Dauerausstellung überarbeitetHaus der Geschichte zeigt neues Altes
Von Lauren Ramoser
Nach rund 30 Jahren hat das Haus der Geschichte in Bonn eine neue Dauerausstellung. Die Jahre seit dem Mauerfall werden erstmalig aufwändig kuratiert, alles von 1945 bis zur Wiedervereinigung komplett neu gedacht. Wie entscheidet man, was Geschichte ist?
Seit 1994 führte Besucher und Besucherinnen des Hauses der Geschichte in Bonn ihr Weg durch die deutsch-deutsche Geschichte vorbei an den Wehen der Nachkriegszeit, an einem sowjetischen Panzer, der den Widerstand des 17. Juni in der DDR niedergeschlagen hat, an einem Stein vom Mond, einem VW Bulli aus den 1970er Jahren und rund 7000 weiteren Objekten hin zur friedlichen Revolution 1989 und dann relativ schnell dem Ende der Ausstellung entgegen.
Das ist nun vorbei, denn die Stiftung Haus der Geschichte hat die riesige Dauerausstellung für rund 25 Millionen Euro neu konzipiert. Über ein Jahr wurde in dem lichtdurchfluteten Gebäude gearbeitet und noch viel länger hinter den Kulissen vorbereitet - und das, obwohl die alte Ausstellung nach wie vor gut ankam. Doch sie war zu alt, viele jüngere Gäste haben sich nicht mehr wiedergefunden.
Das soll das Konzept hinter dem neuen Titel "Du bist Teil der Geschichte" jetzt ändern. "Wir haben die Zeit ab 1990 immer wieder aktualisiert, aber um in eine historische Erzählung zu kommen, in den 90ern und auch den Nuller- und Zehnerjahren, brauchte es eine komplette Neugestaltung", sagt Dr. Simone Mergen, Direktorin Bildung und Besucherservice der Stiftung Haus der Geschichte, beim Rundgang mit ntv.de.
Welche jüngeren Ereignisse sind historisch relevant?
Obwohl der Zeitraum der ausgestellten Geschichte fast doppelt so lang ist wie zuvor, hat sich die Anzahl der gezeigten Objekte halbiert. Dafür kann das Team des Museums auf ein riesiges Archiv zurückgreifen. "Wir haben in der Sammlung insgesamt rund eine Million Objekte", sagt Mergen. "Da sieht man das Verhältnis zwischen Sammeln und Bewahren, was auch Teil unseres Auftrags ist." Durch die Reduzierung der Objekte wollte man den Fokus auf das Wesentliche legen und Besucher und Besucherinnen nicht überfordern. "Wir wollen Zeitgeschichte auch für Menschen erfahrbar machen, die wenig historisches Vorwissen haben", so die Expertin für Ausstellungsdidaktik.
In der neuen Dauerausstellung ist die Zeit von 1990 bis 2024 nun einer der fünf großen Bausteine. Für ein Geschichtsmuseum ein heikler Zeitraum, denn welche Ereignisse der vergangenen 35 Jahren auf lange Sicht von historischer Bedeutung sind, ist in vielen Fällen noch nicht zu sagen. "Eine Generation, also 30 Jahre, ist generell ein gängiger Abstand, nach dem Dinge vom kollektiven ins kulturelle Gedächtnis verlagert werden", erklärt die Historikerin. In diesem Fall musste das Ausstellungsteam deutlich schneller Entscheidungen treffen.
Und so findet sich nach dem riesigen Panorama mit einer Chronologie und Videos des Abends des Mauerfalls ein Gang durch die vergangenen Jahrzehnte. Fünf riesige Schiffscontainer beheimaten die Exponate zur globalisierten Welt, eine Amazon-Versandbox erklärt die Veränderungen im Handel und ein Baumhaus aus dem Hambacher Forst in NRW überblickt die Objekte der Ahrtalflut.
Der letzte Bereich blieb bis zuletzt noch frei. "Es war klar, dass wir den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine in die Ausstellung bringen, aber wir haben mehrfach Objekte verändert", erzählt Mergen. "Uns war auch wichtig, nicht nur das Ereignis Krieg in der Ukraine, Krieg wieder in Europa darzustellen, sondern es auch wieder in den übergeordneten demokratiegeschichtlichen Kontext zu stellen." Zudem sei die Suche nach Exponaten schwierig gewesen. "Wir haben ziemlich lange gesucht, um ein Stück Nordstream-Rohr zu bekommen", sagt die Historikerin. Jetzt bildet der große Querschnitt des Rohrs das bisherige Ende der Ausstellung, bevor es in den Bereich "Heute" geht.
