"Mama, lass mich hier" Kinderstar und Abenteurer: Wer starb im L.A.-Feuer?
13.01.2025, 16:25 Uhr Artikel anhören
Zwischen zerstörten Gebäuden suchen die Einsatzkräfte weiter nach menschlichen Überresten. Sie gehen davon aus, dass die Zahl der Todesopfer weiter steigen wird.
(Foto: picture alliance / Anadolu)
Hunderttausende sind aufgefordert, sich vor den verheerenden Waldbränden in Los Angeles in Sicherheit zu bringen. Doch nicht allen gelingt die Flucht. Mindestens 24 Menschen kamen bei den Bränden bereits ums Leben. Einige warteten vergeblich auf Hilfe, andere stellen sich den Flammen entgegen.
Vielen bleiben nur wenige Stunden. Innerhalb kürzester Zeit müssen sie ihr Leben - Dokumente, Medikamente, ein paar Kleidungsstücke, die liebsten Andenken - in eine Reisetasche verfrachten und sich in Sicherheit bringen. Ob es ihr Zuhause noch gibt, wenn sie zurückkehren, steht in den Sternen. Mehr als Hunderttausend Bewohnerinnen und Bewohner von Los Angeles haben die US-Behörden bereits zur Evakuierung aufgefordert und ein Ende der verheerenden Feuerkatastrophe ist nicht in Sicht.
Die Waldbrände im Großraum der zweitgrößten Stadt der USA haben sich seit dem 7. Januar blitzschnell ausgebreitet: Wenige Stunden nach dem ersten Feuer im Nobel-Viertel Pacific Palisades schlagen auch die Einsatzkräfte nördlich der Innenstadt von Los Angeles Alarm. Kurz darauf brennt es im San Fernando Valley, dann in den Hollywood Hills. Im trockenen Buschwerk springen die Funken innerhalb weniger Minuten von Hügel zu Hügel. Obwohl die Feuerwehr in 24-Stunden-Schichten arbeitet, sind erst rund elf Prozent des Feuers gelöscht. Die Flammen brennen also weiter alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt: Wohnhäuser, Autos, Einkaufsläden, Schulen - und Menschen.
Die jüngsten Zahlen dokumentieren das Ausmaß der Katastrophe: Mindestens 24 Menschen starben bereits bei den Waldbränden von Los Angeles, wie die örtliche Gerichtsmedizin jüngst bekannt gab, die Einsatzkräfte schätzen, dass die Todeszahl noch deutlich steigen wird. Einige der Verstorbenen hatten bis zuletzt versucht, ihre Häuser zu retten. Mit Gartenschläuchen, Wäschekörben voller Wasser, manchmal einfachen Kochtöpfen hatten sie gegen die Flammenherde keine Chance. Andere schafften es aus eigener Kraft nicht aus dem Haus. Wieder andere wollten ihre Liebsten nicht zurücklassen.
Anthony und Justin Mitchell
So etwa Anthony Mitchell. Der 68-Jährige, der wegen einer Amputation selbst auf den Rollstuhl angewiesen war, lebte unter anderem mit seinem Sohn Justin in ihrem Familienhaus in Altadena am Fuße der San Gabriel Mountains. Justin, der laut CNN in seinen Dreißigern war, litt an einer Zerebralparese, einer Erkrankung, die mit Bewegungsstörungen und Muskelsteife einhergeht. Sein Bruder habe gerne gemalt, Zeichentrickfilme geschaut und gelesen, berichtete Anthony Mitchell Jr. der "New York Times". Vater Anthony Mitchell arbeitete den größten Teil seines Lebens im Verkauf, in der Nachbarschaft war er für seine Hilfsbereitschaft und seine guten Grillkünste bekannt. Nachdem seine Frau im vergangenen Oktober gestorben war, kümmerte er sich liebevoll um Sohn Justin, wie Anthony Mitchell Jr. der Zeitung erzählte. "Mein Vater hat viel durchgemacht, aber er hat immer durchgehalten", sagte er.
Er habe am vergangenen Mittwochmorgen noch mit seinem Vater telefoniert. Dieser habe gemeinsam mit Justin auf ihre Evakuierung gewartet. Sein Vater sei sich sicher gewesen, dass bald Hilfe eintreffen würde. Nur wenig später wurde er allerdings panisch und berichtete von einem Feuer auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wie die Tochter des Verstorbenen, Hajime White, der "Washington Post" erzählte. Um 20 Uhr wurden Anthony und Justin Mitchell tot aufgefunden.
