Essen und Trinken

Oetker geht essen Ein Bayer, ein Türke, aber vor allem: Deutschlands bester Koch

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Edip Sigl arbeitet mit einem kleinen Team.

Edip Sigl arbeitet mit einem kleinen Team.

(Foto: Das Achental)

Edip Sigl hat sein vier Jahre altes Restaurant in Rekordzeit zu drei Sternen gekocht. Am Chiemsee betreibt er das es:senz mit einer ganz eigenen Küchensprache, regional, produktfixiert und wahnsinnig lecker. Doch der Deutschtürke ist noch viel mehr als nur Deutschlands derzeit spannendster Koch: Er ist ein Vorbild mit Migrationshintergrund.

"Weißt Du eigentlich, dass Du der einzige Türke auf der Welt bist, der drei Sterne erkocht hat?", fragte Sternekoch Jan Hartwig, als er Edip Sigl mal in seinem Restaurant besuchte. Sigl wusste es nicht. So wie er sich nicht badet in Glanz und Glamour, sich nicht in Fernsehshows einladen lässt und überhaupt das Rampenlicht meidet. Das liegt nicht an der Bescheidenheit des 40-jährigen, sondern daran, dass er konzentriert ist. Konzentriert auf seine Küche.

Jeder Teller soll perfekt sein, wie hier der Chiemsee Zander.

Jeder Teller soll perfekt sein, wie hier der Chiemsee Zander.

(Foto: Das Achental)

"Als ich meinen ersten Dreisterne-Service kochte, da haben bei den Vorspeisen meine Hände gezittert. Minutenlang. Nicht, weil ich den Druck von außen spürte. Sondern den Druck von innen, den Druck, den ich mir selbst mache", sagt Edip Sigl. "Ich bin gekränkt, wenn ein Teller nicht perfekt ist. Weil es bedeutet, dass ich dem Produkt nicht gerecht geworden bin."

Er ist ein Koch, wie es sie heute eigentlich nicht mehr gibt. In einer Welt, in der alle jungen Leute von Work-Life-Balance reden und davon, dass Leistung ja lebensfeindlich ist. Doch für Sigl ist klar: Leistung ist wichtig. Wachsen ist wichtig. Lernen ist wichtig. Er will besser werden, jeden Tag. Er will kochen und Gerichte erfinden und Produkte suchen - da kann es schonmal sein, dass er zu spät zum Interview kommt, weil er noch eine Sauce abschmecken muss.

Teil einer winzigen Mannschaft

"Ich glaube, dass die Stimmung in meinem Team genau deshalb so gut ist", sagt Sigl, "weil ich immer da bin, weil wir alles zusammen machen." Dabei hat er in der Küche nur acht Leute stehen, was für ein Dreisterne-Restaurant mit zwei sehr kleinteiligen Menüs nun wirklich eine winzige Mannschaft ist. Sigl versucht, sein Küchenteam lange an sich zu binden. Denn Leistung ist das Gegenteil von Selbstausbeutung: In seiner Küche gilt eine Vier-Tage-Woche, drei Tage sind zusammenhängend frei, dazu gibt es acht Wochen Betriebsferien, in welcher Branche kann man sich das sonst erlauben? Viel Freizeit bedeutet aber auch: Wer in der Küche steht, der schaut nicht auf die Stunden. Der gibt alles, so wie es der Chef vorlebt.

Seine Ideen lassen Sigl manchmal nicht schlafen.

Seine Ideen lassen Sigl manchmal nicht schlafen.

(Foto: Das Achental)

"Die meisten Ideen für meine Gerichte fallen mir im Bett ein, kurz bevor ich schlafe", sagt Edip Sigl. "Und dann schreibe ich noch schnell eine whatsapp an mich selbst, damit ich die Idee nicht vergesse." Ein Work-a-holic ohne Manie ist er, ohne Aufbrausen, ohne ungesunden Druck. Nur mit dem Willen, immer perfekt zu sein.

Dabei war sein Weg in die Sterne wirklich nicht vorherbestimmt: Mit zwei Jahren zogen seine Eltern mit dem kleinen Edip aus der Türkei nach Köln. Die Mutter war Putzhilfe, der Vater Schreiner. Die einfachen Verhältnisse waren für ihn nicht nur zwei Worte, sie waren sein Leben. Doch Edip wusste: Er will kochen. Und er will hoch hinaus. Beides hat er geschafft - und zwar so spektakulär, dass nach den zwei Sternen für die es:senz im Chiemgau-Luxushotel "Das Achental" schon im vierten Jahr der dritte Stern kam. Nur zehn Dreisterner gibt es überhaupt in Deutschland und plötzlich war der junge Deutsch-Türke mit Hauptschulabschluss einer von ihnen.

Zwei Menüs in Vollendung

Auf diesem Niveau gibt es keine Entschuldigungen mehr, jeder Abend muss perfekt sein, jedes Gericht muss sitzen. Zwei Menüs gibt es hier, das Chiemgau pur ist ein Menü mit regionalen Zutaten, sechs Gänge bayrischer Vollendung, das Around-the-World-Menü hat acht Gänge, hier erlaubt sich Sigl, mit besten Produkten aus aller Welt zu arbeiten - und zwar so gekonnt, dass es verblüfft.

