Panorama

Berlin - Venedig - Wentrup "In der Kunst muss man alle Register erfüllen"

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Ehrliche Auseinandersetzung in alle Richtungen seit 20 Jahren: Jan und Tina Wentrup.

Ehrliche Auseinandersetzung in alle Richtungen seit 20 Jahren: Jan und Tina Wentrup.

(Foto: Patricia Parinejad)

Hektisch und schnell ist die Kunstwelt. Ruhig und gelassen manövrieren Jan und Tina Wentrup seit 20 Jahren ihre Künstlerinnen und Künstler durch Höhen und Tiefen, setzen auf Dialog, Entschleunigung und eine besondere Zweigstelle in Venedig.

Vom selbst ausgebauten Pferdestall in eine vom Designer renovierte ehemalige Post, vom aufstrebenden Ostteil in den etablierten Westen. Klingt nach Berlin? Richtig. In der Stadt gründete Jan Wentrup vor 20 Jahren seine Galerie, die er seit 2009 mit seiner Frau Tina führt. In Venedig haben sie in diesem Frühjahr eine Dependance eröffnet. Dort kann man eine Bootsfahrt mit einem Künstler und einem besonderen Segel buchen. Das Jubiläum wird in Berlin mit einer ungewöhnlichen Ausstellung gefeiert. Das Galeristenduo hat sich in Berlin mit ntv.de zum Gespräch getroffen. Der ständige Dialog ist dem Paar wichtig. Mit Offenheit und der Bereitschaft, sich auf den anderen einzulassen, sprechen sie miteinander und anderen. Besonders wichtig sind ihnen die Gespräche mit den 19 KünstlerInnen der Galerie, ihrem Team, Sammlern oder Kuratoren und die Auseinandersetzung mit dem Publikum. Der Verkaufsraum ist zugleich ein Ausstellungsort, der jedem kostenlos offensteht. Jeder darf sich über die Schwelle trauen, schauen und Fragen stellen.

Die bei Wentrup gezeigte Kunst ist tatsächlich ohne große Erklärungen verständlich. "Ein Kunstwerk muss erstmal für sich alleinstehen", findet Tina Wentrup. "Wir wollen, dass mit den Betrachtenden etwas passiert, vor allem keine Schranken aufbauen." Selbstverständlich gibt es hoch-konzeptuelle Kunstwerke, für die man viel Wissen mitbringen müsste. Ein Kunstwerk sei aber autonom, stehe ganz einfach für sich, ergänzt Jan Wentrup. "Vor allem geht es um die persönliche Auseinandersetzung zwischen den Betrachtenden und dem Kunstwerk. Alles andere kann nur zusätzliche Information sein." Kunst habe allerdings unterschiedlichste Ebenen, ergänzt Wentrup. Das unterscheide sie von der reinen Dekoration: "Da gibt es nur diese eine, eher flache Ebene."

In einer ehemaligen Post trifft jetzt gute Innenarchitektur auf faszinierende Kunst wie hier die Installation "Monumental" von Sophie von Hellermann.

In einer ehemaligen Post trifft jetzt gute Innenarchitektur auf faszinierende Kunst wie hier die Installation "Monumental" von Sophie von Hellermann.

(Foto: Matthias Kolb)

Junge Menschen ernst nehmen

Die Jubiläumsschau "20 Years - An Anniversary Show" hat was von einem Überraschungsei. Die KünstlerInnen, die mit den Wentrups arbeiten, konnten sich selbst einen Partner oder Partnerin wählen. So entstehen medienübergreifend unerwartete Mischungen und neue Perspektiven. Dabei gab es Paarungen, die sie verblüfft hätten, erzählt Jan Wentrup. "Karl Haendel hat beispielsweise unseren Sohn gefragt, ob er etwas über sein Werk schreibt." Tina Wentrup fügt hinzu, dass die beiden eine enge Beziehung miteinander hätten, da Karl junge Menschen und ihre Meinungen eben sehr ernst nähme.

Dass im immer schnelleren Kunstmarkt zunehmend weniger Gespräche geführt werden, bedauert sie. Die enge Verbindung der KünstlerInnen untereinander ist Programm: Zum Jubiläum kamen trotz Regen und Kälte die KünstlerInnen, Teammitarbeitenden und zahlreiche Wegbegleiter. Bei Fritten, Bier und Wein wurde gefeiert und viel geredet.

