Panorama

Ärztin vergewaltigt und ermordet Klinikpersonal tritt in Indien in 24-Stunden-Streik

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Es reicht: Protestierende fordern ein Ende der Gewalt gegen Frauen.

Es reicht: Protestierende fordern ein Ende der Gewalt gegen Frauen.

(Foto: dpa)

Ein brutales Verbrechen in einem Krankenhaus in Kolkata schreckt die indische Bevölkerung auf. Schon wieder. Eine junge Ärztin wird vergewaltigt und ermordet. Zahlreiche Menschen, die in Kliniken arbeiten, streiken für einen Tag. Die Behörden bemühen sich, Vertrauen zurückzugewinnen.

Aus Protest gegen die Vergewaltigung und Ermordung einer Kollegin sind in Indien landesweit Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhausmitarbeiter in den Streik getreten. Sie folgten einem Aufruf des Ärzteverbandes IMA zu einem 24-stündigen "landesweiten Rückzug aus dem Dienst". Alle nicht dringend notwendigen Operationen sollten verschoben werden. "Wir bitten um das Verständnis und die Unterstützung der Nation in diesem Kampf für Gerechtigkeit für ihre Ärzte und Töchter", hatte IMA-Chef R.V. Asokan erklärt.

Bei einer Ärzte-Kundgebung in der Hauptstadt Neu-Delhi war auf Plakaten der Slogan "Genug ist genug" zu lesen. In der Stadt Kolkata im Nordosten des Landes hielten Tausende Demonstranten bis in die frühen Morgenstunden eine Mahnwache bei Kerzenlicht ab. Auf dem Transparent eines dortigen Protestteilnehmers war zu lesen: "Hände, die heilen, sollten nicht bluten."

In einem staatlichen Krankenhaus in Kolkata war am 9. August eine 31-jährige Ärztin tot aufgefunden worden. Sie wurde im Seminarraum des Lehrkrankenhauses gefunden, wo sie sich offenbar während einer 36-Stunden-Schicht ausgeruht hatte. Eine Autopsie bestätigte, dass die Frau vergewaltigt wurde. Ihre Familie ging von einer Gruppenvergewaltigung aus.

Das Gewaltverbrechen löste landesweit massive Proteste aus: Anfang der Woche streikten Beschäftigte staatlicher Krankenhäuser in mehreren Regionen Indiens während einzelner Dienste. In Kolkata gingen am Mittwoch Tausende Menschen auf die Straße. Am Freitag folgte der IMA-Streikaufruf des Ärzteverbandes.

Verurteilungen sind weiterhin selten

Die Polizei hat bislang einen verdächtigen Krankenhausmitarbeiter festgenommen. Die Demonstranten werfen den Behörden jedoch vor, nicht gründlich genug zu ermitteln. Das Oberste Gericht der Stadt übertrug die Ermittlungen daher an das Central Bureau of Investigation, um "das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken". Es handelt sich dabei um eine Ermittlungsbehörde auf Bundesebene.

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist in Indien weit verbreitet. 2022 wurden in dem patriarchisch geprägten Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern im Schnitt fast 90 Vergewaltigungen pro Tag gezählt. Wegen der Stigmatisierung der Opfer und mangelnden Vertrauens in Polizei und Justiz werden viele Fälle gar nicht angezeigt. Verurteilungen wegen Vergewaltigungen sind weiterhin selten, die Gerichtsverfahren ziehen sich oft jahrelang hin.

Ein Grund dafür dürfte auch die Gesellschaft sein. Jedes Jahr werden Tausende weibliche Föten abgetrieben, Mädchen besuchen Schulen seltener als Jungen, und Töchter sind für Familien oft eine finanzielle Belastung - häufig müssen sie bei ihrer Heirat eine hohe Mitgift zahlen, obwohl dies inzwischen offiziell verboten ist.

Modi mahnt zur Dringlichkeit

Dringen allerdings besonders brutale Fälle sexueller Gewalt an die Öffentlichkeit, ist die Aufmerksamkeit groß - vor allem seit der Gruppenvergewaltigung einer 23-jährigen Studentin in einem fahrenden Bus in der Hauptstadt Neu-Delhi vor zwölf Jahren. Sie starb später in einem Krankenhaus.

Auch damals gab es Massenproteste, was zu einer Verschärfung der Gesetze führte. Die vier Täter starben sieben Jahre später am Galgen - worauf Hunderte vor ihrem Gefängnis in der Hauptstadt Neu-Delhi jubelten. Trotzdem trauen viele Inderinnen der Polizei und dem Justizsystem weiterhin nicht - besonders, wenn sie einer tiefen Kaste angehören. Viele Fälle bleiben jahrelang liegen, manche Verdächtige kommen gar auf Kaution frei.

Deshalb beteiligten sich zuletzt auch viele Frauen an den Protesten - von Jung bis Alt. Sie marschierten etwa in der Nacht zum Donnerstag, dem Tag der indischen Unabhängigkeit von den ehemaligen britischen Kolonialherren, und forderten ein Leben ohne Angst. In derselben Nacht randalierten Menschen in dem Krankenhaus, wo die Leiche der 31-jährigen Ärztin in Ausbildung vor rund einer Woche gefunden wurde.

Premierminister Narendra Modi griff den Fall in seiner Rede am Unabhängigkeitstag indirekt auf. "Die breite Masse ist wütend", sagte der 73-Jährige. "Unser Land, unsere Gesellschaft und unsere Regionalregierungen müssen das ernst nehmen. Verbrechen gegen Frauen sollten mit einer größeren Dringlichkeit untersucht werden." Doch die Werte einer Gesellschaft ändern sich nur langsam.

Quelle: ntv.de, fzö/AFP/dpa

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