Panorama

Ohrfeige als "väterliche Geste" Gewalt in der Erziehung ist in Frankreich weitverbreitet

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Der französische Premier Bayrou wurde in Bezug auf Gewaltvorwürfe an einer katholischen Schule befragt.

Der französische Premier Bayrou wurde in Bezug auf Gewaltvorwürfe an einer katholischen Schule befragt.

(Foto: picture alliance / Hans Lucas)

Im Kontext des Missbrauchsskandals an einer katholischen Schule in Frankreich ist das Thema Gewalt gegen Kinder wieder in die Öffentlichkeit gerückt. Schmerzhafte Methoden sind laut einer Umfrage teilweise sehr verbreitet in der Erziehung. Für Aufregung sorgt eine Aussage von Premierminister François Bayrou.

In Frankreich ist das Schlagen von Kindern erst seit sechs Jahren verboten. Der Missbrauchsskandal an der katholischen Schule in Bétharram hat deutlich gemacht, wie sehr Gewalt weithin als Erziehungsmethode anerkannt war - und es teilweise noch ist, in Familien wie in Schulen. Die Bildungsministerin Elisabeth Borne soll sich in einem Untersuchungsausschuss dazu äußern.

"Es gibt Fortschritte, aber Strafen und Erniedrigungen zu erzieherischen Zwecken sind weiterhin sehr präsent", sagt Joëlle Sicamois, Leiterin einer Stiftung für die Kindheit. Einer Umfrage zufolge hatten 2024 knapp ein Viertel der befragten Eltern ihrem Kind in der Woche vor der Befragung einen Klaps gegeben. Ein Fünftel gab an, ihr Kind geschubst oder gestoßen zu haben. Etwa 16 Prozent bekannten sich zu Ohrfeigen.

"Leider werden Methoden, die durch Angst, Schmerz oder Zwang Gehorsam erzwingen, allzu oft verharmlost", sagt der Arzt Gilles Lazimi, Vorsitzender einer Organisation für gewaltfreie Erziehung.

Premier zum Missbrauchsskandal

Ein jüngeres Beispiel dafür war die Anhörung von Premierminister François Bayrou vergangene Woche zu dem Missbrauchsskandal. Dort bezeichnete er eine Ohrfeige als eine "väterliche Geste". Die fragliche Maulschelle hatte er selbst ausgeteilt, und zwar im Wahlkampf 2002, als ihn im Gedränge ein Elfjähriger bestehlen wollte.

"Es war keine Gewalt, bloß eine erzieherische Geste", sagte Bayrou, was den Ausschussvorsitzenden sichtlich irritierte. "Bayrou zeigt, dass er von der Kultur der Gewalt durchdrungen ist", sagte der Abgeordnete Paul Vannier.

Die Bayrou'sche Backpfeife war nur ein Randaspekt in der fünfeinhalb Stunden dauernden Anhörung zu den Gewaltvorwürfen gegen das Lehrpersonal der Bétharram-Schule, zu denen viele Ordensleute zählen. Am Ende blieb der Eindruck: Viele hatten von der körperlichen und sexuellen Gewalt gegen Schüler gewusst, die sich über Jahrzehnte hinzog - aber kaum jemand hatte versucht, dagegen vorzugehen.

Körperliche Gewalt lange nicht ausdrücklich verboten

Tatsächlich war körperliche Gewalt gegen Kinder in Frankreich lange nicht ausdrücklich verboten. Während Eltern und Lehrern in Deutschland die körperliche Züchtigung seit dem Jahr 2000 strafrechtlich untersagt ist, verabschiedete Frankreich erst 2019 ein entsprechendes Gesetz.

Es besagt: "Elterliche Autorität wird ohne körperliche oder psychische Gewalt ausgeübt." Bis heute halten allerdings 60 Prozent der Eltern dies für eine Einmischung des Staates in private Angelegenheiten.

In französischen Schulen sind Strafen wie Nachsitzen noch immer an der Tagesordnung. Aber es kommt auch immer wieder zu Gewalttaten. Im vergangenen Jahr hatte ein Video Empörung ausgelöst, das zeigte, wie eine Vorschullehrerin eine Dreijährige in ihrer Klasse zu Boden schlug. Erst vor wenigen Tagen berichtete eine Pariser Mutter, dass ihr Sohn auf einer katholischen Schule von einem Lehrer geschlagen worden sei. Anzeige wollte sie jedoch nicht erstatten - um dem Image der Schule nicht zu schaden.

Quelle: ntv.de, raf/AFP

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