Von "Swiftkirchen" bis zu Lehmanns Spickzettel
Dort sind Besucher aufgerufen, aktuelle Objekte vorzuschlagen, die das Haus in seine Sammlung aufnehmen sollte. In den vergangenen Monaten ist das für ein Taylor-Swift-Konzert umgestaltete Ortsschild "Swiftkirchen" aus Gelsenkirchen und Jens Lehmanns Spickzettel aus dem WM-Viertelfinale 2006 gegen Argentinien (Deutschland gewinnt nach Elfmeterschießen 5:3) hinzugekommen.
Die Sammlung des Hauses wächst stetig weiter. "Wir haben wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die für unterschiedliche Objektgattungen verantwortlich sind, etwa Druckgrafik oder Kleidung", sagt Mergen. In ihren Kategorien haben sie einen guten Überblick über den Bestand des Hauses und welche Objekte aktuell angeboten werden. "Herrenmode aus den Siebzigern ist ein schwieriges Thema", so die Historikerin. Die Kollegin habe ein Auge auf Textilien aus dieser Zeit, die die Sammlung des Museums erweitern könnten. Solche Objekte zu bekommen, "braucht eine gute Mischung aus Trüffelschwein, Behutsamkeit und Sensibilität, denn das ist viel Beziehungsarbeit, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die uns Objekte zur Verfügung stellen", sagt Mergen.
Objekte müssen die Geschichte erzählen
Aktuell läuft ein Sammlungsaufruf für Objekte, die die Geschichte homosexueller und queerer Menschen sichtbar machen. Wie für alle Gegenstände gelten auch hier die drei Leitkriterien für die Sammlung des Hauses: Sie müssen typisch für die Zeit oder absolut einmalig sein und eine besondere Aussagekraft haben, um die Zeit auch Jahrzehnte später noch erklären zu können.
Diese Kriterien erfüllt das Ultraleichtflugzeug, das an der Decke des Museums hängt. Den Ausstellungsteil der DDR hinter sich lassen, zeigt die Nase des Flugzeugs auf die Zeit nach dem Mauerfall. "Ich finde das Fluchtflugzeug der drei Brüder Bethke total beeindruckend, vor allem, weil wir damit so gut erzählen können, dass diese Flucht, die zwei Brüder aus dem West für ihren Bruder aus dem Osten organisiert hatten, ein abenteuerliches Unterfangen war", sagt Mergen. "Das Besondere ist, dass sie das im Mai 1989 machen, denn niemand hat im Mai 1989 damit gerechnet, dass ein halbes Jahr später die Mauer fallen wird." Um nicht abgeschossen zu werden, hatten sie rote Sterne auf das Ultraleichtflugzeug gemalt, damit es für eine sowjetische Maschine gehalten wird. Der abenteuerliche Plan gelingt, die drei Brüder landen sicher vor dem Reichstagsgebäude in Westberlin.
Debatten damals und heute
Die Ausstellung zeigt immer wieder, dass auch sehr aktuelle Debatten historisch relevant sind. So finden sich in unterschiedlichen Bereichen Einwanderungsgeschichten, etwa durch Videointerviews mit ehemaligen Gastarbeitern und deren Enkeln. Ein meterlanges Flüchtlingsboot zeigt den Weg vieler Geflüchteter in der jüngeren Vergangenheit.
Auch die Debatte um die Wehrpflicht ist nicht neu. Als jüngste Objekte finden sich Schilder einer Demonstration junger Menschen aus der Bonner Innenstadt aus diesem Herbst, vor 70 Jahren haben Politiker schon einmal über die Einführung der Wehrpflicht und die Gründung der Bundeswehr diskutiert, zu sehen ist das auf Videowänden in der Ausstellung.
Die komplette Neugestaltung der Ausstellung hat es ermöglicht, die DDR und Bundesrepublik historisch gleichwertig zu erzählen, nur durch eine rote Linie voneinander getrennt. Im Konzept der alten Ausstellung von 1994 lag der Mauerfall erst wenige Jahre zurück, eine historische Bewertung war herausfordernd. "Ich glaube die alte Ausstellung war insgesamt sehr stark mit der Bundesrepublik und Deutschland mit sich selbst beschäftigt", sagt Mergen. Jetzt zeigt ein Raum den Vergleich zweier großer Industriestädte - Wolfsburg und Eisenhüttenstadt, damals Stalinstadt. "Die Idee war, einen mikrohistorischen Tauchgang zu machen", sagt Mergen. "Hier geht es um die 50er Jahre, um Aufbau, Arbeit und die Wertevorstellungen der Menschen." So geben viele ausgewählte Objekte einen Einblick in das Leben der Menschen, die die Geschichte Deutschlands geschrieben haben.