Germanwings-Maschine nach Angaben der Fluggesellschaft in den Sinkflug. Etwa um 10.30 Uhr stellt der Flugradar ein Absinken des Flugzeugs fest. Nach zwei Minuten verliert es bereits mehr als 2000 Fuß (mehr als 600 Meter). Die Fluglotsen versuchen Kontakt zum Cockpit aufzunehmen, sie erhalten aber keine Antwort. Wie sich bei der Auswertung des Stimmrekorders später zeigt, ertönt in der Maschine das Alarm-Signal "Sink Rate".
Atmen, keine Reaktion
Der Pilot hat die Bordtoilette derweil wieder verlassen. Ein lauter Knall auf dem Band deutet darauf hin, dass jemand von außen gegen die Cockpit-Tür schlägt und tritt. Der Pilot ruft: "Um Gottes willen, mach die Tür auf." Im Hintergrund sind die Schreie von Passagieren zu hören. Die Cockpit-Tür ist nur einige Meter von den ersten Sitzreihen entfernt. Die Maschine sinkt inzwischen mit einer Geschwindigkeit von 3000 bis 4000 Fuß, das sind 900 bis 1200 Meter - pro Minute.
Das Flugkontrollzentrum versucht insgesamt fünf- oder sechsmal, die Piloten der Germanwings-Maschine zu erreichen, ohne Erfolg. Die Lotsen lösen den Notruf aus. Die französische Luftwaffe schickt einen in der Stadt Orange stationierten Mirage-Kampfjet, um Kontakt zu der Maschine herzustellen. Vergeblich.
Um 10.35 Uhr protokolliert das Band erneut laute Schläge gegen die Tür. Die Flughöhe beträgt jetzt nur noch 7000 Meter. Eineinhalb Minuten später ertönt die Warnmeldung "Terrain - Pull Up". Der Pilot schreit: "Mach die verdammte Tür auf." Lubitz reagiert nicht, auf dem Band hört man ihn atmen. Das Flugzeug fliegt in nordöstliche Richtung mitten auf die Alpen zu. Maschine und Boden trennen jetzt nur noch fünf Kilometer.
Die Radarverbindung zu der Maschine bricht in diesen Minuten ab. Die Flughöhe beträgt nur noch zwei Kilometer. Gegen 10.40 Uhr nimmt der Stimmenrekorder die letzten Geräusche auf. Laut zu hören ist, wie eine Tragfläche des Flugzeugs einen Berg streift. Wieder schreien Passagiere. Das Flugzeug stürzt im Massiv des Trois-Évêchés ab. Alle 150 Insassen sterben.
Quelle: ntv.de, cro