Panorama

Gassen über Impfanreize "Erlaubt ist, was hilft"

Impfungen sind das entscheidende Mittel gegen die Pandemie. Aber wie soll man Impfskeptiker überzeugen?

Impfungen sind das entscheidende Mittel gegen die Pandemie. Aber wie soll man Impfskeptiker überzeugen?

(Foto: dpa)

Die Impfungen gegen das Coronavirus sind auch ein Wettlauf gegen die Zeit - im Herbst könnte die Delta-Variante eine neue Welle auslösen. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sagt bei ntv, was er von Lockerungen, Anreizen für Impfskeptiker und Impfungen für Kinder hält.

ntv: Die WHO rät aktuell zu äußerster Vorsicht, was Lockerungsmaßnahmen angeht. Auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk, rät zur Einhaltung der Hygieneregeln. Sie sind eher bekannt dafür, dass Sie Lockerungen favorisieren und auch die Aufhebung der Maßnahmen, sagen wir mal in nicht allzu ferner Zukunft, propagieren. Wie passt das zusammen?

Dr. Andreas Gassen ist der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Dr. Andreas Gassen ist der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

(Foto: axentis.de)

Andreas Gassen: Die WHO hat sich in der Äußerung speziell an Großbritannien gewandt und die Briten haben ja letztlich gesagt: Wir machen am 19. Juli alles auf, komme was wolle, wir gehen auch mit 100.000 Neuinfektionen am Tag tapfer diesen Weg. Ob das so funktioniert, wird man sehen. Insofern ist das schon eine andere Situation als hier. Ich habe gesagt, man sollte jetzt nicht pauschal die Maßnahmen zurückfahren, sondern erst, wenn ein Impfangebot für alle da ist. Das sollte spätestens im September der Fall sein. Dann haben wir also tatsächlich die Möglichkeit, per Impfung die Herdenimmunität nahezu herzustellen. Das ist dann der Zeitpunkt, wo es aus meiner Sicht langsam Sinn ergibt aus medizinischer Sicht. Aber auch juristisch ist dann die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen einfach nicht mehr gegeben. Da werden wir gar nicht umhin können, zu lockern. Jetzt gilt es, bis dahin das Impfen dementsprechend zu beschleunigen.

Sie haben es gesagt, wenn ein Impfangebot für alle da ist. Das ist eine Position, die auch Heiko Maas vertritt. Vergisst man dabei nicht all die Kinder? Können wir Erwachsene nicht die Kinder schützen, indem wir uns weiterhin vorsichtig verhalten?

Das funktioniert nur begrenzt. Die Kinder zu schützen wird nur funktionieren, wenn sich möglichst alle Erwachsenen impfen lassen. Aktuelle Studien zeigen klar, dass Kinder zum einen nicht die Pandemietreiber sind, sondern sie am empfangenden Ende sind. Das heißt, sie bekommen es von den Erwachsenen. Wir haben eine enorm hohe Dunkelziffer, was uns alleine die Zahl der Genesenen deutlich höher verorten lässt. Insofern muss man sich hier sachlich und ruhig über Impfquoten unterhalten und wie man am ehesten dem Ziel nahe kommt, dass möglichst viele Menschen geimpft werden und damit gegen einen schweren Verlauf geschützt sind.

Impfen lassen können sich aber nur die Erwachsenen. Was macht man denn dann? Die Kinder sollen im Herbst wieder zur Schule gehen, am besten auch in voller Klassenstärke. Aber die Kinder kann man nicht impfen. Reicht das dann trotzdem?

Zum einen wird es sicherlich eine gewisse Schutzwirkung entfalten, wenn alle Erwachsenen, die diese Kinder umgeben, geimpft sind. Das ist schon mal gut und richtig. Und da muss man sagen, die Impfempfehlung für die Kinder von 12 bis 16 gibt es ja deshalb nicht pauschal, weil der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse aktuell der ist, dass die Impfung potenziell für die Kinder doch ein größeres Risiko bedeutet als eine Corona-Erkrankung. Denn auch das ist Fakt: Kinder, und die unter 12-Jährigen erst recht, haben glücklicherweise ein sehr, sehr geringes Risiko, relevant an Corona zu erkranken.

