Hebamme und Bestatterin "Geborenwerden und Sterben verbindet uns alle"


Ellen Matzdorf spürte, dass sie einen helfenden Beruf wollte und fand gleich mehrere.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ellen Matzdorf hat zwei Berufe, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen könnten. Denn sie ist Hebamme und Bestatterin. Für die 61-Jährige ist diese Verbindung jedoch ebenso folgerichtig wie naheliegend. Denn Anfang und Ende des Lebens glichen sich "auf erstaunliche Weise".
Wer im niedersächsischen Oldenburg eine Hebamme sucht, landet vielleicht bei Ellen Matzdorf. Und wer ein Bestattungsunternehmen sucht, auch. Für die 61-Jährige ist daran nichts Verwunderliches oder gar Widersprüchliches. "Beide Berufe haben gemeinsam, dass sie die elementarsten Momente eines Menschen begleiten, den Lebensbeginn und das Lebensende", erzählt sie ntv.de.
"Das Geborenwerden und Sterben verbindet uns alle. Was dazwischen ist, das ist für alle Menschen unterschiedlich." Über ihr eigenes Dazwischen, das zu der Berufskombination Hebamme/ Bestatterin führte, hat Matzdorf das Buch "Vom ersten bis zum letzten Atemzug" geschrieben, das gerade erschienen ist.
Darin schildert sie ihren eigenen Weg aus schwierigen Familienverhältnissen, das Schicksal eines Mädchens, das Teile seiner Kindheit im Heim verbringt, später Jura, Politik und Germanistik studiert. Ihre berufliche Bestimmung findet Matzdorf aber erst nach der Geburt ihrer Tochter und der Erkenntnis, dass sie Menschen helfen möchte. Auf dem Fahrrad hat sie die Idee, Hebamme zu werden. Bald darauf beginnt schon die Ausbildung, acht Wochen nach deren Beginn ist sie im Kreißsaal und sicher, ihren Beruf gefunden zu haben. Am Ende der Ausbildung steht die Gewissheit, sie will als Hebamme arbeiten, aber nicht in der Klinik.
"Es gibt ohnehin keine Wahl"
Seit mehr als 30 Jahren begleitet sie inzwischen Geburten, als Beleghebamme in Krankenhäusern, im Geburtshaus und in den Wohnungen der Familien. "Für mich wäre die beste Variante, dass Frauen in der Schwangerschaft ausschließlich durch Hebammen betreut werden", sagt sie überzeugt. "Diese ganze hochtechnisierte Geburtsmedizin brauchen wir nur in Situationen, wo wir wissen, die Frau ist nicht stabil in der Schwangerschaft."
Matzdorf ist überzeugte Selbstbestimmerin, nicht nur, was ihr eigenes Leben angeht, sondern auch das der Menschen, die sich ihr anvertrauen. "Jede Frau weiß von Natur aus, wie gebären geht. Und jeder Mensch kann auch mit dem Tod umgehen - es gibt ja ohnehin keine Wahl", schreibt sie in ihrem Buch.
"Ich habe Geburten begleitet und begleiten müssen, wo klar war, die Kinder werden nicht überleben oder sie leben schon nicht mehr, wenn die Geburt beginnt. Und mein Bestreben war es immer, trotzdem eine gute Geburt zu begleiten." Auf die Anstrengung und Erschöpfung folgten in diesen Situationen Traurigkeit und Verlustschmerz und vor allem ein technisierter, kalter Ablauf, der den Müttern und Familien kaum Zeit und Raum ließ, zu trauern oder den Verlust auch nur zu begreifen. Sie erlebt, dass die intensive Begleitung in diesen Fällen abrupt abbricht. "Das war der Impuls, dass ich gedacht habe, das muss doch anders gehen."
So wird die Hebamme auch noch Bestatterin und kann nun sagen: "Ich begleite dich durch die Zeit, damit du einen Weg findest, den du gehen kannst. Du kannst dein Kind so oft sehen, wie du möchtest. Wir können es auch noch mal nach Hause bringen." Viele trauten sich nicht, eine Frau, deren Kind gerade gestorben ist, zu fragen: Was brauchst du jetzt, was ist wichtig für dich? Stattdessen versteckten sie sich hinter Formalien und Aktionismus. "Aber die Erfahrung zeigt mir, dass die Frauen und Familien, die diesen Weg ganz bewusst und gemeinsam gehen konnten, mit dem Verlust des Kindes besser zurechtkommen. Weil alles so gemacht worden ist, wie sie das gewünscht haben und sie die Zeit zwischen Sterben und Beisetzen einfach noch so gut genutzt haben, wie es auch nur irgendwie geht."
Nicht nur entweder oder
Immer wieder erlebte Matzdorf, dass Frauen ihr totgeborenes Kind zunächst kaum ansehen oder halten wollen. "Wenn ich dann keine weiteren Versuche mache, noch mal hinzuhören, sondern das Kind in den Sarg lege und möglichst schnell entweder ins Krematorium oder ins Grab bringe, dann verpasse ich diesen Moment, in dem eine Frau möglicherweise ihre Meinung ändert." Also hält die Oldenburgerin die Tür offen. "Und dann erlebe ich bei sehr vielen Frauen, dass sie es doch eigentlich möchten und sich nur nicht trauen und schließlich dankbar sind darüber, dass sie es gemacht haben."
Zu Beginn habe sie geglaubt, sie müsse mit der Geburtshilfe oder der Hebammenarbeit aufhören, um Bestattungen zu machen. "Und dann habe ich irgendwann gemerkt, ich muss mich da überhaupt nicht entscheiden. Ich kann beides machen." Inzwischen pendelt sie selbstverständlich zwischen der Betreuung Schwangerer und Gebärender und der Begleitung von Verstorbenen und ihren Angehörigen. Mit ihrem blauen Leichenwagen fährt sie zur Nachsorge nach Geburten, manche Schwangere kommt zur Vorsorge in das Bestattungshaus.
Ellen Matzdorf hat in ihren beiden Berufen die Erfahrung gemacht, dass sich Anfang und Ende des Lebens auf erstaunliche Weise gleichen. "Es sind Momente, in denen die Zeit stillzustehen scheint", schreibt sie. Und es sind die beiden Momente, die für alle gleich sind, sagt sie. "Wir erinnern uns nicht mehr daran, wie es war, bevor wir uns auf den Weg in die Welt gemacht haben. Und beim Sterben wissen wir nicht, wie es geht, weil wir es nicht gelernt oder geübt haben."
Sie selbst hat das Sterben ihres Bruders begleitet, der an ALS erkrankt war und glaubt, dass man sich seiner Todesangst annähern kann. Man könne ein Loch in die Erde graben, ein Krematorium besuchen oder seine Beisetzung planen. Oder der Angst eine "reinhauen". Nur die Selbstbestimmung ist ihr wichtig, vor allem in diesen einschneidenden Momenten im Leben. Wenn nach dem Tod einfach nichts käme, wäre es für Matzdorf jedenfalls in Ordnung.
Quelle: ntv.de