Aufklärung schwerer StraftatenErmittler dürfen kriminellen Datenschatz nutzen

Weil über Encrochat Mitteilungen aufwendig verschlüsselt werden, nutzen vor allem Kriminelle den Dienst. Dem Bundeskriminalamt gelingt es dennoch, Millionen geheimer Nachrichten abzuschöpfen. Und die darf es nun auch höchstgerichtlich zur Aufklärung schwerer Straftaten nutzen.
Daten der von Kriminellen genutzten Encrochat-Software sind in Deutschland als Beweismittel verwertbar, wenn sie der Aufklärung schwerer Straftaten dienen. Französische Ermittlungsmaßnahmen müssten nach französischem Recht bewertet werden, erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Frankreich hatte Deutschland entsprechende Daten übermittelt.
Es sei dabei nicht entscheidend, ob eine in Frankreich nach französischem Recht erfolgte Maßnahme auch in Deutschland hätte angeordnet werden können, erklärte der BGH weiter. Im konkreten Fall ging es um einen verurteilten Drogenhändler aus Hamburg, in dessen Verfahren über Encrochat versandte Nachrichten als Beweise gedient hatten. Seine Revision wurde nun verworfen. "Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt", schrieb der BGH.
"Nahezu ausschließlich kriminelles Klientel"
"Nach den vom Angeklagten mit seiner Revision vorgelegten umfangreichen Unterlagen gab es in Frankreich 2017 und 2018 Hinweise darauf, dass Tatverdächtige organisierten Drogenhandel (bis zu 6 Kilogramm Heroin und 436 Kilogramm Marihuana) über besonders verschlüsselte Mobiltelefone ('Kryptohandys') des Anbieters Encrochat abwickelten", erklärt das Gericht zur Vorgeschichte der Entscheidung. "Mit diesen Geräten konnte man weder telefonieren noch das Internet nutzen, sondern lediglich Chat-Nachrichten (SMS) versenden, Notizen anlegen oder Sprachnachrichten speichern und versenden. Eine Kommunikation war nur zwischen Nutzern von Encrochat möglich. Aufgrund einer besonderen Ausstattung der Telefone und einer besonderen Verschlüsselungstechnik konnten Strafverfolgungsbehörden weder auf die damit geführte Kommunikation zugreifen noch die Geräte inhaltlich auslesen oder orten."
Über das Encrochat-Netzwerk hatten mutmaßliche Verbrecher aus dem Bereich der organisierten Kriminalität europaweit kommuniziert. Sie planten dabei schwerste Straftaten. Französischen und niederländischen Ermittlern gelang in Zusammenarbeit mit den EU-Behörden Europol und Eurojust 2020 ein Hackerangriff auf das Programm. Dadurch konnten die Handys von zehntausenden mutmaßlichen Kriminellen überwacht werden. Infolge der Entschlüsselung wurden in Deutschland bereits tausende Strafverfahren eingeleitet.
Der BGH schrieb unter Berufung auf französische Erhebungen: "Nach ersten Erkenntnissen wurden von den in Frankreich aktiven Telefonen sicher jedenfalls 63,7 Prozent für kriminelle Zwecke verwendet, die übrigen Geräte (36,3 Prozent) waren entweder teils inaktiv oder noch nicht ausgewertet. Staatsanwaltschaft und Gericht gingen nach der Auswertung der im ersten Monat erlangten Daten von einer 'nahezu ausschließlich kriminellen Klientel' der Encrochat-Nutzer aus."