Hübsch bunt kommen die Teppichcollagen von Nevin Aladağ daher, dabei geht es ihr um unterschiedliche kulturelle Identitäten.

Hübsch bunt kommen die Teppichcollagen von Nevin Aladağ daher, dabei geht es ihr um unterschiedliche kulturelle Identitäten.

(Foto: Trevor Good)

In der Galerie werden oftmals sozialkritische, politische Arbeiten gezeigt. So wie die Teppichkollagen der Bildhauerin Nevin Aladağ, einer Künstlerin der Galerie, die vordergründig hübsch farbig daherkommen. Dabei hinterfragt sie mit ihrem Ornamenten-Mix komplexe Themen nach Identität und kultureller Gemeinschaft. "Nico Anklam, ein Kurator, mit dem wir viel gearbeitet haben," so Tina Wentrup, "hat gesagt, es müsse machbar sein, jemandem, der überhaupt nichts von Kunst verstehe, eine Arbeit näherzubringen, ebenso wie einem Hochschulprofessor. Man muss in der Lage sein, alle geforderten Register zu erfüllen." Das sei für sie ein guter Ansatz.

Ungewöhnliche Standorte

In seiner Heimatstadt Münster hatte Jan Wentrup Kunstgeschichte studiert, "ohne zu wissen, was man damit anfangen könnte", erzählt er. "Nach wie vor beschäftige ich mich mit der theoretisch kunstgeschichtlichen Ebene, aber die Auseinandersetzung mit Kunst im persönlichen Dialog ist mir lieber." Eigentlich habe er nach New York gehen wollen, um dort seinen Doktor zu machen, was aber aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert habe. Berlin sah er dann als einzige Alternative. Mit dem Gedanken, eine eigene Galerie zu führen, hatte er schon im Studium gespielt.

Vor zwanzig Jahren war Berlin so was wie das Zentrum der zeitgenössischen Kunst, erinnert sich der Galerist. "Es war kein Problem, ein Atelier zu finden und zeitgenössische Kunst zu produzieren, dementsprechend sind internationale SammlerInnen hierhergekommen." Sein erster Galeriestandort war in einem alten Pferdestall, den er selbst umgebaut hatte, und ein echter Ein-Mann-Betrieb, lacht er. "Als die ersten Leute aus dem Grunewald in die Choriner Straße kamen, sagten sie, dass sie noch nie so weit im Osten gewesen seien. Da war die Mauer bereits 15 Jahre gefallen."

Augenzwinkernd lädt das Paar mit diesem gut 15 Jahre alten Foto zur Jubiläums-Ausstellung, auch weil "die Galerie eng mit unserer Person verwoben ist".

Augenzwinkernd lädt das Paar mit diesem gut 15 Jahre alten Foto zur Jubiläums-Ausstellung, auch weil "die Galerie eng mit unserer Person verwoben ist".

(Foto: privat)

Tina Wentrup kommt ebenfalls aus Münster und hatte in Köln, Paris und Berlin Germanistik, Französisch, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert. "In Berlin habe ich unter anderem für die Französische Botschaft, das Bureau du Théâtre et la Danse, die Schaubühne und Sasha Waltz gearbeitet", erzählt sie. "Als Jan und ich uns zufällig wiedertrafen und besser kennenlernten, bin ich zunehmend von Galerien für Messen angeheuert worden, weil ich Französisch sprach. Ich fand die Bildende Kunst spannend, auch, weil es eine sehr offene Welt ist, ganz im Gegensatz zum Theater, wo man eng, fast hermetisch, miteinander arbeitet."

Andere Größenordnungen

Fünf Jahre später entschließen die beiden sich, die Galerie als gleichberechtigte Partner zu führen und weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, dass sie für ihre KünstlerInnen Galerien im Ausland aktiv ansprechen. Grundsätzlich sei es für alle Kunstschaffenden wichtig, Galerien verschiedener Größenordnung sowie Nationalitäten zu haben, um gemeinsam Strategien sowie Konzepte zu entwickeln. Das Netzwerk, das sich so öffne, ist sehr wertvoll, KünstlerInnen werden international stärker vertreten und anders wahrgenommen.

