"Wind peitschte die Flammen an" Ganzer Wohnkomplex in Essen ausgebrannt
21.02.2022, 13:25 Uhr
Es geht unfassbar schnell: Innerhalb kürzester Zeit steht in Essen ein Komplex mit Dutzenden Wohnungen in Flammen - angefacht durch Windböen von Sturm "Antonia". Wie durch ein Wunder stirbt niemand. Nun gibt es erste Erkenntnisse über den Ausbruchsherd des Feuers.
Einen solchen Brand hat die Essener Feuerwehr noch nicht erlebt: Ein riesiger Wohnkomplex stand am frühen Morgen plötzlich in Flammen. Durch großes Glück und das schnelle Eingreifen von Rettungskräften und Nachbarn kam niemand ums Leben. Drei Verletzte wurden mit Rauchvergiftung in ein Krankenhaus eingeliefert, 39 Wohnungen brannten binnen kürzester Zeit aus. Auch am Mittag gab es noch einzelne Brandnester.
Dass niemand gestorben sei, sei "bei diesem Feuer von diesem Ausmaß nicht selbstverständlich", sagte Oberbürgermeister Thomas Kufen. Er sei sehr stolz darauf, dass es nur wenige Verletzte gab -"dank des Einsatzes der Nachbarinnen und Nachbarn, aber auch der Einsatzkräfte unserer Feuerwehren und des Rettungsdienstes".
Die Stadtverwaltung kümmere sich jetzt um die Unterbringung der Menschen, die nicht wieder zurück in ihre Wohnungen können. "Eine Bürgerhotline ist geschaltet und ein Spendenkonto wird gerade eingerichtet, weil ich weiß, dass die Essenerinnen und Essener in dieser Situation zusammenhalten und eine große Hilfsbereitschaft zeigen." In der Nähe des Brandortes hatte Kufen zuvor eine Sammelstelle besucht, in der rund 180 Bewohnerinnen und Bewohner des Brandhauses und umliegender evakuierter Gebäude betreut wurden. Dort sei die Stimmung "sehr gedrückt" gewesen, sagte der Oberbürgermeister.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst äußerte sich erschüttert über den Brand. "Die Nachrichten aus Essen sind erschütternd", schrieb der Regierungschef auf Twitter. "Viele Menschen haben über Nacht ihre Wohnung, Hab und Gut verloren. Ich habe mich bei OB @TKufen in einem Telefonat über die Lage informiert. Mein großer Dank gilt den Einsatzkräften vor Ort, die noch immer gegen das Feuer kämpfen."
Polizei will bald Ermittlungen aufnehmen
Der Brand hatte sich in der Nacht Windeseile ausgebreitet. Die Feuerwehr war mit 150 Einsatzkräften vor Ort. Die Löscharbeiten gestalteten sich mühsam. "Das ist sehr schwierig und teilweise gefährlich für die Einsatzkräfte momentan, da in jede Wohnung reinzugehen", hieß es. Wegen der Löscharbeiten kam es auch zu Behinderungen im Berufsverkehr.
Das Feuer breitete sich offenbar von einem Balkon aus. Wie die Feuerwehrmitteilte, sorgte das in der Nacht wütende Sturmtief "Antonia" offensichtlich dafür, dass sich das Feuer dann rasend schnell über die im Wind liegende Fassade und Balkone ausdehnte. Das Gebäude mit einer Fassadenlänge von etwa 65 Metern mit viereinhalb Geschossen sei mit einer Wärmedämmverbundfassade ausgestattet.
Dies deckt sich mit der Einschätzung eines Experten, dass sich das Feuer über den Außenbereich des Gebäudes, möglicherweise über eine Fassadendämmung, ausgebreitet haben könnte. "Natürlich kann man das als Außenstehender nicht mit letzter Sicherheit sagen, aber wenn ich mir die ersten öffentlich zugänglichen Bilder und eine kurze Filmsequenz anschaue, dann sieht es zunächst so aus, dass sich das Feuer über die Fassade verbreitet hat", sagte der Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands und Sachverständige für vorbeugenden Brandschutz, Frank Hachemer. "Und der Putz brennt eher nicht."
Das Thema Fassadendämmung sei seit Jahren in der Diskussion. "Da gibt es brennbare und nicht brennbare Dämmungen. Mineralwolle zum Beispiel ist nicht brennbar, hat aber zum Beispiel den Nachteil, dass sie ihre Dämmwirkung verliert, wenn sie nass wird." Um einer Ausbreitung über die Fassadendämmung vorzubeugen, müssten nach aktuellen Vorschriften waagerechte Fassadenriegel in der Dämmung angebracht werden. Sie sollen verhindern, dass ein Brand von unten nach oben weiterwandere.
Anwohner: "Das ist ernster"
Der 35 Jahre alte Lennart Diedrich war als direkter Anwohner einer der ersten Augenzeugen des Feuers. "So um zwei Uhr war's, als ich ins Bett gehen wollte und so die letzten Lichter ausgemacht habe und draußen 'Feuer! Feuer!' geschrien wurde", berichtet Diedrich. "Und dann hab ich aus dem Fenster geschaut, und da kam da, wo die Jalousien so auf halbmast hängen, Rauch raus. Da hab ich gesagt: Ok, das ist ernster."
Er versuchte, die Feuerwehr zu rufen, zog sich an und rannte raus. "Dann kamen schon von der ganzen anderen Gebäudeseite Flammen hochgelodert. Es glich einem Inferno. Der Wind peitschte die Flammen an - Funken." Kurz darauf traf der erste Feuerwehrwagen ein. Die Feuerwehrleute liefen ins Haus und riefen dann: 'Wir brauchen mal Hilfe!'"
Diedrich folgte dem Aufruf zusammen mit zwei anderen Personen. "Dann sind wir hochgelaufen in dem Treppenhaus da, zu dritt. Und da war ein Rollstuhlfahrer, der den Fahrstuhl natürlich nicht mehr benutzen konnte und nicht runtergekommen ist. Da haben wir den zu dritt runtergetragen. Zwei hinten, ich hab vorne angepackt, haben ihn runtergetragen. Dann kam die Polizei, und es wurde alles evakuiert." Es sei dann unheimlich schnell gegangen. "Innerhalb von 20 Minuten stand das ganze Haus komplett in Flammen. Man hat das Gefühl, das ist ein Feuer-Inferno, in dem man sich hier befindet."
Quelle: ntv.de, ghö/dpa