"Hungerkünstler"? War gestern! Künstler engagieren sich für Künstler
12.05.2020, 17:23 Uhr
Von Kunst auch leben zu können - das ist das Ziel!
(Foto: Susanne Roewer @courtesy Galerie Kornfeld)
Sich in eine andere Welt beamen, den Kopf mit Kultur fluten - das geht gerade fast nur online. Galerien und Museen öffnen mit strengen Auflagen, Konzertsäle, Theater, Kinos kommen hoffentlich bald dazu. Bislang fehlt ein einheitlicher Plan zur Wiedereröffnung, und hier kommen Sie ins Spiel: Bieten Sie mit! Sie bekommen auch etwas Anständiges für Ihr Geld!
Bald geht's wieder los, oder? Mitreißende Konzerte, ein anregender Abend im Theater oder Kino, eine tolle Lesung oder ein bezauberndes Kunstwerk - das alles wahrzunehmen ist derzeit fast nur online möglich. Zur Unterstützung von Galerien und Museen, Konzertsälen, Theatern und Kinos fehlt bislang jedoch der einheitliche Plan zur Wiedereröffnung jenseits eines Flickenteppichs. Das einheitliche Konjunkturprogramm für Kunst und Kultur - wo bleibt es?
Stimmt, Bundesfinanzminister Olaf Scholz will Kulturschaffenden massiv helfen, Kulturstaatsministerin Monika Grütters arbeitet an einem großen Unterstützungsprogramm - prima! Dann mal los jetzt! Denn angesichts der überwiegend noch verschlossenen Türen stellt sich immer drängender die Frage: Wie geht es denen, die uns inspirieren, mit ihrer Kunst? Können der Schriftsteller, die Musikerin, die Schauspieler und Tänzer, Bildhauer und Maler überhaupt über die Runden kommen? Statt allabendlich auf der Bühne zu stehen, geben sie kostenlose Konzerte auf ihren Balkonen oder im Netz, lesen Gedichte via Instagram und streamen Theaterstücke - dafür gibt es weltweit Applaus. Aber können sie davon ihre Miete und Lebensmittel bezahlen? Ihre Existenzfrage stellt sich täglich aufs Neue.
Es gibt Möglichkeiten!

Ein Konjunkturprogramm für Kunst und Kultur – wo bleibt es, fragt sich auch Schauspieler Götz Otto.
(Foto: imago images/Mandoga Media)
Schnell und unkompliziert greift da die KunstNothilfe ein: Deren Ziel ist es, Geld für Künstler in der Krise zu sammeln und es zu 100 Prozent weiterzugeben in Form einer einmaligen Soforthilfe von bis zu 1000 Euro. Der Freiburger Social Entrepreneur Lukas Kunert hat die Plattform via elinor.netwerk/kunstnothilfe
direkt nach dem Lockdown gegründet, noch bevor sich die Regierung bereit erklärte, Solo-Selbstständige und Kulturschaffende zu unterstützen. Bekannte Künstler wie Kabarettist Christoph Sieber, Schauspieler Götz Otto oder Pianistin Hanni Lang sind Botschafter und rühren die Werbetrommel. Künstler für Künstler, aber jeder kann spenden.
Kultur ist ein Bereich, der in der Corona-Krise zu kurz kommt - dabei wird sie ständig konsumiert. "Wir möchten Menschen begeistern, Künstlern, die wirklich Hilfe brauchen, zu helfen", erklärt Galerist Alfred Kornfeld aus Berlin. Es geht nicht um diejenigen, denen gerade ein Projekt für 30.000 Euro gestrichen wurde, sondern um die, die sich als Musiker zum Beispiel Geld mit Blockflötenunterricht dazu verdienen. Und die gerade jetzt mit den Corona-Abstandsregeln nicht unterrichten können."
Anna Schapiro, Künstlerin und Autorin, die sich mit Kornfeld gemeinsam engagiert und ebenfalls im Beirat die Anträge durchgeht, sagt: "Es gibt so viele Fälle, die mich berühren. Was die KunstNothilfe ausmacht, ist, dass das Geld ein Geschenk ist. So hilft es, aus einer beengenden Situation herauszukommen und hoffentlich nicht in Hartz 4 abzurutschen." Die 32-Jährige erzählt weiter: "Ich hatte gerade erst im Fernsehen einen Beitrag über eine Musikerin gesehen. Sie spielt sogar in der Londoner Royal Albert Hall. Eine Stunde später gehe ich durch die KunstNothilfe-Anträge und da begegnet mir die Mail von ihr mit der Bitte um Hilfe."
