Panorama

Gerechteres System schaffen "Erben zementiert Gesellschaft der Vergangenheit"

Es geht nicht in erster Linie um Omas Häuschen, sondern um die Diskrepanz zwischen deutlich größeren und deutlichen kleineren Erbschaften.

Es geht nicht in erster Linie um Omas Häuschen, sondern um die Diskrepanz zwischen deutlich größeren und deutlichen kleineren Erbschaften.

(Foto: picture alliance / photothek)

Manche erben Millionen, andere gar nichts. Ist das gerecht? Nein, sagt Yannick Haan. Dabei hat der Autor und Politiker selbst geerbt. Wie das zusammenpasst, warum es beim Erben nicht nur um Geld geht und wie von einem Grunderbe alle profitieren würden, erklärt Haan im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Herr Haan, Sie haben selbst geerbt. Wie viele Menschen in Deutschland können denn auf eine Erbschaft hoffen?

Yannick Haan: Genaue Zahlen gibt es leider nicht. Aber Schätzungen zufolge erbt ungefähr ein Drittel der Deutschen eine substanzielle Summe, also eine Summe, die wirklich einen Unterschied macht. Der Rest erbt gar nichts oder nur so wenig, dass es zu vernachlässigen ist.

Yannick Haan ist Publizist, Aktivist und Vorsitzender der SPD Berlin-Mitte.

Yannick Haan ist Publizist, Aktivist und Vorsitzender der SPD Berlin-Mitte.

Hat die Erbschaft bei Ihnen einen Unterschied gemacht?

Ja. Ich konnte mir zwei Wohnungen kaufen, das gab mir vor allem in der Krise große Sicherheit. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich mir schon vor der Erbschaft nicht ernsthaft Sorgen um meine finanzielle Lage machen musste. Ich bin privilegiert aufgewachsen, das ist mir durchaus bewusst. Aber das Erbe gab mir die Freiheit, mich Projekten zu widmen, die ich vorher womöglich nicht angegangen wäre - wie zum Beispiel mein Buch.

Nun lautet der Titel Ihres Buches "Enterbt uns doch endlich!". Wie passt das zusammen?

Durch mein Erbe habe ich angefangen, mich mit der Thematik zu beschäftigen. Die Erbschaftssummen werden in Deutschland immer größer. Jährlich werden knapp 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Der Fiskus profitiert davon nur mit etwa 11 Milliarden Euro. Denn die Erbschaftsteuer liegt aktuell bei nur durchschnittlich etwas über zwei Prozent. Mit Blick auf beispielsweise die Lohnsteuer erscheint das lächerlich wenig. Ich verstehe nicht, warum man bereit ist, bei Arbeit hohe Steuern zu zahlen, aber nicht bei Vermögen, für das man als Erbe nichts geleistet hat. Nirgendwo anders in Europa ist der Unterschied zwischen Besteuerung von Arbeit und Vermögen so hoch wie bei uns in Deutschland. Dafür fehlt aber das Bewusstsein. In der Debatte wird reflexartig Omas Häuschen herangezogen, das ihr angeblich weggenommen werden soll.

Das stimmt aber gar nicht?

Bei Vermögensungleichheit geht es eben nicht um Omas Häuschen, sondern um die großen Erbsummen. Wir haben heute ein Steuersystem, das ab zehn Millionen Euro regressiv wird. Das bedeutet: Wer mehr erbt, zahlt weniger Steuern. Vor allem bei den höchsten Erbschaften wird in der Regel null Prozent Steuern gezahlt. Ein Beispiel: Wenn man drei Wohnungen erbt, bezahlt man Erbschaftsteuer, wenn man allerdings 300 Wohnungen erbt, gilt es als Betriebsvermögen und man bezahlt nichts. Das ist alles andere als fair.

Wie kann man das System fairer gestalten?

Steuererhöhungen sind immer ein schwieriges Thema. Dennoch wäre es wichtig, gerade die hohen Erbschaftssummen zu besteuern. Dann könnte man ein sogenanntes Grunderbe einführen.

ANZEIGE
Enterbt uns doch endlich!: Wie das Erben meine Generation zerreißt
23
18,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Grunderbe?

Die Idee ist einfach: Mit 18 Jahren erbt jeder 20.000 Euro vom Staat. Das staatliche Erbe kann für das Studium, eine Ausbildung, Investitionen oder Ähnliches ausgegeben werden. Das Geld steht jedem, unabhängig von der finanziellen Situation der Eltern zur Verfügung. Die Reichsten der Gesellschaft, die in der Vergangenheit viel Vermögen anhäufen konnten, sollten einen Teil zurückgeben, um der nachfolgenden Generation Chancen zu ermöglichen. So könnte man das Prinzip des Erbens allen zugutekommen lassen, unabhängig von Herkunft, Bildung oder sozialem Status.

