Panorama

"Dein Arsch sah richtig gut aus" Frauen leiden massiv unter Sexismus bei der Polizei

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Sexistische Kommentare gehören für viele Polizistinnen zum Alltag.

Sexistische Kommentare gehören für viele Polizistinnen zum Alltag.

(Foto: picture alliance/dpa)

Immer mehr Frauen entscheiden sich für eine Karriere bei der Polizei, doch sie sind unter den vielen Männern auch Demütigungen und Übergriffen ausgesetzt. Und sie trauen sich nicht immer, darüber zu sprechen. Wenn, dann oft nur anonym, wie in der neusten Ausgabe der Zeitschrift "Deutsche Polizei".

Die Polizei, dein Freund und Helfer. Ist schon längst auch schon deine Freundin, deine Helferin. Die einstige Männerdomäne wird weiterhin mehr und mehr auch von jungen Mädchen und Frauen für sich entdeckt. Der Gewerkschaft der Polizei zufolge ist der Frauenanteil in der Polizei in den Jahren 2000 bis 2019 bundesweit von 20 auf inzwischen 29,3 Prozent gestiegen. Gemischte Teams aus Frauen und Männern kommen auch bei der Bevölkerung gut an.

Doch leider scheint die Stimmung in der Polizei zwischen den Geschlechtern längst nicht so gut. Das zeigt die Gründung einer neuen Arbeitsgruppe der Frauen in der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Die AG "Respect me, too" soll sich um das Thema Sexismus in der Polizei kümmern. Es geht um den Schutz der Kolleginnen, aber auch um harte Sanktionen gegen die Täter und Vorgesetzte, die das dulden.

Trotz der höheren Beliebtheit bei jungen Mädchen und Frauen ist der Anteil der Frauen in Führungspositionen bei der Polizei ab Besoldungsgruppe A13, 1. Polizeihauptkommissarin, immer noch sehr gering. Das hat auch die Recherche von ntv in den 16 Bundesländern ergeben. Die Macht liegt häufig noch bei männlichen Vorgesetzten, andererseits herrscht hoher Stress und so fällt anscheinend mancher Spruch und manche Geste, die gleichermaßen folgenlos bleiben.

Sibylle Krause weiß, wovon die Kolleginnen berichten.

Sibylle Krause weiß, wovon die Kolleginnen berichten.

(Foto: Gewerkschaft der Polizei)

Sibylle Krause, Berliner Oberkommissarin, ist Mitglied dieser neu gegründeten AG und bestätigt ntv: "Die Polizei hat ein ernsthaftes Sexismus-Problem. Es wird Zeit, dass wir bundesweit damit eine Umgangsform finden. Und den Kolleginnen helfen können." Nicht nur junge Frauen, auch viele erfahrene Polizistinnen seien viel zu häufig Sprüchen und Tatschangriffen ausgesetzt, bestätigt die GdP gegenüber ntv.

Sexistische Kommentare am Arbeitsplatz

Eine exklusive Umfrage für ntv im gesamten Bundesgebiet unter Polizistinnen und Polizisten unterstreicht diesen Missstand noch einmal deutlich. So wurde eine Polizistin, die einen Rollkragenpulli anhatte, von einem Kollegen gefragt, ob es ein Kamelhaarpulli sei, was sie wiederum verneinte. Daraufhin sagte er: "Wegen der Höcker". Eine weitere Polizistin musste sich nach dem Dienstsport von einem Kollegen anhören, dass sie ja wirklich groß sei, er ihn vielleicht sogar bis zum Anschlag versenken könne. Die Aussage "Dein Arsch sah in der Einsatzhose heute wieder richtig gut aus" musste sich eine Polizeibeschäftigte genauso gefallen lassen wie die Frage, nachdem ihr von einem Mann auf den Oberkörper geblickt wurde, ob es "die auch in größer" gebe.

Diese Erfahrungsberichte sind wohl nur die Spitze des Eisbergs. Eine Sprecherin der GdP bestätigte ntv, dass die Auskünfte total unzureichend seien, weil im Föderalismus jede Behörde zähle, wie sie wolle: "Wir glauben, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher ist."

Die Fälle werden auch bei der Polizei thematisiert.

Die Fälle werden auch bei der Polizei thematisiert.

(Foto: RTL/ntv)

In der Juli-Ausgabe der Zeitschrift "Deutsche Polizei", die ntv vorliegt, möchten die Frauen in der GdP den Missstand publik machen und haben klare Forderungen. Jungen Mädchen und Frauen soll ein Arbeitsplatz bei der Polizei geboten werden, der sexualisierte Gewalt und Belästigungen nicht länger duldet und konsequent sanktioniert. Um das zu erreichen, hat die Bundesfrauengruppe seit Monaten Erkenntnisse gesammelt und ist mit betroffenen Polizistinnen ins Gespräch gekommen.