Vorneweg: Dass so viele Details, so viele Ideen, eine so florale und liebevolle Anrichtung mit einer so kleinen Küchenmannschaft funktioniert, ist beinahe ein Wunder. Das beginnt beim Apéro, den Sigl mit vier Kleinigkeiten versieht: Darunter einer Zuckerwatte, die wie eine Vinaigrette schmeckt. Einer Rolle, die mit Wagyu-Rind, Foie Gras, Kaviar und Trüffel gefüllt und trotzdem nicht überladen ist. Und einem Macaron, der gerade in Sternerestaurants total en mode ist - hier ist er endlich mal nicht zu süß und übertüncht den Geschmack der Produkte, sondern er funktioniert mit seiner Luftigkeit tadellos und hebt die Renke aus dem Chiemsee aromatisch noch hervor, die Senfgurke dazu ist ein Traum.

Selbst Brot erreicht hier völlig neue Geschmacksebenen.

Selbst Brot erreicht hier völlig neue Geschmacksebenen.

(Foto: S. Korge)

Dann kommt der Brotgang, der schon allein zeigt, auf welchem Niveau hier gekocht wird: Sauerteig und Brioche sind wunderbar, doch dazu kommen ein Obatzda mit Zwiebelringen, eine Kräutercrème mit Wildkräutern, eine Salzbutter mit Senfvinaigrette und eine fantastische Tomate mit Chardonnay-Essig, es ist ein Spektakel in Brotform.

Weiter geht's mit einer Schale mit ausgehärtetem Bratfett, das in Form eines Hähnchens serviert wird. Darüber wird eine fettige und wunderbar süffige Hühnerbrühe gegossen, dazu kommt ein perfektes Stück Hühnerbrust mit Kruste - es ist echtes Seelenessen und nimmt auch Fine-Dining-Anfängern die Schwellenangst vor der vermeintlichen Luxusküche.

Sigl weiß, wie Produkte am besten funktionieren: Die handgetauchten Jakobsmuscheln aus Norwegen serviert er nicht als Ganzes, sondern schneidet sie in große Würfel, versieht sie mit Kaviar und Lauchöl, sodass sie gar nicht erst die Chance haben, gummiartig und fischig zu schmecken wie so oft, sondern wie ein wirklich frisches Tartare - es ist grandios.

Von Höhepunkt zu Höhepunkt

Genau wie die Hauptspeise im Chiemgau-Menü: "Szegediner" nennt Sigl seinen Gang mit kurzgebratenem Wagyu-Rind. Doch das ist eben nicht Sous-Vide überbehandelt und irgendwie aromatisch ergänzt, es ist ein wirkliches Gericht mit ganz viel Idee: Das Fleisch ist hauchzart und liegt auf Sauerkraut, aromatischer Paprika und Schmand - und schmeckt wirklich wie ein sehr feines ungarisches Gulasch - das ist Spitzenklasse.

Szegediner ist eine rafffinierte Komposition.

Szegediner ist eine rafffinierte Komposition.

(Foto: Das Achental)

Mein Highlight aber ist der Käsegang, für viele Köche ist das nur noch Zugabe, da wird irgendeine angetrocknete Auswahl an Rohmilchkäsen serviert oder ein viel zu süß aromatisierter Ziegenkäse angemacht. Hier aber wird eine Bühne geboten: Für den Époisses aus dem Burgund, einen sehr intensiven Weichkäse aus Kuhmilch, dem im Reifeprozess immer mehr Tresterbrand hinzugefügt wird. Eigentlich kann man diesen sehr würzigen Käse aromatisch gar nicht einbinden - außer, man ist ein richtig guter Koch: Edip Sigl gibt dünne Scheiben sehr fruchtiger Ananas hinzu, getrocknete Oliven und 20 Jahre alten Balsamico, hinzu kommt sehr krosses Knoblauchbrot und macht das zum besten Käsefondue meines Lebens - die Mischung aus Frucht und Deftigkeit, aus Würze und Salz ist zum Abheben.

So ist ein Abend im es:senz eine Lehrstunde darin, wie toll man kochen kann, wenn man nachdenkt, sich inspirieren lässt und immer besser werden will. Nicht in alten Gerichten festhängt, sondern täglich seine drei Sterne rechtfertigen möchte - Edip Sigl kann das.

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Genau wie der finnische Sommelier Iiro Lutter, der innerhalb kürzester Zeit einen Weinkeller mit ausdrucksvollen Weinen geschaffen hat, die Jahrgangstiefe ist so beeindruckend wie die Ideen des Mannes, die Gerichte seines Chefkochs mit Verve zu begleiten. Essen hier ist leidenschaftlich, weil sich die Leidenschaft des Koches auf die Gerichte und damit auf die Gäste überträgt. Und dazu kocht der türkische Bayer Menüs, die einfach Spaß machen.

"Das Achental" liegt in Grassau am Chiemsee. Es gehört den Gründern der Kette MotelOne und ist ein Luxusresort mit Golfplatz und Spa. Das Restaurant es:senz ist von Mittwoch bis Samstag immer abends geöffnet, die Menüs kosten 235 oder 330 Euro.

Quelle: ntv.de

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