Den Pferdestall haben sie inzwischen gegen eine alte Poststation getauscht. Alles ist im Wandel und Galerien sind nicht mehr die einzig mögliche Verkaufsplattform. Künstler nutzen beispielsweise Instagram, um ihre Werke selbst zu vermarkten. Inwieweit ist Galeriearbeit dann noch wichtig? "Man wird immer einen Ort brauchen, um Kunst live zu erfahren. Wenn etwas auf Instagram gut aussieht oder wirkt, heißt es nicht, dass das in der Realität eingelöst wird", ist sich Tina Wentrup sicher, denn eine Galerie leiste wichtige Vermittlungsarbeit. "Die langfristige Platzierung in Sammlungen ist ebenso wichtig, wie ein nachhaltiger strategischer Aufbau", ergänzt Jan Wentrup.

Die Dependance in Venedig ist ein Kontrapunkt zum sonst so hektischen Galerie-Geschäft.

Die Dependance in Venedig ist ein Kontrapunkt zum sonst so hektischen Galerie-Geschäft.

(Foto: Matthias Kolb)

"Wir handeln hier nicht mit Uhren"

In Bezug auf Trends hat sich der Kunstmarkt teilweise der Modeindustrie sehr angeglichen. "Das ist eine seltsame Entwicklung auf dem Markt. Es gibt Ups and Downs, die immer höhere Ausschläge haben, auch preislich. Dabei gerät für mich der Mensch zunehmend ins Hintertreffen", so Tina Wentrup. KünstlerInnen dürfen nicht objektifiziert werden. "Wir handeln hier nicht mit Autos oder Uhren, wir arbeiten mit Menschen, mit denen man liebevoll umgehen muss."

Dieser immer atemloser werdenden Welt setzen sie bewusst Entschleunigung entgegen. Im April eröffneten sie in Venedig ihren zweiten Galeriestandort. Einen zweiten Standort zu haben, klingt nicht gerade nach gedrosseltem Tempo, warum also auch noch Venedig? "Wir schwimmen so ungern mit dem Strom. Es gibt diesen einen Hauptfluss in Venedig, wo sich alle tummeln," so Jan Wentrup, "aber im Nebenarm, den wir beschwimmen, ist es viel luftiger." Dort haben die Galeristen im weniger touristischen Stadtteil Cannaregio ein ehemaliges Modeatelier gefunden, eigener Bootsanleger inklusive. Was nicht ungewöhnlich ist, denn so gut wie alles muss in Venedig per Boot transportiert werden - auch Kunstwerke. Das verlangsamt das Leben, wenngleich es den Kunsthandel etwas erschwert. Aber das nimmt man in Venedig gern in Kauf.

Bereit zur "Großen Überfahrt" durch die Lagune? Die Segel sind aus schwarzen Magnetbändern gewoben.

Bereit zur "Großen Überfahrt" durch die Lagune? Die Segel sind aus schwarzen Magnetbändern gewoben.

(Foto: Studio Gregor Hildebrandt)

"In Ballungszentren ist für echte Auseinandersetzung kein Platz. Die Leute rauschen ein, zwei Tage rein und wieder raus" so Tina Wentrup. "Nach Venedig kannst du immer reisen, hier nimmt man sich die Zeit." Das Licht, das Wasser, alles hat eine besondere Wirkung und macht einen Teil der Magie aus. Die Wentrups können hier zudem außergewöhnliche Projekte verwirklichen. So wie gerade eine Segelaktion mit ihrem Künstler Gregor Hildebrandt, der aus schwarzen Magnetbändern ein Segel gewoben hat. Und während die einen Kunstinteressierten mit dem Künstler auf dem Schiff um die Inseln Venedigs segeln können, haben die anderen Zeit für die von den Wentrups so geschätzten, guten Gespräche.

"An Anniversary Show" bis zum 16. November, Galerie Wentrup, Knesebeckstraße 95, 10623 Berlin

Für interessierte Biennale-Touristen: "Stern und die schwärzliche Fahrt", bis zum 19. Oktober, Calle della Testa, 6359 Cannaregio, 30121 Venezia

Quelle: ntv.de

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