Panorama

Corona-Kabinett ist sich einig Inzidenz soll als zentraler Maßstab wegfallen

"Die 50er-Inzidenz im Gesetz hat ausgedient", sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

"Die 50er-Inzidenz im Gesetz hat ausgedient", sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

(Foto: imago images/Political-Moments)

Das Corona-Kabinett einigt sich: Ob neue Corona-Maßnahmen verhängt werden, soll künftig nicht mehr einzig von der 7-Tage-Inzidenz abhängen. Kanzlerin Merkel und die Ministerinnen und Minister halten einen anderen Faktor für entscheidender. Jens Spahn soll nun zügig einen Vorschlag präsentieren.

Die Bundesregierung will den Inzidenzwert 50 als zentrales Kriterium für Pandemie-Schutzmaßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz streichen. Stattdessen soll unter anderem die Belastung in den Krankenhäusern als ein neuer Maßstab im Infektionsschutzgesetz eingeführt werden. Das Corona-Kabinett beauftragte Gesundheitsminister Jens Spahn nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert, zügig einen Entwurf auszuarbeiten, der dann rasch vom Kabinett verabschiedet und dem Bundestag zugeleitet werden soll. Demnach tagte das Corona-Kabinett mit Kanzlerin Angela Merkel und den Fachministerinnen und -ministern erstmals wieder seit der Sommerpause. Den genauen Zeitplan ließen Seibert und ein Sprecher Spahns vorerst offen.

Menschen, die gegen Corona geimpft oder die genesen sind, müssen nach dem jetzigen Stand dabei keine gravierenden Einschränkungen mehr fürchten. "Man kann den Geimpften sagen, dass sich für sie, auch wenn jetzt die Zahlen weiter ansteigen, nichts ändern wird, und das gilt auch für die Genesenen: Sie müssen jetzt nicht mit neuen Einschränkungen rechnen", sagte Seibert. Noch könne allerdings nicht vorhergesehen werden, ob eine neue Virus-Variante auftauche, bei der die bisherigen Impfstoffe nicht wirkten.

Die Bundesregierung machte derweil noch keine Angaben dazu, wie genau die künftigen Richtwerte in einem geänderten Infektionsschutzgesetz ausfallen werden. Die zuständigen Ministerien seien sich im Corona-Kabinett aber einig gewesen, dass das Gesetz wegen "neuer Bedingungen" geändert werden müsse, sagte Seibert. Diese neuen Bedingungen seien dadurch gegeben, dass die Impfkampagne fortgeschritten sei und es inzwischen genug Impfstoff gebe.

Die anvisierte Abkehr vom Inzidenzwert als Kriterium für Pandemiebeschränkungen könnte praktische Folgen für den Alltag haben: Der Zeitpunkt, zu dem die zuständigen Behörden im Kampf gegen die Pandemie neue Beschränkungen erlassen, könnte sich dadurch nach hinten verschieben. Im aktuellen Infektionsschutzgesetz sind besondere Maßnahmen ab einer Inzidenz von 50 auf regionaler Ebene vorgesehen. Ab dem Wert 100 greifen bundeseinheitliche Regeln.

Corona-Patienten in Kliniken als ein zentraler Faktor

Künftig sollen sich mögliche Einschränkungen maßgeblich auch an der Zahl der im Krankenhaus behandelten Corona-Fälle ausrichten. Derzeit sind es 1,28 solcher Fälle pro 100.000 Einwohner und sieben Tagen. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie habe die Hospitalisierungsquote in Deutschland bei über zehn gelegen, hieß es.

"Die 50er-Inzidenz im Gesetz hat ausgedient", hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zuvor im ZDF gesagt. Der Wert 50 sei bei einer ungeimpften Bevölkerung sinnvoll gewesen, so der CDU-Politiker. Das Gesetz solle noch vor der Wahl geändert werden.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach distanziert sich von den Plänen von Spahn, die 50er Inzidenz als zentrales Kriterium im Infektionsschutzgesetz zu streichen und fortan stärker auf die Hospitalisierungen zu schauen. "Das sendet ein falsches Signal, als wenn die Inzidenz überhaupt nicht mehr wichtig wäre. Das halte ich für falsch, weil auch viele derjenigen, die erkranken und nicht ins Krankenhaus müssen, schwer erkranken und langfristige Schäden davontragen", erklärt Lauterbach im Fernsehsender Phoenix. Hinzu komme, dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen gegenüber der Inzidenz den Nachteil habe, dass man erst sehr verspätet wichtige Signale erhalte. "Man läuft Gefahr, dass man nie vor die Welle kommt."

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Seibert erneuerte seinen Appell an die Bürgerinnen und Bürger, sich impfen zu lassen. Derzeit handle es sich bei 90 Prozent der Patienten, die wegen einer Covid-19-Infektion im Krankenhaus liegen, um Ungeimpfte, sagte er. "Mehr und mehr handelt es sich um eine Pandemie der Ungeimpften." Spahn äußerte sich ähnlich: "Jeder nicht Geimpfte wird sich im Herbst und Winter mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit anstecken." Trotz steigender Ansteckungszahlen könnten sich Geimpfte und Genesene darauf einstellen, dass es für sie "keine weiteren Beschränkungen geben" werde, sagte der Minister.

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen ist derweil auf 56,4 gestiegen. Bundesweit wurden binnen 24 Stunden 3668 Neuinfektionen registriert, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) am Morgen meldete. Nordrhein-Westfalen überschritt dabei als erstes Bundesland wieder die Inzidenz-Marke von 100. Die Zahl der neuen Todesfälle gab das RKI mit vier an. Deutschland befindet sich nach Einschätzung des RKI inzwischen am Beginn der vierten Corona-Welle. Auch jüngere Altersgruppen sind diesmal stark betroffen.

Quelle: ntv.de, hul/dpa/AFP/rts

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