Schweigen in Adamistan"Ich bin heute weniger besessen männlich"

Der britische Autor Adam Fletcher hat in einem Schweigeseminar seine geplagte Innenwelt entdeckt und darüber ein lesenswertes Buch geschrieben - besonders für Männer.
Den geheimnisvollsten Ort seines Lebens nennt Adam Fletcher "Adamistan": das innere Ich, die Psyche, der eigene Großspeicher, der Erinnerungen und Erlebnisse ablegt - manchmal verdreht und verzerrt. Es ist der Nährboden von Einbildungen und falschen Gewissheiten, die einen durchs Leben begleiten und in die Irre führen können. Betroffen ist die menschliche Identität, in Fletchers Fall die Vorstellungen als Mann von Zugehörigkeit, Verantwortung oder Unabhängigkeit. Dass er sich in Adamistan seinen Lebenslügen und Ängsten stellen konnte, verdankt er einer intensiven Meditation - die seine Freundin ohne Rücksprache organisiert hatte. Im neuen Buch "In der Ruhe liegt der Wahnsinn: Wie ich in einem 10-tägigen 'Schweige-Retreat' den Verstand verlor, aber mein Glück und alles andere fand" hat Adam Fletcher die Erfahrungen aufgeschrieben.
Adam, deine Freundin, die du im Buch Evelyn nennst, hat dich zu einer intensiven Meditation gezwungen. Warum?
Gezwungen zu sagen, wäre übertrieben. Als Brite fällt mir das Wort "nudge" ein. Wie sagt man auf Deutsch? Sie hat nachgeholfen und mich angestupst.
Wie kam sie darauf?
Unsere Beziehung steckte in einer schweren Krise, als wir an einer Pinnwand die Werbung für ein "Schweige-Retreat" entdeckten. Ich habe das damals weder so deutlich auf mich bezogen noch in derselben Weise ernst genommen wie meine Freundin. Eines Tages packte sie meine Reisetasche, rief mich nach Hause, als ich wieder absichtlich länger im Büro war, und sagte: Da gehst du jetzt hin!
Das wäre für andere ein Trennungsgrund.
Ich habe es als Herausforderung betrachtet, vor allem, als sie auch noch sagte: "Ich glaube nicht, dass du das schaffst!"
Also bedingungslose Liebe?
Ich gehe immer davon aus, dass es Evelyn gut mit mir meint. Der Wahnsinn hat uns stark gemacht.
Der "Wahnsinn" ist die Erfahrung: Ist es so schrecklich in Adamistan?
Ich habe gelernt, mich dort wohlzufühlen und mache mich auch heute noch manchmal auf den Weg. Im Retreat ging ich ihn zum ersten Mal, und das war sehr steinig und quälend. Fast möchte ich sagen, es war unbeschreiblich - hätte ich kein Buch darüber geschrieben. Nach ein paar Jahren Abstand wollte ich wissen, ob man es beschreiben kann. Auch, weil ich das Gefühl hatte, dass eine Botschaft für andere darin steckt.
Kannst du den anstrengenden Weg genauer beschreiben?
Meditation wird unmittelbar zum harten Kampf, wenn sie radikal und streng ist; wenn man jeden Tag um 4 Uhr morgens anfängt, kein Buch und selbstverständlich kein technisches Gerät bei sich hat und sogar den anderen nicht in die Augen schauen darf: Das Bewusstsein drängt sich als Fluchthelfer auf und versucht, einen abzulenken, so wie wir es im Alltag gewohnt sind. Überall gibt es Reize. Anders gesagt: Ich war überhaupt nicht in der Lage, nur mit mir zu sein. Ich wollte die ganze Zeit andere Gedanken fassen, statt alles von mir abzuschütteln, aktiv an gar nichts zu denken und nur in mich hinein zu horchen.
Was soll das bringen - und hervorbringen?
Alles! Alles, was uns irgendwie prägt und leitet. Nachdem ich am dritten Tag mit den Schmerzen klargekommen war, die in den Knochen und Muskeln steckten und tatsächlich unbeschreiblich sind, kamen auf einmal Erinnerungen hoch, die ich vergessen hatte. Ich saß im Schneidersitz, atmete superbewusst ein und aus - und traf dann meine Ex-Freundin, die mich vor 20 Jahren verlassen hatte. Der Liebesschmerz damals war heftig. Heute weiß ich, dass ich die falschen Lehren daraus gezogen und dadurch systematisch Gefühle verdrängt hatte. Als Mann hatte ich mich für unverletzlich gehalten. Es war eine Art Schutzstrategie, die mich vielleicht emotional widerstandsfähig machte, aber auch verhinderte, mich auf Gefühle wirklich einzulassen. Ohne die Meditation hätte ich das nicht erkannt.
Kamen Momente deiner Kindheit wieder hoch?
Ja, klar. Das Schöne ist für mich die Erkenntnis, dass ich ein unproblematisches, ich möchte behaupten, gesundes Verhältnis zu meinen Eltern habe. Sie haben mich wirklich geliebt, vielleicht wurde dadurch auch das große Vertrauen in meine Partnerinnen angelegt. Das Unschöne waren die Momente mit anderen, in denen ich meine Vorstellungen vom Mann-Sein und von Männlichkeit entwickelt haben muss. Der Grundtenor: Ich bin nicht genug, ich versage und fühle mich minderwertig. Im echten Leben passiert das schleichend. Die meditative Wiederkehr macht es zu einem Schock.
Beobachtet man sich meditierend von außen, also wie ein Fremder, oder erlebt man alles wirklich noch einmal, aus der Ich-Perspektive?
Ich weiß ja nicht, wie es anderen geht, und ob es mir schwerer fiel, die Ich-Perspektive einzunehmen, weil ich als Autor immer alles von außen beobachte. In den ersten Tagen fühlte ich mich wie ein Reisereporter in Richtung Adamistan. Das habe ich nach ungefähr drei Tagen überwunden.
Und was war an Tag vier?
Ich musste andauernd an Sex denken. Unwillkürlich. Krasser Sex. Ich war gewarnt worden, dass es passieren könnte, aber ich hätte niemals mit dieser Intensität gerechnet.
Hat Evelyn denn auch gelitten und das Schweige-Retreat besucht?
Sie hat genug gelitten. Das war schließlich die Ursache unserer großen Krise: Ein unerfüllter Kinderwunsch, mit den vielen Strapazen, die Paare in Kauf nehmen, und die Frauen besonders stark empfinden. Ich hatte das Ausmaß ihres Leidens nicht verstanden, und genau deshalb war ich nicht der Partner gewesen, der ich hätte sein sollen. Das Retreat hat mir geholfen.
Hatte deine Erfahrung positive Auswirkungen auf euren Wunsch?
Ich bin heute weniger besessen männlich, aber dafür viel glücklicher und viel fähiger und bereit, über meine Emotionen zu sprechen. Auf Englisch würde man von einem "Happy Ending" sprechen.
Welchen Namen hat "es"?
Im Buch nenne ich sie Runa. Sie ist heute vier Jahre alt.
Mit Adam Fletcher sprach Peter Littger.