Galerist Kornfeld wurde von einem befreundeten Sammler Ende März gefragt, ob er sich nicht auch für die KunstNothilfe engagieren möchte. "In dem Moment kam viel zusammen: Der Lockdown war ganz am Anfang, und der von uns betreute Künstler Hubertus Hamm zeigte mir eine Fotoserie, die Anfang März im Englischen Garten entstanden ist." Auf den Bildern spürt man, dass etwas Bedrohliches in der Luft liegt. Die Leichtigkeit des Parks in München scheint vom Virus bedroht, etwas Unsichtbares, nicht Greifbares, umschwirrt die Parkbesucher.
Hubertus Hamm arbeitet eigentlich bildhauerisch an großen Unikaten. Aus der Fotoserie ist jetzt eine Vierer-Edition à 25 Stück für die KunstNothilfe geworden. Gegen einen Betrag von 250 Euro erwirbt man eines der vier Motive aus der Serie "March 2020". Die Einnahmen gehen komplett an die Plattform. "Die Produktionskosten übernimmt Hubertus Hamm selbst und hilft damit anderen Künstlern. Transport und Verpackungskosten trägt die Galerie", so Alfred Kornfeld. "Es geht hier einfach um Solidarität."
Die Solidarität ist wieder da!
Solidarität - ist das nicht ein überstrapaziertes Wort in diesen Tagen? Anna Schapiro verneint ganz klar: "Solidarität ist lebensnotwendig auf diesem Planeten. Vor einem Jahr habe ich eine Befragung zu dem Begriff gemacht und das Wort Solidarität war im Bewusstsein ganz weit weg. Jetzt ist es herangerückt und greifbar. Es ist ein Prozess, den man lernen kann, allerdings muss Solidarität auch mit Inhalten und Handeln gefüllt sein." Alfred Kornfeld erinnert daran, dass "unser Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft Solidarität beinhaltet. Ich denke da an unser Rentensystem: Wer hier lebt, zahlt auch dafür ein. Das ist ein Generationsvertrag. Dieses füreinander Eintreten ist wichtig", findet der Galerist. Gerade jetzt in der Krise spüren die Menschen, dass der Staat an vielen Stellen hilft, wo Not ist - aber es nicht an allen kann. "Für uns geht es auch um Werte, die wir bei unseren Eltern und Großeltern gelernt haben", so Kornfeld. Er sieht das darin bestätigt, dass einige Künstler, die 1000 Euro Hilfe bekommen haben, diese bereits zurückgegeben haben - für andere KunstNothilfe-Bewerber.
Und wie wird ausgewählt? "Elinor" agiert mit der KunstNothilfe übergreifend: Per Videokonferenz treffen sich die neun Beitragsmitglieder, darunter Schapiro und Kornfeld. Sie entscheiden gemeinsam, wer das Geldgeschenk bekommt. "Die Frage ist nicht, macht der oder diejenige jetzt gute oder schlechte Musik, sondern es geht um die persönliche Situation. Jeder Fall ist anders", so Kornfeld. Inzwischen haben über 700 Menschen gespendet, 173 Künstlern wurde Geld ausgezahlt.
Das reicht jedoch noch nicht - deshalb haben Anna Schapiro und Alfred Kornfeld eine Auktion gestartet. Sie haben befreundete Künstler um Kunstwerke gebeten, 25 davon haben Bilder gespendet, um Künstler in Not zu unterstützen. Größen wie Elvira Bach, Christopher Lehmpfuhl, Valérie Favre oder Benjamin Reich sind dabei. Der Gründer der KunstNothilfe, Lukas Kunert, hat die Software installiert, damit sich jeder digital an der Auktion beteiligen kann. Bis zum 17. Mai kann mitgeboten und mit Geduld und Glück ein Kunstwerk ersteigert werden. Ein Kunstwerk, das dann daran erinnert, zu 100 Prozent etwas Gutes getan zu haben.
Könnten wir ohne Kunst leben?
Wir wollen festhalten: Kunst ist in gewisser Weise systemrelevant. "Nicht nur in gewisser Weise - sie ist es", findet Anna Schapiro. "Wessen Bücher lesen wir denn gerade, wessen Musik hören wir, was baut uns auf? Alles kommt aus einer Sphäre, die nicht im konventionellen Berufsleben angeschlossen ist. Dieser Bereich ist unsichtbar und muss ins Bewusstsein der Menschen." Und Alfred Kornfeld ergänzt: "Kunst gibt uns Lebenssinn und Inhalt. Das merken wir besonders in den Momenten, wo alles ab- und weggesperrt ist." Die beiden sind ansteckend mit ihrem Engagement, bei der ein jeder Künstler unterstützen kann - damit Kultur auch nach der Pandemie erlebt werden kann.
Die Auktion für die KunstNothilfe geht noch bis zum 17. Mai, es kann jeder mitbieten, und zwar hier.
Quelle: ntv.de