Hierarchie und Macht

Als Gesprächspartnerin steht dafür besonders Sibylle Krause zur Verfügung. Sie ist nicht nur in Berlin Oberkommissarin, sondern auch Frauenbeauftragte bei der GdP. Krause bekräftigt im Gespräch mit ntv, dass sie nicht über die anonymen Aussagen der Kolleginnen überrascht sei. Sie kenne die Polizei seit 26 Jahren und leider sei diese Art der übergriffigen und erniedrigenden Sprache für viele Kolleginnen ein unangenehmer Anteil ihres Dienstalltags. Selbst sie müsse sich in ihrer Position mitunter noch sexistische Sprüche anhören. Krause vermutet, dass sie wahrscheinlich über die Jahre abgehärteter sei als jüngere Kolleginnen.

Auf die Frage, warum sich so viele Frauen eher an sie wenden, aber nicht an die Vorgesetzten, gibt sie der Hierarchie und der Struktur innerhalb der Polizei die Schuld. Oft haben nämlich nicht die Täter, sondern die Geschädigten das Nachsehen und müssen unter Umständen sogar die Dienststelle verlassen. Und wer sich traue, sexuelles übergriffiges Verhalten nach oben zu melden, sehe sich zudem mit dienstlichen Konsequenzen konfrontiert. Der Dienst werde laut Krause zum Spießrutenlauf, das Opfer gelte als "Anscheißerin".

Die Frauenbeauftragte unterscheidet auch nicht zwischen verbaler und körperlicher Gewalt. Für sie beginne sexualisierte Gewalt mit der Sprache, die dann jedoch auch ins Körperliche eskaliere. Dazu gehöre angrapschen, der Kollegin auf engem Raum auf den Pelz rücken oder ein ordentlicher Klaps auf den Hintern. Es sei alles schon dagewesen. Je enger der Raum auf dem Wagen, in der Hundertschaft, desto größer die Chance dafür. Deswegen fordert Krause auch die Erarbeitung eines Verhaltenskodexes zum partnerschaftlichen Umgang am Arbeitsplatz. Dieser gilt dann wohl für Männer als auch Frauen gleichermaßen.

Junge Kollegen sind Sexismus gewohnt

Es kommt nämlich ebenfalls vor, dass sich Männer übergangen oder diskriminiert fühlen bei der Polizei. Davon berichtet ein junger Polizist, der anonym bleiben möchte und irgendwo in Deutschland im Dienst ist, gegenüber ntv.

Ihm begegne Sexismus im Berufsalltag sogar täglich. Aus seiner Sicht sei das oft beidseitig, von Männern und Frauen. So haben männliche Kollegen etwa das Gefühl, sie würden gegenüber einer schwangeren Kollegin benachteiligt. Gleichzeitig werde aber über viele Kolleginnen regelmäßig in anzüglicher, erniedrigender und sexistischer Weise gesprochen.

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Für ihn liege das Problem in der heutigen Kultur, dazu gehörten Social Media und Deutschrap. Viele seiner Kollegen seien richtig jung und gegenüber alten Hasen würde man sich nicht so äußern. Der anonym berichtende Polizist glaubt, dass Deutschrap, der selbst im Funkwagen gehört werde, einen "krassen Einfluss" auf das sexistische Verhalten der jungen Kollegen habe. Er höre zwar auch gerne diese Musik, lebe das aber nicht. Schreite man selbst als Kollege ein, um eine Kollegin zu schützen, sei das Ergebnis unterschiedlich. Er habe selbst schon öfter Kolleginnen in Schutz genommen, ihm sei dabei aber nie etwas passiert. Über Auswirkungen, etwa negatives Gerede hinter seinem Rücken, wisse er nichts. Was er aber beobachtet habe, sei, dass man von denjenigen, die sich danebenbenommen haben, keine Entschuldigung zu erwarten habe. Vielmehr werde der Vorfall totgeschwiegen und irgendwann sei er wieder vergessen.

Wohin dieser Sexismus bei der Polizei führen kann, wenn nichts dagegen unternommen wird, zeigt ein aktueller Fall aus Baden-Württemberg: Dort steht der ranghöchste Polizist des Bundeslandes, Andreas R., vor Gericht. Er soll einer Kollegin, die auf eine Beförderung hoffte, Dick Pics und Fotos, die ihn beim Urinieren zeigen, geschickt haben.

Quelle: ntv.de

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