Stichwort Impfkampagne: Das stottert im Moment so ein bisschen. Das Impftempo ist nicht mehr ganz so hoch, wie es noch vor einigen Wochen war. Haben Sie eine Ahnung, woran das liegt?

Ich glaube, das ist ein Kombinationseffekt. Wir haben natürlich zum einen eine Bevölkerung, die seit Monaten gesagt bekommt, der Impfstoff ist nächste Woche in ausreichender Menge da. So richtig viel haben wir immer noch nicht. Dass es jetzt so gerade reicht, liegt natürlich auch daran, dass viele im Urlaub sind und dass zum Teil natürlich auch Praxen und ihre Mitarbeiter im Urlaub sind. Dann gab es die Verunsicherung mit Astrazeneca, das hat viele abspringen lassen. Gut, da müssen wir jetzt ran, es hilft alles nichts. Wir haben durchaus schon eine gar nicht so schlechte Impfquote, nur die muss halt noch besser werden und das kann sie auch. Von daher glaube ich, hier offensiv zu bewerben ist sicher sinnvoll. Und die Ansprache von Bevölkerungsgruppen, die bisher so ein bisschen durch das Raster gefallen sind.

Die Bundesregierung will jetzt auch die Impfkampagne lauter stellen. Dann sind auch Fremdsprachenkurse und Fahrräder im Gespräch als Belohnung. Ist das was?

Naja, erlaubt ist, was hilft. Das ist alles in Ordnung, kann man alles machen. Ob das Ganze funktioniert, das kann ich jetzt nicht beurteilen, das müssen die Marketing-Strategen sagen. Aber es ist richtig, dass wir versuchen, Anreize zu setzen. Ob das jetzt ein Fremdsprachenkurs oder ein Fahrrad ist … Der Anreiz für alle müsste sein, dass wir diese Pandemie endlich in den Griff bekommen und dass wir dann im September auch wieder weitgehend restriktionsfrei leben können. Wenn das nicht reicht, habe ich nichts gegen individuelle Anreize.

Sie vertreten die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Sind die vielleicht jetzt auch mit ins Boot zu holen? Denn die Menschen vertrauen ihrem Hausarzt, ihrer Hausärztin. Sollten die nicht mehr für Impfungen werben?

Ich habe nicht das Gefühl, dass die Kolleginnen und Kollegen das nicht tun. Offen gestanden, ich kann aus der eigenen Praxis berichten, haben wir auch nicht das Problem, dass massenhaft Impftermine abgesagt werden. Das ist möglicherweise ein Problem, was auch an der Struktur der Impfzentren liegt, wo vielleicht auch Menschen rein technisch ihre Termine schlecht absagen können oder dann, was auch nicht in Ordnung ist, es vorziehen, sich bequem beim Hausarzt impfen zu lassen. Die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen machen, was sie können. Die kann man sicherlich auch noch unterstützen. Man müsste überlegen: Schafft man hier nicht auch Möglichkeiten für die Praxen, beispielsweise am Wochenende Impftage einzurichten? Das muss natürlich dann auch hinterlegt sein, das können die nicht aus eigener Kraft stemmen. Aber es gibt da durchaus das eine oder andere Mittel, was man noch ziehen könnte. Und ich glaube, dann brauchen wir auch nicht auf Kioske und Einkaufscenter auszuweichen, denn wir haben mit den rund 100.000 Haus- und Facharztpraxen eigentlich 100.000 Impfzentren im ganzen Land.

Mit Dr. Andreas Gassen sprach Doro Steitz

Quelle: ntv.de

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