Infektiologin bei ntv zu Omikron "Geschwindigkeit ist ein relevanter Faktor"
23.12.2021, 14:28 Uhr
Infektiologin und Virologin Jana Schroeder im Gespräch mit ntv-Moderatorin Vivian Bahlmann
Vieles ist unklar, außer, dass sie kommt - die Omikron-Variante des Coronavirus. Darüber hinaus deuten erste Studien auf eine rasante Verbreitung, aber mildere Verläufe hin. Infektiologin Jana Schroeder schildert bei ntv den Forschungsstand und rät zur Vorsicht an Weihnachten.
ntv: Was wissen wir aktuell über die Omikron-Variante?
Jana Schroeder: Diese Variante kann den Immunschutz ein Stück weit umgehen. Die dritte Impfung schützt aller Wahrscheinlichkeit nach noch vor einem schweren Verlauf. Aber - und da muss man sagen: je nach Studie - es sinkt nach einer gewissen Zeit nach der dritten Impfung der Schutz vor Ansteckung. Wir sehen auch ein grundsätzlich leichteres Ansteckungspotenzial bei dieser Variante: Die hat eine Verdopplungszeit von zwei bis vier Tagen und das ist wahnsinnig schnell, wenn man sich das im Verhältnis zu anderen Varianten, die wir bisher hatten, anschaut. Sie hat vermutlich auch eine etwas kürzere Inkubationszeit. Und jetzt zu einem ganz relevanten Faktor, zu dem jetzt ganz neue Daten herausgekommen sind: Es scheint so zu sein, dass es auf Individualebene leichtere Verläufe gibt, insbesondere bei den jüngeren Altersgruppen. Das sind zunächst mal ganz gute Nachrichten. Das Problem dabei ist, und das ist die zweite Ebene, dass auf gesamtgesellschaftlicher Ebene dieser Effekt aufgehoben werden kann, durch hohe Infektionszahlen. England hatte ja gestern 100.000 Neuinfektionen und das ergibt dann gesamtgesellschaftlich, wenn einfach viele Leute gleichzeitig krank sind, schon ein Problem.
Der designierte CDU-Chef Friedrich Merz sagt, dass die neuen Kontaktbeschränkungen nach Weihnachten ausreichen. Würden Sie da Merz zustimmen?
Wir müssen uns da nichts vormachen. Wenn jetzt nicht Weihnachten wäre, dann würden wir diese Maßnahmen schon eher einführen. Geschwindigkeit ist ein ganz relevanter Faktor, insbesondere bei dieser schnellen Verdopplungszeit, die wir hier sehen. Aber jetzt ist es nun mal schon Weihnachten und man kann schon noch einige Dinge tun, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Aber das sollte man auch nutzen. Da ist zum Beispiel ein Faktor, dreifach geimpft zu sein und vorher schon die Kontakte reduziert zu haben. Und man kann aber auch ganz konkret an Weihnachten noch was tun. Wichtig ist, dass man auf kleine Gruppen achtet und dass man gut lüftet; auch die Toilette darf man da nicht vergessen. Das hat man zum Beispiel bei der Fußball-WM gesehen, dass es eben in kleinen Räumen durchaus zu Ansteckungen kam. Dass man auch vorher möglichst testet, auch mit dem Wissen, dass diese Tests keine hundertprozentige Sicherheit liefern, aber dass es einen gewissen Schutz bietet. Wichtig ist auch, auf Symptome zu achten, also auch Schnupfen. Jedes Anzeichen auf Erkältung kann da ein Hinweis sein.
Bremen hat die höchste Impfquote in Deutschland, meldet heute aber so hohe Infektionszahlen wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Auch im Ausland sieht man dieses Muster. Wie kann das sein?
Man muss sagen, dass die Impfung einfach sehr wichtig ist, eines der wichtigsten Instrumente der Pandemiebekämpfung, aber als alleinige Maßnahme reicht das eben nicht aus. Es müssen alle Maßnahmen ineinandergreifen und dann können auch diese Inzidenzen gesenkt werden. Was ein gutes Beispiel wäre für schnelles Handeln in der Pandemie, wenn man mal in andere Länder guckt, wäre Israel. Die haben die Delta-Variante sehr gut und schnell in den Griff gekriegt durch schnelles Boostern. Da sind auch viele Freiheiten dann geschaffen worden und sie haben jetzt aktuell auch die vierte Impfung für die über 60-Jährigen angeboten, auch für das medizinische Personal. Die sind immer First Mover: Da muss man genau gucken, was die machen und was man sich davon abgucken kann. Das ist ein Beispiel für schnelles Pandemiehandeln, wodurch Inzidenzen niedrig gehalten werden können.
Ganz konkret: Was hat Israel da gut gemacht?
Israel hat einfach immer sehr schnell gehandelt. Die haben schnell die dritte Impfung eingeführt und starten jetzt auch als Erste weltweit mit der vierten Impfung. Das ist sicherlich etwas, was man als Beispiel gut nehmen kann für uns. Man muss das nicht direkt nachmachen, letztendlich sind wir ja immer noch bei der dritten Impfung. Aber man kann sich das eben gut angucken. Natürlich muss man auch sagen, dass Israel ein sehr kleines Land ist. Die haben neun Millionen Einwohner und ein ganz anders strukturiertes Gesundheitssystem, da kann man auch schnell Daten raus generieren.
Die WHO geht davon aus, dass die akute Phase der Pandemie beendet sein könnte, wenn 40 Prozent der Weltbevölkerung geimpft wäre.
Es gibt ja einen Spruch in der Pandemie: "No one is safe until everyone is safe." Und das ist sicherlich auch ein ganz relevanter Punkt. In Ländern mit geringer Impfquote und hohem Infektionsgeschehen haben wir bis jetzt immer wahrgenommen, wie sich dort Varianten entwickeln können. Und das ist ja etwas, was auch für unseren Schutz hier relevant ist.
Mit Jana Schroeder sprach Vivian Bahlmann
Quelle: ntv.de