Wie sieht denn der durchschnittliche deutsche Erbe aus?

Der Prototyp des Durchschnittserben in Deutschland ist tatsächlich bezeichnend: Er ist männlich, weiß, meist selbstständig, hat ein höheres Alter und keinen Migrationshintergrund. Sieht so eine Gesellschaft aus, in der wir leben wollen? Mit Erben zementieren wir eine Gesellschaft der Vergangenheit. Denn Menschen mit Geld haben politischen Einfluss, eine Lobby. Sie können investieren und ihr Vermögen vermehren. Mit einem Grunderbe würde man allen diese Chance geben.

Das Gegenargument ist oft, dass solche Umverteilungsprinzipien - wie beispielsweise auch das bedingungslose Grundeinkommen - den Staat nur kosten und Faulheit fördern. Wäre es nicht besser, Möglichkeiten zu schaffen, dass es jeder aus eigener Kraft schaffen kann?

Wenn man sich die Zahlen und Statistiken anschaut, haben wir eine zubetonierte Gesellschaft. Die oberen und unteren zehn Prozent driften immer weiter auseinander. Finanzieller Aufstieg ist sehr schwer bis unmöglich. Das zeigt auch eine OECD-Studie zur sozialen Beweglichkeit. Deutschland ist im europaweiten Ranking mit Ungarn auf dem letzten Platz. Ganz wenige schaffen es tatsächlich aus eigener Kraft aus der Armut heraus, für die allermeisten bleibt finanzieller Wohlstand jedoch unerreichbar. Die Vermögens- und Chancenungleichheit wird auf lange Sicht unserer Demokratie schaden, wenn viel Geld und Macht nur auf wenige Menschen verteilt sind.

Das vererbte Vermögen ist aus dem von den Eltern erzielten Einkommen entstanden, das bereits versteuert wurde. Warum sollte der Staat da nochmal kräftig zulangen?

Wir haben ein Steuersystem, das mehrfach besteuert. Immer wenn es eine Transaktion gibt, gibt es auch wieder neue Steuern darauf. Ich bezahle Lohnsteuer und dann aber auch Mehrwertsteuer, wenn ich damit in den Supermarkt gehe. Bei Vermögen sollte das nicht anders sein.

Das meiste Geld steckt nun in Familienunternehmen. Diese Firmen will man gesondert schützen und auch nach einer Erbschaft den Weiterbetrieb sicherstellen, schließlich geht es um viele Arbeitsplätze. Geraten diese Unternehmen bei einer höheren Erbschaftsteuer in Gefahr?

Es gibt Untersuchungen, die klar sagen, dass eine Erbschaftsteuer auch auf Familienbetriebe keine großen Gefahren birgt. Sie wird schließlich auch nur einmal bei jedem Generationswechsel fällig. Man muss sich auch anschauen, was vererbt wird. Meist sind es Aktien, deren Besteuerung dem Unternehmen nicht schadet. Außerdem gibt es auch die Möglichkeit, die Steuern zu strecken, also über mehrere Jahre zu zahlen. Und man kann Ausnahmen definieren, sollten Arbeitsplätze wirklich gefährdet sein. Bislang tut sich auf politischer Ebene aber wenig.

Aber immerhin tut sich etwas: Immobilien werden ab nächstem Jahr beim Verschenken und Vererben deutlich höher bewertet. Viele Menschen fürchten, dass sie dann das Haus der Eltern verkaufen müssen, um die Erbschaftsteuer bezahlen zu können. Wie kann man diese auffangen?

Die Sorgen verstehe ich ehrlich gesagt nicht, denn wer im geerbten Haus wohnen bleibt, bezahlt auch 2023 weiterhin keine Steuern. Wer also die Immobilie selbst nutzt, ist von der Erbschaftsteuer komplett befreit. Diese kommt nur zum Tragen, wenn man das Haus oder die Wohnung vermietet und daraus auch Einnahmen erzielt. Und die Krisen der letzten Jahre haben ganz klar gezeigt: Wer Immobilien besitzt, zählt zu den Gewinnern der Gesellschaft.

Haben Sie ein schlechtes Gewissen, geerbt zu haben?

Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht. Der Staat sagt ja, das Erbe steht mir zu. Vorwürfe und Scham sind der falsche Weg. Man hat aber auch eine Verantwortung, damit gut umzugehen. Wenn man eh schon privilegiert aufwächst und dann noch zusätzlich eine Finanzspritze bekommt, sollte man es zumindest transparent machen und darüber reden. Man sollte überlegen, wie man etwas gesamtgesellschaftlich verändern kann und in die Debatte einsteigen, gerade für Menschen, die eben keine Stimme haben.

Mit Yannick Haan sprach Hedviga Nyarsik

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 25. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen