Virologe Streeck im Interview "Ich rechne nicht mit einem Jo-Jo-Effekt"
02.06.2021, 14:32 Uhr
Es geht wieder mehr in Deutschland. Doch welche Auswirkungen haben die Lockerungen auf die Infektionsdynamik?
(Foto: dpa)
Die Corona-Zahlen sinken, die Deutschen nehmen die Impfungen an, die Sonne scheint: Auch Virologe Hendrik Streeck rechnet mit einem ruhigen Sommer. Allerdings sollte sich mit Blick auf den Herbst niemand zu sicher sein: "Wir sollten vom Worst-Case-Szenario ausgehen", mahnt Streeck.
ntv: Viele Menschen freuen sich über Lockerungen, gleichzeitig gibt es aber auch die Sorge vor einem Jo-Jo-Effekt. Was ist Ihre Prognose für diesen Sommer?
Hendrik Streeck: Man kann damit rechnen, dass es sich so ähnlich verhält wie im letzten Jahr - dass die Zahlen runtergehen auf recht niedrige Werte. Wir hatten ja letztes Jahr zum Teil in den Sommermonaten eine Inzidenz von 10 oder sogar unter 10. Und zusätzlich tritt jetzt noch ein starker Impfeffekt ein, sodass man damit rechnen kann, dass der Sommer ruhiger wird. Das ist natürlich immer schwer vorherzusagen, aber mit einem Jo-Jo-Effekt rechne ich nicht.
Steht uns nach dem Sommer eine vierte Welle bevor?
Das ist wirklich ganz schwer vorherzusagen, aber ich denke, es ist wichtig, sich darauf vorzubereiten, dass wir eine vierte Welle haben könnten. Man kann wirklich nicht sagen, wie stark die Impfung auch vor einer Infektion in den Herbst- und Wintermonaten schützt. Vielleicht haben wir vermehrt asymptomatische oder milde Infektionen. Aber wir sollten einfach vom Worst-Case-Szenario ausgehen und damit rechnen, dass die Zahlen ansteigen, und uns über die Sommermonate darauf vorbereiten, dass wir nicht wieder mit einem Lockdown reagieren müssen.
Der Weg für Biontech-Impfungen ab 12 Jahren ist frei, eine generelle Empfehlung durch die STIKO gibt es allerdings nicht. Was raten Sie Kindern und ihren Eltern?
Das ist eine sehr schwierige Güterabwägung, die zum einen die STIKO machen muss, zum anderen aber auch die Eltern für ihre Kinder. Im Grunde haben die Studien gezeigt, dass der Impfstoff auch für Kinder und Jugendliche sicher ist. Aber Kinder und Jugendliche haben auch seltener eine Erkrankung, seltener eine schwere Erkrankung, und Todesfälle oder Long Covid kommen sehr, sehr selten vor und wenn, dann bei Vorerkrankungen. Wenn Kinder aber Vorerkrankungen haben, ist sicherlich eine Impfung anzuraten. Aber pauschal Kinder und Jugendliche zu impfen, sehe ich als schwierig an.
Am Montag wird die Impfpriorisierung aufgehoben. Genügend Impfstoff für alle gibt es aber nicht. Ist das der richtige Weg?
Das ist schwierig. Es wäre sicherlich richtig, wenn man die Impfpriorisierung aufheben würde, sobald wir genug Impfstoff haben. Deutschland hat wahnsinnig viel bestellt - über acht Dosen pro Bundesbürger. Die sind natürlich nicht alle geliefert. Daher wäre es sinnvoll, da zweigleisig zu fahren: einen Fast-Track für die, die noch zu einer Risikogruppe gehören, und auf der anderen Seite aber auch in die Breite zu gehen. Je mehr wir in die Breite gehen, desto schneller werden die Infektionszahlen sinken und dadurch auch im Sekundäreffekt die Menschen geschützt werden, die noch nicht geimpft sind.
Mit Hendrik Streeck sprach Mara Bergmann
Quelle: ntv.de