Die Leiche des Vaters wurde laut einem CNN-Bericht neben dem Bett seines Sohnes gefunden. "Er hätte seinen Sohn niemals zurückgelassen. Egal was passiert wäre", sagte White der Zeitung. Allerdings habe sie "das System im Stich gelassen", ergänzte Mitchell Jr.
Annette Rossilli
Auch Annette Rossilli wollte ihr Haus nicht ohne ihre Liebsten verlassen. Die 85-Jährige bestand trotz Evakuierungsanordnung darauf, mit ihrem Hund Greetly, ihrem Kanarienvogel Pepper, ihren zwei Papageien und ihrer Schildkröte in ihrem Haus in Pacific Palisades zu bleiben, erklärte das Unternehmen, das die Rentnerin pflegte, CNN. So habe ihr eine Pflegekraft mehrfach angeboten, sie abzuholen, auch Nachbarn hätten versucht, sie zu überreden. Rossilli, die als stets freundliche und sehr dankbare Person mit vielen Freunden beschrieben wird, lehnte dies allerdings ab. Am vergangenen Mittwoch fanden Feuerwehrleute die Leiche der 85-Jährigen in ihrem Auto.
Victor Shaw
Zu bleiben, statt zu gehen, entschied auch Victor Shaw. Der 66-Jährige war fest entschlossen, sein geliebtes Elternhaus, in dem er mehr als 50 Jahre lebte, zu retten, berichtete der lokale Sender KTLA. Er und seine Schwester Shari Shaw hatten das Haus von den verstorbenen Eltern geerbt und lebten dort gemeinsam. "Das Haus hatte für ihn eine große Bedeutung", sagte Willie Jackson, ein Nachbar der Shaws der "New York Times". Er habe es stets penibel gepflegt, sowohl Haus als auch Garten. Beruflich fuhr er ein Blutspendemobil. "Er hat hart gearbeitet", sagte Jackson. "Und er war immer ein großartiger Nachbar, wie sein Vater."
Nach dem Evakuierungsaufruf packten Jackson sowie alle anderen Nachbarn von Shaw ihre Taschen und verließen die Gegend so schnell sie konnten. Auch Shari Shaw entschied sich zu gehen. Victor Shaw blieb alleine in dem Elternhaus - und wurde später tot im Vorgarten des Hauses aufgefunden. Er hielt noch immer einen Gartenschlauch in der Hand, über dem Arm lag ein Regenrohr.
Rodney Nickerson
Nur wenige Gehminuten von Shaws Haus entfernt lebte Rodney Nickerson. Der 82-jährige Rentner arbeitete Zeit seines Lebens als Luft- und Raumfahrtingenieur, in seiner Freizeit liebte er das Angeln, Pferdewetten und Football, vor allem die San Francisco 49ers. Außerdem hing Nickerson - wie auch Victor Shaw - sehr an seinem Haus, in dem bereits mehrere Generationen der Familie gelebt hatten. Als seine Frau Suzette 2018 starb, weigerte er sich, ihre Kleidung, ihren Schmuck oder ihre Kochbücher wegzugeben, erinnerte sich seine Schwiegertochter Elsa Nickerson in der "New York Times". Und als die Feuer wüteten, "haben wir alle versucht, ihm zu sagen, dass er gehen soll, aber er dachte: 'Oh, das wird schon an mir vorbeigehen.'"
Doch das Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder, die Flammen ließen das Auto in der Einfahrt ausbrennen und das Wasser im Pool innerhalb kürzester Zeit verdunsten. Die Einsatzkräfte fanden im Bett des Hauses nur noch die Knochen des Vaters, wie lokale Medien berichteten. In seinem letzten Telefongespräch mit seinem geliebten Sohn, Eric Nickerson, sagte er: "Sohn, der Wind wird wirklich, wirklich stark."
Erliene Kelley
Ob sie sich kannten, ist nicht bekannt, aber auch Erliene Kelley lebte in Altadena - nur ein paar Blocks von Shaw und Nickerson entfernt. Die pensionierte Apothekerin starb alleine in ihrem Haus, das komplett zerstört wurde. Ihre Familie floh nur kurz zuvor. "Wir haben uns am Dienstagabend für die Evakuierung entschieden, aber meine Großmutter wollte bleiben", schreibt ihre Enkelin Briana Navarro in einem "GoFundme"-Post. "Es liegt in Gottes Hand", waren demnach Kelleys letzte Worte zu ihrer Familie.
