Panorama

Notfall in 9800 Metern HöheKopilot überlebt berstende Frontscheibe

14.05.2018, 22:19 Uhr
91554262
Katastrophenszenario im Cockpit: Die Frontpartie eines baugleichen A319-100 (Archivbild). (Foto: picture alliance / Wolfgang Kumm)

Dramatischer Zwischenfall am Himmel über China: Ein Passagierjet bewegt sich schon fast auf Reiseflughöhe, als mit einem Knall das Cockpitfenster platzt. Der Kopilot wird halb aus der Öffnung gerissen - bei einer Geschwindigkeit von 850 km/h.

Beinahe-Katastrophe im fernöstlichen Luftreiseverkehr: Mitten im Flug ist die Frontscheibe eines chinesischen Passagierflugzeugs geborsten. An Bord der Maschine befanden sich 128 Menschen. Das rechte Cockpit-Fenster sei mit einem lauten Knall "plötzlich geplatzt", beschrieb der Pilot von Flug 3U-8633, Liu Chuanjian, die ersten Momente des Luftnotfalls.

Durch den schlagartigen Druckabfall wurde der Kopilot fast aus der Maschine gerissen. Als er zur Seite blickte, berichtete der Pilot, habe sein Kollege bereits halb aus der geborstenen Frontscheibe gehangen. Nur der Gurt habe den Kopiloten gerettet, sagte er. Die Maschine der Fluggesellschaft Sichuan Airlines vom Typ Airbus A319-100 war zuvor in der südwestchinesischen Millionenmetropole Chongqing gestartet und auf dem Weg in die tibetische Hauptstadt Lhasa.

Das Unglück ereignete sich den Angaben der chinesischen Zivilluftfahrtbehörde CAAC zufolge in einer Flughöhe von rund 9800 Metern rund 110 Kilometer westlich der chinesischen Großstadt Chengdu. Zum Unglückszeitpunkt flog der zweistrahlige Mittelstreckenjet mit einer Geschwindigkeit von rund 850 km/h.

Meisterleistung des Piloten

Der Pilot leitete umgehend einen Notabstieg ein. Mithilfe der Kabinen-Crew konnte er seinen zeitweise bewusstlosen Kollegen zurück ins Innere zerren. Der Kopilot erlitt Verletzungen im Gesicht, unter anderem durch Bruchstücke der geborstenen Scheibe, scheint den Vorfall ansonsten aber relativ unbeschadet überstanden zu haben. Der Pilot selbst blieb unverletzt.

Der Flugkapitän musste allerdings - als einzige handlungsfähige Person im Cockpit - enorme Herausforderungen meistern: Aufgrund der Flugroute, die über die östlichen Ausläufer des Himalaya führt, sah er sich gezwungen, die Maschine in einer lebensbedrohlichen Situation zunächst in einer Höhe von rund 7000 Metern zu halten, um genügend Sicherheitsabstand zu den Berggipfeln zu haben. Unter extremen Arbeitsbedingungen kehrte er sofort zum nächstgelegenen Großflughafen um. Erst als das Flugzeug das Hochland hinter sich gelassen hatte, konnte er tiefer gehen.

Durch das Platzen der rechten Windschutzscheibe waren Luftdruck und Temperatur im Cockpit schlagartig abgesackt. Auch in der Passagierkabine fielen den Berichten zufolge die Sauerstoffmasken aus der Decke. In der Armaturen-Konsole unterhalb der geborsten Frontscheibe waren Teile der Cockpit-Elektronik ausgefallen, darunter offenbar auch der Autopilot. Aufgrund des tosenden Fahrtwinds im Cockpit hatte die Besatzung Berichten zufolge Mühe, den Funkverkehr mit der Luftverkehrskontrolle aufrecht zu halten.

Tosender Lärm im Cockpit

Im Cockpit habe Chaos geherrscht, berichtete Pilot Liu. Die Technik habe kaum noch funktioniert, das Flugzeug habe stark vibriert. "Es schien unmöglich, die Instrumente abzulesen und zu handeln." In den sozialen Netzwerken in China wurde der Pilot als Held gefeiert.

Per Transponder-Signal konnte er die Lotsen am Tower in Chengdu auf seine dramatische Lage aufmerksam machen. 35 Minuten nach Beginn des Luftnotfalls gelang dem Piloten am dortigen Flughafen eine Notlandung mit offener Frontscheibe. Die Maschine setzte sicher auf. Lediglich eine Stewardess an Bord zog sich während der Landung leichte Verletzungen zu. Die Passagiere kamen mit dem Schrecken davon.

Was genau zu dem katastrophalen Versagen der Cockpitscheibe führte, ist nun Gegenstand intensiver Untersuchungen. In einer Mitteilung der betroffenen Fluggesellschaft war zunächst von einem "mechanischen Versagen" die Rede. Die chinesische Luftfahrtaufsicht leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Auf Bildern von Passagieren, welche die kommunistische "Volkszeitung" auf ihrer Internetseite veröffentlichte, waren Eindrücke aus dem Inneren der Passagierkabine zu sehen.

Quelle: mmo/AFP

LuftfahrtFlugreisenPiloten