"Sie war ein Engel", zitiert die "New York Times" Terry Pyburn, ein Nachbar von Kelley. Zudem äußerte er Kritik an den Behörden. So hätten er und seine Frau im Radio gehört, "dass alles östlich der Lake Street evakuiert wird und hier auf der Westseite alles in Ordnung war". Sie blieben demnach lange in ihrem Haus. "Bis wir Rauch rochen." Als wenig später der Notfallalarm ertönte, floh das Ehepaar. "Es brach Panik aus. Alle machten sich auf den Weg und niemand dachte daran, nach jemandem zu sehen", sagte Pyburn und fügte hinzu: "Ich glaube, die Meldung kam zu spät."
Rory Callum Sykes
Rory Callum Sykes zog erst 2010 in die Vereinigten Staaten. Gemeinsam mit seiner Mutter war der ehemalige Kinderstar aus seiner Heimat Australien ausgewandert und lebte auf einem 17 Hektar großen Anwesen in Malibu. Der 32-Jährige wurde blind und mit zerebraler Kinderlähmung geboren - bis zu seinem Tod setzte er sich mit seiner eigens gegründeten Charity-Organisation für andere Menschen mit Behinderungen ein. "Er war eine wunderbare Seele", sagte seine Mutter Shelley Sykes. "Trotz der Schmerzen war er immer noch begeistert davon, mit mir die Welt zu bereisen, von Afrika bis zur Antarktis", schreibt sie auf X. Berühmt geworden war Sykes 1998 als Kind, als er in der britischen Show "Kiddy Kapers" auftrat.
Shelley Sykes, die den Brand überlebte, beschreibt "Australia's 10 News First", dass sie versucht habe, die Glut auf dem Dach ihres Grundstücks zu löschen, als das Feuer kam, es ihr aber nicht gelang, weil das Wasser nicht funktionierte. "Er sagte: 'Mama, lass mich hier.' Aber keine Mutter kann ihr Kind zurücklassen. Aber ich habe einen gebrochenen Arm, ich konnte ihn nicht hochheben, ich konnte ihn nicht bewegen."
Arthur Simoneau
Arthur Simoneau war ein Abenteuer und "Pionier" des Drachenflieger-Sports. So beschreibt Steve Murillo seinen langjährigen Freund in einer "GoFundme"-Kampagne. Dabei erinnert sich der 64-Jährige an eine der gemeinsamen Abenteuerreisen, auf der sie einen Flug mit ihren Hängegleitern unternahmen. Er selbst habe eine Bruchlandung erlitten und Simoneau habe nicht gezögert, das unwegsame Gelände zu durchqueren, um ihn zu retten.
Sein Freund zeigte anderen, mit einem seltenen "kindlichen Eifer", wie man lebte, schreibt Murillo. "Wir hatten immer im Hinterkopf, dass er auf spektakuläre Art und Weise sterben würde, wie es für Arthur typisch war", heißt es in dem Beitrag. Er starb, als er sein Zuhause verteidigte, "etwas, wozu nur er mutig (oder verrückt) genug war."
Randall "Randy" Miod
Der 55-jährige Randall Miod, der von Freunden und Familie auch als "Legende in Malibu" bezeichnet wurde, starb an dem Ort, den er am meisten liebte: seinem Zuhause. So formulierte Carol A. Smith es in der Abschiedsnachricht an ihren Sohn. "Er fühlte sich so gesegnet, in Malibu leben zu können. Das war die Erfüllung seines Traums, denn er surfte schon seit seiner Jugend." In der Highschool, so erinnert sich Smith, "schwänzte Miod oft die Schule, um Surfen zu gehen". Ihr Sohn sei aus der Arbeiterklasse, aber er habe einen "Weg gefunden, das Leben zu leben, das er sich wünschte".
Miod lebte seit etwa 30 Jahren in seinem geliebten Haus am Pacific Coast Highway, das an eine Scheune erinnerte. In der Gegend war es als "Crab Shack", also Krabbenhütte, bekannt, erzählte Smith. So habe ihr Sohn die Politik der offenen Tür gelebt - Freunde seien ständig ein und aus gegangen und "es gab immer eine Party". Ihr Sohn sei entschlossen gewesen, das Haus zu schützen, erinnert sich Smith an ihr letztes Telefonat. "Bete für die Palisades und bete für Malibu. Ich liebe dich", habe er gesagt und hinzugefügt, dass er einen Gartenschlauch griffbereit habe. Später entdeckten die Einsatzkräfte seine Leiche hinter dem Haus. "Er hatte schon so viele dieser Brände erlebt und war jedes Mal unversehrt davongekommen. Ich glaube, er dachte, er könnte es wieder schaffen."
Quelle: ntv.de